Stadtgeschichte in Bonn Kaffeeröster-Dynastie Zuntz sorgte einst für frische Bohnen

BONN · Die strenggläubige Jüdin Rachel Zuntz hatte Sinn fürs Geschäft und wollte ihrem Sohn eine Zukunft bieten. Sie gründete 1837 eine eigene Firma. Die "selige Witwe" wurde zum Markennamen einer weit über Bonn hinaus bekannten Kaffeedynastie.

Angefangen hat alles mit einer alleinerziehenden Mutter. Rachel Zuntz, Tochter der Händlerfamilie Hess aus der Bonner Judengasse, war 27 Jahre alt, als ihr Mann Amschel starb - nur zwei Wochen nach der Geburt von Sohn Leopold. Das war im Jahr 1814, und dem Sprachgebrauch der Zeit entsprechend war sie fortan "A. Zuntz sel. Wwe".

Die strenggläubige Jüdin mit Sinn fürs Geschäft wollte ihrem Jungen eine Zukunft bieten, und so gründete sie mit ihrem Erbteil 1837 eine eigene Firma. Die "selige Witwe" wurde zum Markennamen einer weit über Bonn hinaus bekannten Kaffeedynastie. "Es war zugleich der Weg aus dem Ghetto in eine aufgeklärte Zeit", sagt Gabriele Wasser, Vorsitzende des Vereins für Geschichte und Kultur der Juden der Rheinlande. Einer aus der weit verzweigten Familie ist Rachel Zuntz' Enkel Richard Zuntz, der heute 150 Jahre alt geworden wäre.

Für Poppelsdorfer war der Duft von frisch geröstetem Kaffee lange so typisch wie der Hauch von Lakritz für Kessenich. Von der Firma an der heutigen Königstraße ist nur die Fassade erhalten, die dahinter liegende Rösterei wurde für einen Neubau abgerissen. Doch es gibt noch weitere Spuren, wenn man nach Richard Zuntz sucht: seine Villa in der Argelanderstraße 2a (siehe Bericht unten) und ein Grabmal auf dem Poppelsdorfer Friedhof.

Richard und seine Zwillingsschwester Mathilde wurde 1863 als letzte der insgesamt elf Kinder von Leopold Zuntz geboren. Teilhaber der Firma wurde er 1888, einige Jahre nach dem Umzug der Firma aus Bonn nach Poppelsdorf, wo schon Friedrich Soennecken Schreibgeräte produzierte und Ludwig Wessel Porzellan herstellte. 1898 übernahm er die Leitung der Rösterei. Richard Zuntz war mit Amalia Maria Cohen, genannt Mimi, verheiratet. Sie stammte aus der Buchhändler- und Verlegerfamilie Cohen (später Bouvier) und war sehr kunstbegeistert.

1895 zog das Ehepaar mit Tochter Käthe in die repräsentative Villa in der Argelanderstraße. Mimi pflegte Kontakt zu den rheinischen Expressionisten, zu ihren Bekannten zählten Max Ernst und August Macke. Außerdem förderte sie rheinische Dichter und verkehrte mit den Damen der Bonner Gesellschaft. Richard begeisterte sich auch für Technik. Er war 1906 einer der wenigen Bonner Autobesitzer. "Beide waren in den gutbürgerlichen Kreisen von Bonn ganz eng verzahnt", berichtet Wasser.

Die wechselhafte, mehr als 125-jährige Unternehmensgeschichte war nicht nur durch Kriege, sondern immer wieder durch plötzliche Todesfälle in der Familie geprägt. Offenbar vernachlässigten die Kaufmänner Zuntz für das Geschäft ihre Gesundheit. Auch Richard starb mit nur 47 Jahren an der "Familienkrankheit" Tuberkulose. Richard war ein liberaler Jude und hatte eine Reformschule besucht. Sein Grab mit einem Stein des Bildhauers Rudolf Bosselt findet man nicht auf einem der jüdischen Friedhöfe, sondern auf dem Poppelsdorfer Friedhof.

"In Bonn gab es etliche Kaffeeröstereien, aber so erfolgreich wie Zuntz ist keine geworden", sagt Wasser. Die Firma hatte Niederlassungen in Berlin, Hamburg und Antwerpen, zahlreiche Filialen und Zuntz-Kaffeestuben. Die Familie setzte schon früh auf Werbung und machte die "selige Witwe" so bekannt. Gute Kunden bekamen einen Kaffeewärmer als Werbegeschenk, der an die Anfänge erinnerte: eine ältere Dame im typischen Kleid der orthodoxen Jüdin Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Kontakt zur Kunstszene hat Richard Zuntz wohl dazu angeregt, Plakat-Künstler Julius Gipkens mit einem Emblem für die "selige Witwe" zu entwerfen. Die Dame mit dem Schutenhut tauchte fortan auf Kaffeepäckchen und als verkleidete Mitarbeiterin bei Werbeaktionen auf.

In der NS-Zeit blieb der Name Zuntz erhalten, weil er nicht typisch jüdisch war, die Leitung der Firma übernahm ein NSDAP-Mitglied. "Tante Mimi" war die letzte der Familie, die noch in Bonn lebte, völlig zurückgezogen, in Kontakt nur noch zu wenigen jüdischen Freunden wie Professor Felix Hausdorff und seiner Frau Charlotte. Als der Deportationsbefehl kam, "flüchtete sie, wie die Hausdorffs, in den Tod", berichtet Wasser. Mimi Zuntz starb mit 69 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten. Familienmitglieder, die den Nazi-Terror überlebt hatten, bauten später die Firma wieder auf. Bis 1976 war der Bonner Sitz noch in Betrieb. Die Marke "A. Zuntz sel. Wwe" ist heute im Besitz der Firma Dallmayr.

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