Interview mit Landtagsabgeordneten Christos Katzidis für Videoüberwachung in Bonn

Bonn · Der Bonner Landtagsabgeordnete Christos Katzidis erklärt im GA-Interview, was er sich vom neuen NRW-Polizeigesetz verspricht und welche Auswirkungen es auf Bonn haben kann.

Herr Katzidis, die eigenen Koalitionspartner haben Oberbürgermeister Ashok Sridharan vor eineinhalb Jahren ausgebremst, als er erreichen wollte, dass die Stadt selbst über Videoüberwachung an „unsicheren Orten“ entscheiden kann. Wie kam das in der CDU an?

Christos Katzidis: Die Bonner CDU und unser Oberbürgermeister haben eine klare Meinung hierzu. Auch wenn ich die anderen Positionen verstehen kann, ist das bei uns nicht positiv angekommen. Wir hätten es uns sehr gewünscht, auch den Kommunen eine rechtliche Möglichkeit einzuräumen und das Ordnungsbehördengesetz entsprechend zu ändern. Das war leider auch auf Landesebene nicht konsensfähig.

Wie interpretieren Sie das, wenn ein Stadtrat eine Kompetenzerweiterung für die Stadt ablehnt?

Katzidis: Man muss die Frage stellen, ob der Stadtrat wirklich in der breiten Masse die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Punkt widerspiegelt. Nach meiner Wahrnehmung wünschen sich die Menschen mehr rechtliche Befugnisse für Polizei und Sicherheitsbehörden. Das gilt im Besonderen für die Videobeobachtung im öffentlichen Raum, die in anderen Ländern Standard ist und wo sich niemand beschwert. In Deutschland wird immer stark aus der Täterperspektive argumentiert, was ich sträflich finde. Wir sollten viel mehr aus der Opferperspektive diskutieren und dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen nachkommen.

Derzeit ist die Rechtslage so, dass nur die Polizeibehörden eine Videobeobachtung im öffentlichen Raum veranlassen können. Maßgeblich dafür sind die Kriminalstatistik und die Feststellung sogenannter Kriminalitätsschwerpunkte. In Bonn trifft das Kriterium auf das Bonner Loch zu. Ist das Verfahren noch zeitgemäß?

Katzidis: Überhaupt nicht. Die Bedürfnisse der Menschen haben sich verändert. Nehmen Sie Berlin mit seiner rot-rot-grünen Regierung, wo sich laut einer repräsentativen Umfrage 83 Prozent der befragten Bürger mehr Videobeobachtung im öffentlichen Raum wünschen. In vielen anderen Städten ist die Stimmungslage ähnlich. In NRW, das ist in der Koalition Konsens, wird die Entscheidungsgewalt bei der Polizei bleiben – allerdings mit dem Zusatz, dass Videoüberwachung auch dort möglich ist, wo prognostiziert Straftaten begangen werden können.

Das heißt, es wird dabei bleiben, dass es von den Stadtverwaltungen kein Initiativrecht geben wird?

Katzidis: Wir werden keine rechtliche Möglichkeit für die alleinige Entscheidungsbefugnis der Kommunen schaffen. Natürlich kann beispielsweise der Bonner Oberbürgermeister jederzeit mit der Polizeipräsidentin reden und Anregungen geben. Prüfungs- und Entscheidungsrecht hat dann letztlich aber die Bonner Polizeipräsidentin.

Bleibt also die Erweiterung um den potenziellen oder prognostizierten Kriminalitätsschwerpunkt. Mit welchen Parametern kann der denn definiert werden?

Katzidis: Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden. Um ein Beispiel zu nennen: Auf Weihnachtsmärkten oder Jahrmärkten kommt es nicht selten vor, dass organisierte reisende Tätergruppen, etwa aus osteuropäischen Ländern, losziehen und Taschendiebstähle begehen. Diese organisierten Straftaten wären so ein Fall, bei dem die Gesetzeserweiterung greifen könnte.

