Interview mit dem ehemaligen Bonner Generalintendanten Klaus Weise: „Man kann mich gerne anzapfen“

Bonn · Der ehemalige Generalintendant Klaus Weise plädiert für den Abriss der Beethovenhalle und den Neubau eines Zweispartenhauses.

 Hat die Sorge, dass das Beethoven-Jubiläum in Bonn verpufft: Der ehemalige Generalintendant Klaus Weise.

Hat die Sorge, dass das Beethoven-Jubiläum in Bonn verpufft: Der ehemalige Generalintendant Klaus Weise.

Foto: Horst Müller

Sie waren von 2003 bis 2013 Generalintendant des Theaters und der Oper Bonn. Wie sehen Sie diese Zeit im Rückblick?

Klaus Weise: Ich denke, in der Zeit ist mir einiges gelungen. Ich habe in den Jahren die Sparvorgaben eingehalten, immerhin waren das 13,5 Millionen Euro. In meinen Spielzeiten hatten wir außerdem stets eine Platzauslastung von bis zu 80 Prozent. Womit ich nicht zufrieden bin, ist, dass ich mich mit meiner Idee der Entwicklung einer Kulturperspektive für Bonn nicht habe durchsetzen können.

Es ging mir darum, in Zusammenarbeit mit dem Beethovenfest für die Stadt etwas aufzubauen, wie es in Salzburg umgesetzt wurde, und um das uns die Städte weltweit beneiden würden. Beethoven gilt als einer der größten Künstler und Komponisten weltweit. Was Bonn daraus bisher gemacht hat, entspricht aber nicht der Größe dieses Künstlers.

Sie hatten zehn Jahre Zeit, aus ihrer Idee etwas zu machen ...

Weise: Ja, das ist wahr. Ich habe das auch versucht. Aber dem entgegen stand die Idee, ein Festspielhaus in Bonn zu bauen. Meine Meinung war aber immer: Bonn braucht keinen reinen Konzertsaal als Festspielhaus. Ich stehe nach wie vor dazu. Bonn braucht einen Opern- und einen Konzertsaal. Und zwar in einem Gebäude. Erst in Inhalten denken, dann in Beton bauen. Wir sind in einer Stadt mit 320.000 Einwohnern und brauchen keine zig Hallen. Das Geld ist dafür gar nicht vorhanden.

Ein musikalisches Zentrum für Oper und Konzerte wäre deshalb genau das Richtige für die Stadt Bonn. Das funktioniert genauso in Baden-Baden, das funktioniert in Dresden und anderswo. Ich habe mich damals, als die Post die Planungen für das Festspielhaus eingeleitet hatte, versucht einzubringen. Aber es gab Gegenspieler. Ich konnte mich nicht durchsetzen. Ich wurde nicht wirklich befragt. Ich verstehe auch nicht, wieso eigentlich die Post ein solches Haus planen ließ.

Warum nicht?

Weise: So ein Unternehmen hat ganz andere Talente. Wer so etwas plant, muss eine kulturelle Perspektive haben und eine Vision, und die besteht eben aus einer Erweiterung der Beethoven-Festspiele. In einem solchen Gebäude darf die Musik nie aufhören zu spielen. An einem Abend gibt es ein Konzert, am darauffolgenden eine Oper. Das hätte man bauen müssen. Dann hätten wir heute die Misere nicht. Aber zu jener Zeit galt ich ja nur als der Verhinderer des Festspielhauses. Aber der Plan eines gemeinsamen Hauses mit Oper und Konzertsaal kann ja noch Wirklichkeit werden. Er darf auf keinen Fall aufgegeben werden.

Sie hatten in Ihrer Intendantenzeit auch viel Ärger, weil sie die Zusammenlegung von Schauspiel und Oper vorgeschlagen hatten ...

Weise: Genau. Wenn wir schon einmal beim Scheitern sind – aus Fehlern kann man schließlich lernen – dann ist es gut, dass Sie mich auch daran erinnern. Mit dieser Zusammenlegung hätte man langfristig wirklich viel Geld sparen können, auch wenn man zunächst Investitionskosten gehabt hätte. Sparen und dabei etwas Neues entstehen lassen, das war meine Absicht.

Aber es gab massive Widerstände aus Bad Godesberg. Dagegen konnte ich gar nicht angehen. Witzigerweise stehen beide Ideen heute wieder zur Diskussion. Ich bin ja nicht uneitel. Deswegen irritiert es mich schon sehr, dass sich plötzlich andere Leute die Idee eines gemeinsamen Hauses von Konzertsaal und Oper zu eigen machen. Das ist nicht die Idee von Herrn Eisel (Anm. d. Red.: Stephan Eisel ist Vorsitzender des Vereins Bürger für Beethoven), sondern das war und ist immer noch meine Idee. Und genau wegen dieser Idee hat Herr Eisel mich damals sehr bekämpft. Heute verstehen wir uns prächtig.

