Tochter ist schwerbehindert Keine Entschädigung für Adoptivmutter vor Gericht

Euskirchen/Bonn · Das Bonner Landgericht hat die Schadensersatzklage einer Adoptivmutter, deren Tochter wegen des Alkoholkonsums der leiblichen Mutter in der Schwangerschaft schwerbehindert ist, gegen das Jugendamt Euskirchen abgewiesen.

Die Adoptivmutter eines durch Alkoholkonsum der leiblichen Mutter in der Schwangerschaft geschädigten Kindes erhält keinen Schadensersatz. Die heute 20-jährige Tochter leidet am Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) und ist schwerbehindert.

Als die 48-Jährige nach Jahren die Diagnose erfuhr, verklagte sie den Kreis Euskirchen vor dem Bonner Landgericht auf 96.000 Euro mit der Begründung: Das zuständige Jugendamt habe seine Amtspflicht verletzt, weil es nicht die nötigen Ermittlungen zum familiären Hintergrund des Kindes durchgeführt habe, obwohl es Hinweise auf Drogen- und Alkoholmissbrauch gegeben habe. Doch das Landgericht wies ihre Klage am Mittwoch ab, wie Behördensprecher Tobias Gülich mitteilte.

Zwar habe die 1. Zivilkammer in ihrem Urteil bestätigt, dass Jugendämter nach dem Adoptionsgesetz zu „sachdienlichen Ermittlungen bei den Adoptionsbewerbern und dem Kind und dessen Familie verpflichtet“ seien. Aber: „Die Klägerin hat eine schadensursächliche Verletzung dieser Ermittlungspflicht nicht darlegen können.“

So habe sie nicht vorgetragen, auf welchen Tatsachengrundlagen die Mitarbeiter des beklagten Kreises verpflichtet gewesen sein sollen, weitere Ermittlungen anzustellen hinsichtlich des Alkoholmissbrauchs der leiblichen Mutter während der Schwangerschaft und welche Ermittlungen den Mitarbeitern möglich gewesen wären. Auch sei im Prozess nicht vorgetragen worden, welche körperlichen Merkmale Anlass für weitere Ermittlungen gegeben hätten. Der Kinderarzt habe keine Verdachtsdiagnose gestellt.

Verletzung der Beratungspflicht nicht bewiesen

Außerdem, so das Gericht: Dass der leibliche Vater zur Zeit der Empfängnis ein Drogen- und Alkoholprobleme gehabt habe, lasse nicht den Rückschluss zu, dass auch die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert habe. Auch eine Verletzung der Beratungspflicht seitens des Jugendamtes hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts nicht bewiesen. Denn die Pflicht des Amtes zu Beratung und Unterstützung umfasst nach Auffassung des Gerichts nicht, über jede denkbare Krankheit zu unterrichten: „Und der Kreis hatte keine Veranlassung, eine FAS-Erkrankung bei dem Kind zu vermuten“, so die 1. Zivilkammer. Das Mädchen habe sich laut Kinderarzt zunächst gut entwickelt.

Das aber, so schilderte die Mutter in ihrer Klage, habe sich im Laufe der Jahre komplett geändert: Das Mädchen sei aufgrund seiner Hirnschädigung völlig unkontrollierbar, äußerst aggressiv, nicht beschulbar und könne keiner normalen Arbeit nachgehen. Aufgrund der Probleme habe ihr Mann sich von ihr getrennt und sie habe das Mädchen allein erziehen müssen.

Rücksicht auf die Adoptivtochter

Für das Gericht aber blieb, wie es nun feststellte, eine entscheidende Frage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unbeantwortet: Wie hätte sich die Klägerin verhalten, wenn sie gewusst hätte, dass die leibliche Mutter während der Schwangerschaft getrunken hat? „Sie hat nicht vorgetragen, ob sie auf die Adoption verzichtet hätte, wenn sie von dem Alkoholabusus gewusst hätte“, so das Gericht. Auch wenn das aus Rücksicht auf die Adoptivtochter verständlich sei, hätte sie erklären müssen, was sie getan hätte, wenn sie über das sich daraus ergebende Risiko einer alkoholbedingten Schädigung des Kindes vom Jugendamt aufgeklärt worden wäre.

Außerdem, so befand die Zivilkammer: Sie habe als Entschädigung das Pflegegeld gefordert, das sie erhalten hätte, wenn sie weiter nur Pflegemutter geblieben wäre, und das das Jugendamt durch die Adoption eingespart habe. Das aber sei nach deutschen Recht nicht möglich, denn: „Es gibt keine Pflicht zur Herausgabe eines erlangten Vorteils.“ Sie hätte vielmehr alles, was die Adoptivtochter sie bisher gekostet habe, als Schaden geltend machen müssen.

Rechtsstreit stößt auf großes Interesse

Großes Interesse an dem Rechtsstreit zeigte auch der Verein „Lebenslänglich Moritz“, eine Interessengemeinschaft von Adoptiveltern, deren Kinder auch an FAS leiden und die sich von Behörden und vom Gesetzgeber alleingelassen fühlen. Inzwischen haben Studien ergeben, dass viele Adoptivkinder an FAS erkrankt sind. Der Vereinsvorsitzende, seine Frau und eine weitere betroffene Mutter, die zu Urteilsverkündung gekommen waren, zeigten sich enttäuscht und hoffen nun auf die nächste Instanz.

AZ: LG Bonn 1 O 397/17

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