Kurz zurück zur bisherigen Gesetzeslage: Wie ist es eigentlich zu erklären, dass in Düsseldorf an zehn Stellen Videobeobachtung stattfindet, in Bonn an keiner? Ist die Landeshauptstadt so viel krimineller?

Katzidis: Nein, diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend. Der Begriff Kriminalitätsschwerpunkt ist ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff, der unterschiedlich interpretiert werden kann. Insofern kann es durchaus sein, dass der Polizeipräsident in Düsseldorf einen anderen Maßstab anlegt als die Polizeipräsidentin in Bonn.

Hat die Bonner Polizei in Ihren Augen denn bisher richtig entschieden?

Katzidis: Ich möchte mir da kein Urteil anmaßen. Es gibt auch keine gesetzliche Definition für den Begriff Kriminalitätsschwerpunkt. Aber ich denke, dass auch das Sicherheitsempfinden der Menschen bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt werden sollte. Wenn Menschen sich sicherer fühlen, ergibt eine Videobeobachtung meines Erachtens schon Sinn.

An welchen Stellen in Bonn würden Sie konkret eine Videoüberwachung befürworten?

Katzidis: Ich kann mir das beispielsweise sehr gut in dunklen Unterführungen vorstellen, damit sich Menschen in solchen Angsträumen sicherer fühlen. Spontan fallen mir die Unterführungen am Hauptbahnhof, das Tannenbusch-Center, mehrere Stellen in Bad Godesberg oder auch die Ladenzeile in Medinghoven ein.

Und wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass nach der Gesetzesnovelle am Ende doch wieder alles bleibt, wie es ist?

Katzidis: Wir setzen den gesetzlichen Rahmen für die 47 Kreispolizeibehörden im Land – eine Zersplitterung, die es im Übrigen so nur in Nordrhein-Westfalen gibt. Entsprechend gibt es jeweils unterschiedliche Blickwinkel. Entscheidend sollte sowohl die objektive als auch die subjektive Bewertung sein. Ich glaube, in Bonn und gerade in Bad Godesberg besteht schon eine hohe subjektive Handlungsnotwendigkeit. Insofern würde ich mir schon wünschen, dass man die neuen Möglichkeiten hier auch nutzt.

Generell gibt es die althergebrachte grundsätzliche Kritik an der Videoüberwachung, dass damit auch der unbescholtene Bürger überwacht werde. Was sagen Sie dazu?

Katzidis: Die Kritik verstehe ich nicht. Viele Kritiker der Videobeobachtung fordern als Alternative mehr Polizeipräsenz. Wo ist denn der Unterschied zwischen einer persönlichen Beobachtung oder einer Videobeobachtung. Letztere müssen nach 14 Tagen gesetzlich wieder gelöscht werden.

Die Deutsche Bahn gibt regelmäßig freudig bekannt, an welchen Stellen sie die Videoüberwachung ausgedehnt hat. An jeder Zapfsäule und an jedem Geldautomaten wird man von Kameras erfasst. Warum beginnt die Diskussion um polizeiliche Videobeobachtung immer wieder von vorn?

Katzidis: Wenn vor dem „Überwachungsstaat“ gewarnt wird, liegt vielfach schlichtweg Misstrauen gegenüber der Polizei vor. De facto leben wir in einem Überwachungsstaat, und zwar in einem wirtschaftlichen, in dem wir alle systematisch ausgewertet und analysiert werden. Zudem geben viele Menschen ihre Daten im Internet freimütig preis. Bei der Polizei hingegen wird von vornherein unterschwellig Missbrauch unterstellt. Angesichts der rechtsstaatlichen Ansprüche an unsere Polizeibehörden ist das völlig unverständlich und auch realitätsfern.

Ein anderer Diskussionspunkt ist der so genannte Unterbindungsgewahrsam, der bis zu einem Monat verhängt werden kann?