Sie beobachten als Bonner Bürger die Kulturszene immer noch sehr genau. Was hat sich seit Ihrem Weggang verändert?

Weise: Es scheint mir so, dass mit dem neuen Generalmusikdirektor Dirk Kaftan viele neue Ideen und ein neuer Schwung in die Stadt gekommen sind. Er ist sehr engagiert und sucht unterschiedliche Orte, um Musik und Formate zu vermitteln und darzustellen. Das finde ich ausgesprochen gut. Ich habe ihn mehrmals als Dirigenten erlebt; er ist ein interessanter Künstler, ein wirklicher Gewinn für Bonn.

Was mir weiterhin fehlt, ist, dass man das Kapital Beethoven, sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich, bis heute nicht geborgen hat. Schauen Sie sich mal die Zahlen von Salzburg an. Also ich bekomme da Herzflimmern. Mir ist bewusst, dass man das in Bonn nicht von heute auf morgen erreichen kann. Mir fehlt aber einfach eine kulturpolitische Perspektive. Wohin will Bonn sich entwickeln? Ich bin fest davon überzeugt, das geht nicht ohne Beethoven. Beethoven braucht Bonn nicht. Er wird weltweit gespielt. Aber Bonn braucht Beethoven.

2020 will Bonn den 250. Geburtstag Beethovens feiern. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Vorbereitungen?

Weise: Die eigens gegründete Beethoven Gesellschaft wird für das Jubiläumsjahr sicher ein interessantes Programm zusammenstellen. Geld ist vorhanden, Ideen auch. Da habe ich keine Sorgen.

Sie sind in keinem der Beethovenfest-Gremien vertreten. Warum nicht?

Weise: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Vielleicht bin ich manchen zu querulantisch. Ich wäre aber gerne vertreten, weil ich allen sagen würde, das Jubiläumsjahr ist eine Chance, ein nachhaltiges Programm für Beethoven und Bonn aufzustellen. Eben nicht nur für ein einmaliges Event, das man ein Jahr lang feiert, sondern es muss ein Programm für die Zukunft sein.

Das bedeutet, dass wir in Beethoven'schen Dimensionen über die künftige Ausrichtung des Beethovenfestes nachdenken müssen. Für mich heißt das zwingend, Oper, Schauspiel und Tanz ganz eng mit dem jetzigen Beethovenfest zu verknüpfen. Es müssen Premieren stattfinden, in der Oper wie im Schauspiel. Wir müssen die Museen, die Universität und die Dax-Konzerne thematisch einbinden, und zwar jedes Jahr für die Dauer des Festivals. Wir könnten dann ein Beethovenfest auf die Beine stellen, wie es weltweit so nirgendwo existiert.

Der größte Gewinn, den wir aus dem Jubiläumsjahr erzielen könnten, wäre also eine Neuaufstellung des Beethoven-Festivals – in der Art, wie es uns Salzburg vormacht. Dann kommt die Welt auch nach Bonn, um sich das anzuhören und anzusehen. Sich aber, wie bisher, nur auf den konzertanten, sinfonischen Bereich zu konzentrieren, das erachte ich nicht als besonders glücklich.

Wollen Sie damit sagen, dass Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner eine Frau der puren Musik ist?

Weise: Ja, das ist sie wohl. Und das macht sie auch sehr gut. Aber die Konzeption für das Beethoven-Festival, die kann sie nicht. Entschuldigung, das kann ich. Ich kann sie sehr genau beschreiben, ich kann sie auch umsetzen. Dafür muss man aber mit allen Akteuren in Bonn reden, das lässt sich nicht einfach verordnen. Meine Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, ich habe sie ja öffentlich präsentiert, wie etwa bei einer Veranstaltung im Arp Museum, die Sie, Herr Kanthak, moderiert haben. Man kann mich also gerne anzapfen. Warum man es nicht tut, verstehe ich nicht. Ich halte das für ein Versäumnis. Dabei möchte ich betonen, es geht nicht um meine Person, sondern um das, was gemacht werden muss.

Heißt das, Sie haben die Sorge, dass das Beethoven-Jubiläum verpufft, also nicht nachhaltig für Bonn sein wird?

Weise: Ja. Die Sorge habe ich. Obwohl wir die besten Voraussetzungen hätten – kulturell, wirtschaftlich, gastronomisch und auch landschaftlich mit dem romantischen Siebengebirge, dem Rhein und dem wunderschönen Ahrtal –, ein Festival auf die Beine zu stellen, das zukunftsfest ist. Außerdem haben wir einen Flughafen, den ich als erstes in Beethoven-Airport umbenennen würde. Aber Beethoven und sein Festival sind nicht nur Sache der Stadt Bonn. Beethoven ist auch Bundesangelegenheit, nicht nur zum Jubiläum. Und auch das Land muss sich noch mehr beteiligen. Und zwar über das Jahr 2020 hinaus.

Was sagen Sie zur aktuellen Diskussion um die Beethovenhalle?

