Internationaler Tag der seelischen Gesundheit Interview mit LVR-Klinikchef über psychische Störungen

Bonn · Psychische Störungen sind derzeit die vierthäufigste Ursache dafür, dass Menschen arbeitsunfähig werden. Zum internationalen Tag der seelischen Gesundheit sprachen wir mit Professor Markus Banger, ärztlicher Direktor der LVR-Klinik.

 Prof. Markus Banger

Prof. Markus Banger

Foto: LVR-Klinik

Was sehen Sie als größte Gefahr für die seelische Gesundheit an?

Professor Markus Banger: Wir haben eine Tendenz zur Optimierung in unserem Geschäftsleben entwickelt und sind jetzt dabei, dies auch auf den zwischenmenschlichen Bereich anzuwenden. Wir warten auf den optimalen Partner oder Freund. Man verliert sich in einem ewigen Hamsterrad der Selbststeigerung. Bindungsarmut führt wiederum zu Ängsten vor Veränderungen, und wir werden manipulierbar. Hier ist ein kleiner Schubs notwendig, eine Verweigerung der Selbstoptimierung.

Seelisch achtsam mit sich umzugehen: Wie geht das?

Banger: Etwa sich selbst zu fragen: Was denke und fühle ich gerade? Erwarte ich Positives am heutigen Tag? Man sollte „die einfachen Dinge“ bewusst tun, vom Anziehen und Zähneputzen zum Frühstücken oder Autofahren. Essen und Trinken sind wichtige Übungsfelder. Und ungeplante Pausen sollten als aktive Wartezeit genutzt werden: nicht fürs Smartphone, sondern fürs Ich.

Was tun Sie selbst heute für Ihre seelische Gesundheit?

Banger: Ich bin auf den Weg nach Berlin zum Weltkongress der Psychiatrie, um mich fortzubilden und mich mit Kollegen auszutauschen. Das wird auch eine Art „Klassentreffen“.

Mit welchen Symptomen beginnen psychische Erkrankungen?

Banger: Unterschiedliche Erkrankungen haben unterschiedliche Vorläufersymptome. Häufig finden wir aber einen sozialen Rückzug, eine Zunahme von irrationalen Ängsten, ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit, Unfähigkeit, Nähe zu ertragen, Schwierigkeiten, den Ansprüchen zu entsprechen. Oder auf der anderen Seite auch eine sehr labile Stimmungslage mit massiven, nicht nachvollziehbaren Ausschlägen nach oben und unten.

Welche Erkrankungen sind heilbar? Welche nicht?

Banger: Die Psychiatrie ist ein therapeutisches Fach. Sehr vielen Menschen kann geholfen werden. In einigen Fällen geht es uns wie in der „Körpermedizin“, das heißt, wir lindern Beschwerden. Aber wir können nicht immer verhindern, dass sie wiederkommen.

Welche Abhängigkeitserkrankung behandelt die LVR-Klinik am meisten?

Banger: Im stationären Bereich ist es noch immer die Alkoholabhängigkeit. Im ambulanten Bereich sehen wir viele Frauen und Männer mit einer Angststörung oder einer Depression, die längere Zeit versucht haben, ihre Beschwerden mit Suchtmitteln zu lindern.

Inwieweit können Sie erkrankten Senioren helfen?

Banger: Seelische Erkrankungen im Alter sind häufiger als üblicherweise vermutet. Werden sie fachgerecht erkannt, lassen sie sich in der Regel gut und erfolgreich behandeln. Die LVR-Klinik hat eine Abteilung für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie, die sich auf die Diagnostik und Behandlung von Menschen über 65 Lebensjahren spezialisiert hat.

Gibt es Fälle in der Jugendpsychiatrie, der Sie besonders berühren?

Banger: Junge Menschen mit einer Armuts- oder Reichtumsverwahrlosung finde ich persönlich schwer zu ertragen, da diese Probleme vermeidbar sind, wenn man rechtzeitig hinschaut. Die enge Zusammenarbeit von Eltern, Schulen, Ämtern, Hausärzten, Psychiatern, Diakonie, Caritas und Kliniken ist so wichtig.

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