Katzidis: Nordrhein-Westfalen und Berlin sind die einzigen Bundesländer, in denen der Gewahrsam auf 48 Stunden begrenzt ist. Wir haben da dringenden Nachholbedarf. Einen Monat halte ich übrigens für moderat. Selbst Niedersachsen geht mit einem SPD-Innenminister da viel weiter als wir in NRW.

Dient der Unterbindungsgewahrsam auch dazu, Personalressourcen zu schonen, die bei der Überwachung von Gefährdern massiv beansprucht werden?

Katzidis: So ist es. Und deshalb auch die Pläne für die elektronische Fußfessel, die Telekommunikationsüberwachung und für ein Kontakt- und Aufenthaltsverbot. Um einen Gefährder rund um die Uhr zu bewachen, braucht es derzeit etwa zwölf Beamte. Die Polizei braucht zeitgemäße Befugnisse, sonst läuft sie, rechtlich gesehen, hinter der Musik her.

In der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden haben sich zuletzt teils verheerende Defizite aufgetan. Ist der polizeiliche Föderalismus in Zeiten asymmetrischer Bedrohungen noch zeitgemäß? Wäre nicht eine Vereinheitlichung der Polizeigesetze in den Bundesländern geboten?

Katzidis: Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Stellen Sie sich vor, wir ändern das Polizeigesetz, führen eine elektronische Fußfessel ein und wenden sie auf einen Gefährder an. Was passiert denn, wenn dieser die Landesgrenze überschreitet? Ja, wir brauchen eine Vereinheitlichung der Polizeigesetze. Entsprechende Versuche gab es bereits schon in den 70er Jahren, sie sind aber politisch gescheitert.

In der Wahrnehmung vieler Bürger steigt die Alltagskriminalität. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sinkt sie. Wie erklären Sie sich das?

Katzidis: Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist von vielen Faktoren abhängig. Aussagekräftig ist hier vor allem die Langzeitentwicklung. Zugleich spiegelt sie nur das so genannte Hellfeld, also die bekannt gewordenen Straftaten. Insofern hat sie nur bedingt Einfluss auf das subjektive Empfinden, das ganz anders ausfallen kann. Einzelne objektive Bereiche sind und bleiben problematisch, etwa die organisiert reisenden Tätergruppen, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert haben. Ihnen wollen wir mit der Befugnis für Anhalte- und Sichtkontrollen, die so genannte strategische Fahndung, begegnen.

Hier gibt es den Vorwurf, dies sei die Schleierfahndung durch die Hintertür…

Katzidis: Genau das stimmt nicht. Die Schleierfahndung ist im ursprünglichen Sinne verdeckt, verdachts- und anhaltsunabhängig und mit der Möglichkeit von Durchsuchungen versehen. All das ist in Nordrhein-Westfalen nicht geplant.

Merkels Satz „Wir schaffen das“ ist in der Öffentlichkeit längst hoch umstritten. Welche Akzente setzt die CDU im NRW-Landtag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise?

Katzidis: Bekannt wurde zuletzt das Problem, dass Gefährder nicht abgeschoben werden können. Ich sehe die Ursache darin, dass die Menschen ohne Identitätsnachweis nach Deutschland gelangen. Wenn man diese Probleme künftig verhindern will, darf man Menschen nicht ohne zweifelsfreien Identitätsnachweis in die Europäische Union lassen. Deshalb brauchen wir eine europäische Grenzschutzpolizei und effektive Grenzkontrollen. Jeder, der in die EU einreisen will, sollte sein Herkunftsland zweifelsfrei nachweisen können und erkennungsdienstlich behandelt werden.

Also die berühmte europäische Lösung der Bundeskanzlerin?

Katzidis: Ja. Das muss auf europäischer Ebene gelöst werden. Wenn all das gewährleistet wäre, hätten wir in der Innenpolitik auch gar nicht diese Probleme.

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