Weise: Es überrascht mich nicht, dass die Beethovenhalle nun doch nicht rechtzeitig zum Jubiläum fertig werden wird. Aber man muss auch die Chancen in diesem Umstand erkennen: Man kann das Ganze ins Positive umwandeln und Beethoven in die Stadt hineintragen. Man wird andere Orte für die Aufführungen finden. Beethoven wird in der ganzen Stadt gespielt. Das finde ich gut.

Das ist ja auch ungewöhnlich, ein Jubiläum in der ganzen Stadt zu feiern. Da werden sicher viele kreative Potenziale freigesetzt. Genauso richtig fände ich es, jetzt einen Cut zu machen, um nachzudenken, was man mit der Beethovenhalle machen möchte. Ich wäre für den Abriss der Halle und den Neubau eines konzertfähigen Zweispartenhauses an dieser Stelle.

Wir müssen der Stadt wieder Auftrieb geben in der Kultur. Heute reden doch alle nur noch von Bildung. Aber ich bitte Sie: Was ist Bildung ohne Kultur? Und Beethoven ist Kultur. In schönster Ausprägung und reichhaltigster Vielfalt. Und seinen Kosmos abzubilden und sich in Zwiesprache zu begeben mit seiner irgendwie porösen Vita und seinem unerschöpflichen Werk von gelegentlich schmerzender, ja kaum auszuhaltender Schönheit, dazu bedarf es einer Vorstellung, eines Begriffs vom Beethovenfest, das nie die Sonne dieses Genies wird erreichen können, aber selbst in seinem Schatten heller leuchtet als vieles sonst. Das ist mir wichtig. Dafür brauchen wir ein neues Gebäude. Für Konzerte und Opern. Ein Haus, in welchem die Musik nie aufhört zu spielen.

Mitten in den Vorbereitungen für das Beethoven-Jubiläum muss Kulturdezernent Martin Ende November seinen Hut nehmen. Sein Vertrag soll nicht verlängert werden. Was sagen Sie dazu?

Weise: Mir ist nicht bekannt, dass Herr Schumacher für das Beethoven-Festival jemals einen nachhaltigen Plan entwickelt hat. Aber das muss die zentrale Aufgabe des Bonner Kulturdezernenten oder der Kulturdezernentin sein. Mehr sage ich dazu nicht. Nur so viel: Rat und Verwaltung sollten vertraglich zur Bedingung machen, dass die Weiterentwicklung des Beethoven-Festivals oberste Priorität hat mit Weltbedeutung zum Ziel.

Könnten Sie sich vorstellen, Ihren Hut für einen solchen Job in den Ring zu werfen?

Weise: (lacht) Ich hätte gar nicht das Sitzfleisch für all die Sitzungen, die ein Kulturdezernent absolvieren muss. Was mich interessiert, wäre die Neukonzeptionierung des Festivals – natürlich mit Hilfe von vielen anderen Personen. Das könnte ich, aber das können vielleicht auch andere.

Sie haben sich als potenzieller Retter des Kleinen Theaters Bad Godesberg ins Spiel gebracht. Wie ist der Sachstand?

Weise: Ich habe nach wie vor Interesse und viele Ideen, was man da alles machen könnte. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Walter Ullrich, der das Theater im Oktober 60 Jahre bespielt und betrieben haben wird. Ohne mit Traditionen brechen zu wollen, kann man sicher auch viel Neues ausprobieren, etwa mit Literatur und Schauspiel. Die Zeiten haben sich geändert, das Publikum wandelt sich, und man muss auch versuchen, jüngere Leute zu gewinnen.

Ich habe viele Unterstützer, die sich auch finanziell an dem Projekt beteiligen wollen. Wir werden jetzt zunächst die Ausschreibung der Stadt abwarten. Wie zu hören ist, favorisiert die Stadt eine Erbpacht für das Gebäude. Das macht die Sache nicht leichter, aber es bleibt abzuwarten, was im Detail die Stadt erwartet und was Interessenten von der Stadt erwarten. Wenn ich nicht an die Tragfähigkeit des Konzepts glaubte, würde ich es nicht machen. Denn ich habe keine Lust, als Marodeur dazustehen.

Was haben Sie die vergangenen fünf Jahre n gemacht?

Weise: Ich habe Filmstoffe entwickelt, zwei Theaterstücke und ein Opernlibretto geschrieben. Es wird gerade vertont, und ich hoffe, es wird Ende des Jahres im Neuen Museum in Nürnberg konzertant uraufgeführt. Der Titel lautet: „Du sollst Deine Frau ehren“. Es geht um Treue und Untreue, um alt werden und jung bleiben wollen. Ein zeitgenössisches Thema, aber ein altmodischer Titel. Außerdem habe ich im Auftrag der Stiftung Kunst und Kultur eine Performance für die Ausstellung Luther und die Avantgarde in Wittenberg inszeniert, einen Artikel für „Die Zeit“ geschrieben und versuche, meine Idee für eine Software umzusetzen, die das Betrachten digitaler Bewegtbilder disruptiv verändern würde.

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