Asylanträge "Jeder hat die Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen"

Bonn · Die Rechtsanwälte Andreas Becher und Lothar Mahlberg informieren über die Möglichkeiten für Flüchtlinge, einen Aufenthaltstitel mit Hilfe eines juristischen Beistandes durchzusetzen.

 Die Rechtsanwälte Lothar Mahlberg (links) und Andreas Becher.

Die Rechtsanwälte Lothar Mahlberg (links) und Andreas Becher.

Foto: Axel Vogel

Herr Becher, hat ein Flüchtling die Möglichkeit, seine Rechte bereits dann durchzusetzen, wenn er noch keinen Asylantrag stellen konnte?
Andreas Becher: Wenn ein Asylantrag noch nicht einmal registriert wird, was zurzeit häufig erst nach Monaten geschieht, kann ein Eilantrag „auf Registrierung und Entgegennahme des Asylantrages“ beim Verwaltungsgericht gestellt werden. Oder eine sogenannte Untätigkeitsklage. Der Anwalt kann darüber beraten. Wenn der Flüchtling Sozialleistungen bezieht, kann er einen Beratungshilfeschein beantragen. Dann zahlt die Gerichtskasse die Anwaltskosten für die Vertretung gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf).

Wo bekommt man einen solchen Beratungshilfeschein?
Lothar Mahlberg: Der wird von einem Rechtspfleger am Bonner Amtsgericht ausgestellt, und zwar nicht nur für Flüchtlinge, sondern für jeden Bedürftigen, der rechtlichen Beratungsbedarf hat und sich den Gang zum Rechtsanwalt „nicht leisten kann“. Bei der Vorprüfungsstelle im Amtsgericht muss er den Gegenstand, für den er Rechtsrat benötigt, beschreiben und seine Mittellosigkeit belegen.

Ist es für einen Flüchtling realistisch, Beratungshilfe zu bekommen?
Mahlberg: Im Prinzip schon. Die Bewilligungspraxis der verschiedenen Amtsgerichte ist zwar durchaus unterschiedlich, beim Amtsgericht Bonn kann ein Flüchtling aber auch im Vorfeld der Asylantragstellung mit der Erteilung eines Beratungshilfescheins rechnen.

Wie sieht das aus, wenn ein Ablehnungsbescheid des Asylantrages durch das Bamf vorliegt?
Becher: Dann kann der Flüchtling dagegen juristisch vorgehen. Fehlen dazu die Mittel, kann Prozesskostenhilfe beim Verwaltungsgericht beantragt werden.

Und sich dann auf Gerichtskosten durch alle Instanzen klagen?
Becher: Das kommt darauf an, welche Erfolgsaussichten eine Klage hat. So dürfte es etwa für Flüchtlinge aus den Balkanländern schwer werden, Prozesskostenhilfe zu bekommen, da Kläger aus diesen Ländern in 99 Prozent der Fälle vor Gericht verlieren. Mehrere Instanzen gibt es im Asylrecht übrigens nicht so oft, meist ist beim Verwaltungsgericht Schluss. Es soll bald sogar gerichtliche Schnellverfahren geben.

Spiegelt sich die Flüchtlingskrise in Bonn in steigenden Mandantenzahlen wieder?
Becher: Die wenigen Anwälte, die sich auf Migrationsrecht spezialisiert haben, können sich über Arbeitsmangel nicht beklagen.

Kritiker werfen der Anwaltschaft vor, dass Ihr Berufsstand ein hohes wirtschaftliches Interesse hat, alle Klagemöglichkeiten, die Flüchtlingen haben, auszuschöpfen.
Mahlberg: Dieser Vorwurf ist unhaltbar. Wir leben in einem Rechtsstaat, der ein hohes Verfassungsgut ist, und in diesem hat jeder, ob er Flüchtling, Deutscher oder Ausländer mit geregeltem Aufenthaltsrecht ist, die Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen und staatliche Entscheidungen durch unabhängige Gerichte überprüfen zu lassen. Der Staat zahlt für den Rechtssuchenden mit Beratungshilfeschein eine pauschale Beratungsgebühr von 42 Euro. Wird der Anwalt im Rahmen der Beratungshilfe außergerichtlich tätig, erhält er eine feste Pauschale von 120 Euro. Für keine Kanzlei kann es kostendeckend sein, wenn sie allein von solchen Mandanten leben müsste. Eher das Gegenteil ist richtig: Solche Fälle sind eine Art „Sozialhilfeleistung“ der Anwaltschaft, die nur erbracht werden kann, wenn eine Kanzlei über einen breiten „Mandantenmix“ verfügt.

Sehen Sie eine Gefahr, dass eine Flut von Klagen auf die Gerichte zukommt, wenn das Bamf jetzt über Hunderttausende Asylanträge entscheiden muss?
Mahlberg: Natürlich ist das nicht auszuschließen. Auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise werden wir erkennen müssen, dass uns unser Rechtssystem etwas wert sein muss. Der Haushalt für die Justiz macht gerade einmal drei Prozent des Landeshaushalts aus. Hier wird die Politik Weichenstellungen zu prüfen haben, wenn ein Zusammenbruch des Rechtssystems vermieden werden soll. Ein verantwortungsvoller Anwalt klagt nie „um jeden Preis“, sondern wägt die Chancen ab.

Aber auch wer kein Asyl bekommt, hat trotzdem gute Chancen zu bleiben?
Mahlberg: Richtig ist, dass sich an ein erfolgloses Asylverfahren oft lange „Duldungszeiten“ anschließen, in denen die Betroffenen hier gewissermaßen „verwurzeln“. Es ist eine politische Entscheidung, auf die die Anwaltschaft keinen unmittelbaren Einfluss hat, wie der Staat auf diese Fakten reagiert.
Becher: Hierbei muss man ergänzen, dass derzeit über die Hälfte der Asylbewerber, etwa jene aus Syrien, einen positiven Bescheid bekommen. Bei den restlichen gilt es zu differenzieren: Menschen aus Balkanländern haben praktisch keine Chance mehr, andere können Duldungsgründe geltend machen, weil eine Abschiebung nicht funktioniert.

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