Jochen Flasbarth Interview mit Umwelt-Staatssekretär über die Modellstadt Bonn

Bonn · Die Ankündigung des Bundesumweltministeriums, Bonn solle zu einer von fünf Modellstädten werden, hat viel Aufmerksamkeit erfahren. Mit Staatssekretär Jochen Flasbarth sprach Rüdiger Franz.

Herr Flasbarth, mit der Auswahl von fünf Modellstädten hat die geschäftsführende Bundesregierung die Öffentlichkeit überrascht. Wie fiel die Wahl auf Bonn?

Jochen Flasbarth: Die Idee einen kostenlosen ÖPNV in einigen Musterstädten zu testen, kam aus dem Kanzleramt. Es war eine von weiteren ergänzende Maßnahmen zur Luftreinhaltung, die der EU-Kommission vorgelegt worden sind. Bei der Auswahl der Musterstädte sollte es sich um Städte handeln, die starke, mittlere und niedrige Grenzwertüberschreitungen haben. Die Fachleute haben dann Bonn als Stadt mit Überschreitungen im mittleren bis niedrigen Bereich vorgeschlagen.

Sind die Experten hinsichtlich der Stadt Bonn über die reinen Werte hinaus ins Detail gegangen?

Flasbarth: Es spielte durchaus eine Rolle, dass es in Bonn schon sehr gute Ansätze bei der Elektromobilität gibt. Wie aktiv die Stadt ist, haben wir schon bei der gemeinsamen Vorbereitung der Weltklimakonferenz gemerkt. Bonn hat, wie andere Städte in Deutschland, an manchen neuralgischen Verkehrsknotenpunkten Probleme, die Vorgaben bei der Luftreinhaltung einzuhalten. Ich denke hier vor allem an die Reuterstraße, die ein Nadelöhr in der Stadt ist. Die hohe Schadstoffbelastung wird vermutlich auch ein kostenloser Nahverkehr nicht lösen können. Ich kann mir aber andere Ansätze vorstellen, beispielsweise eine stärkere Digitalisierung der Verkehrslenkung. Damit könnte der Individualverkehr stärker gespreizt werden.

Das korrespondiert mit der Erklärung von Regierungssprecher Seibert. Er verwies vor einigen Tagen darauf, dass es nicht darum gehe, in allen fünf Modellstädten sämtliche infrage kommende Maßnahmen zu testen.

Flasbarth: Genau. Es gibt ja ein ganzes Bündel an möglichen Maßnahmen, die jetzt getestet werden sollen. Eine Frage ist beispielsweise, inwieweit man Taxi- oder Carsharing-Unternehmen stärker an bestimmte Auflagen binden und den Branchen durch öffentliche Förderung Nachteile ersparen kann. Der kostenlose ÖPNV hat den meisten medialen Widerhall gefunden. Im Umweltministerium haben wir uns über die Renaissance der Debatte sehr gefreut. Sie zeigt, wie groß das Interesse an einem hochwertigen ÖPNV ist.

Gibt es eine Stadt, von der Sie sagen: Mensch, so wie hier müsste es doch eigentlich überall laufen?

Flasbarth: Es gibt viele Städte, an denen man sich ein Beispiel nehmen kann. Münster ist beispielsweise für den exzellenten Ausbau der Radwegeinfrastruktur bekannt. In Berlin ist hingegen der ÖPNV viel besser ausgebaut als in anderen großen Städten. Wenn der Dieselskandal dafür sorgt, dass es eine breite Diskussion über einen verbesserten Personennahverkehr gibt, dann haben wir einen großen Schritt getan.

Viele fragen sich: Wer soll das alles bezahlen?

Flasbarth: Die Modellvorhaben werden aus dem Bundeshaushalt mitfinanziert. Wir haben das Milliardenprogramm „Saubere Luft“ aufgestellt und ich bin sicher: für eine gute, überzeugende Idee wird auch Geld da sein. Die viel größere Frage wird aber sein, wer am Ende zahlt, wenn aus den Modellen reale Verkehrsvorhaben werden sollen? Klar ist sicher eines: Für einen vernünftigen Ausbau des ÖPNV, den wir unweigerlich brauchen, müssen weitere Mittel bereitgestellt werden. Mit mehr Elektromobilität und technischen Verbesserungen an den Fahrzeugen allein werden wir die dringend erforderliche Modernisierung des gesamten Verkehrs auf jeden Fall nicht schaffen.

Mit welchen Schritten wird das Ministerium den Modellstädten jetzt konkret unter die Arme greifen?

Flasbarth: Wir werden die Vertreter der Städte bereits an den kommenden Montag zu einem Gespräch nach Bonn einladen. Die Koordination wird in Zusammenarbeit mit den anderen zuständigen Ministerien stattfinden.

Wie zufrieden ist man im Bundesumweltministerium mit dem Ergebnis des Koalitionsvertrags?

Flasbarth: Es ist ja derzeit Mode geworden, alles madig zu reden. Daran können wir uns im Umweltressort definitiv nicht anschließen. Mit dem Koalitionsvertrag ist eine gute Grundlage gelegt, im Umwelt- und Klimaschutz zu besseren Lösungen zu kommen. Auch das Thema Luftreinhaltung ist stark verankert. Beim Thema Naturschutz wurde viel Gutes vereinbart. Dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 nicht erreichen wird, ist nicht auf den Koalitionsvertrag zurückzuführen, sondern auf eine nicht ausreichende Politik der letzten zwei Jahrzehnte.

Wie wird der Bürger in der nächsten Legislaturperiode konkret die Handschrift des Umweltministeriums spüren?

Flasbarth: Wie werden sowohl bei der Energieversorgung als auch beim Thema Verkehr in den nächsten vier Jahren zu sehr weitreichenden Veränderungen kommen. Im Verkehr müssen wir bis 2030 die CO2-Emissionen um 40 bis 42 Prozent mindern. Bisher ist in diesem Bereich seit 1990 nichts geschehen. Das zeigt: Wir müssen zu einem weitreichenden Umbau des Verkehrssektors kommen, und wie gesagt: Das wird sich nicht nur in einer Elektrifizierung, sondern in einer Veränderung des Stadtbildes mit mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer, für Busse und Bahnen zeigen.

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