Samen aus der Kläranlage Im Bonner Rheinbett wachsen Tomaten

Bonn · Wer derzeit am Rhein spazieren geht, hat keine Tomaten auf, sondern vor den Augen: Unterhalb der Rheinauen-Kläranlage sprießt das Gemüse Hundertfach aus dem Rheinbett.

„Der Schlick ist besonders fruchtbarer Boden, die warmen Temperaturen haben das Wachstum gefördert“, erklärt Markus Radscheit von den Botanischen Gärten der Uni Bonn. Doch wie die Samen dorthin gekommen sind, darüber sind sich Experten uneins.

Tiefbauamtsleiter Peter Esch, in dessen Aufgabenbereich der Betrieb der Kläranlagen fällt, hat auch Tomatenpflanzen entdeckt. Und zwar in den Containern, in denen im Abwasser enthaltener Sand gesammelt wird. „Im sogenannten Sandfang, der ein Teil der mechanischen Reinigungsstufe ist, lagert sich dieser Sand ab“, erklärt Esch.

Er wird dann regelmäßig entnommen und landet in den Containern. Das lege zunächst nahe, dass die Tomaten am Rhein tatsächlich aus der Kläranlage stammen. „Dass die Samen jedoch auch die biologische Reinigungsstufe überleben, ist unwahrscheinlich“, sagt Esch. Spätestens im letzten Schritt, der Filtration, gehe kein Samenkörnchen mehr durch.

Tomaten wachsen im Bonner Rheinbett
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Markus Radscheit hält die Erklärung, die auch GA-Leser Matteo Pedicillo äußert, hingegen für gar nicht so abwegig. „Tomatensamen sind sehr anpassungs- und widerstandsfähig“, sagt Radscheit. Mühelos würden sie die Reinigungsstufen der Kläranlage überleben und dann vor dem Abfluss, der in den Rhein führt, gedeihen.

Die Kläranlage leitet aufbereitetes Wasser nämlich in den Fluss ein. Es könnten aber auch Samen sein, die schon lange Zeit im Schlick des Rheins enthalten sind. „In Bad Honnef habe ich die schnell wachsenden Tomatenpflanzen auch schon beobachtet.“ Biologisch gesehen ist das Niedrigwasser für Botaniker die spannendste Zeit des Jahres. Denn der Schlick, der unter den vielen Steinen verdeckt liegt, ist extrem fruchtbarer Boden. „Das machten sich schon die alten Ägypter zunutze“, erklärt Radscheit.

Tomatenarten sind nicht zu bestimmen

Sie säten ihren Reis immer dann aus, wenn der Nil über die Ufer getreten war und beim Zurückweichen Schlamm hinterlassen hatte. Für den Rhein bedeutet das, dass sich bei Niedrigwasser im Spätsommer „interessante Pioniergesellschaften“ bilden. Dazu gehören dann auch Tomaten, Kastanien oder sogar Flieder.

Die Tomatenarten, die nun dort wachsen, lassen sich laut Radscheit nicht bestimmen. „Weil es Nachkommen aus Samen sind, die von handelsüblichen Tomaten stammen.“ Sie haben nichts mit dem zu tun, was man vorher im Supermarkt gekauft hat.

Der Grund dafür ist der sogenannte Heterosiseffekt. Den macht sich die Landwirtschaft schon lange zunutzen: So werden durch Kreuzungen schwache und wenig ertragreiche Pflanzen gezüchtet. Kreuzt man diese wiederum untereinander, entstehen nach den Mendelschen Gesetzen, die man aus dem Biologieunterricht kennt, Hybride.

Sie sind dann sogar stärker und besser als ihre normalen Artgenossen. Doch in den folgenden Generationen geht der Leistungsvorteil wieder verloren. Anders als samenfeste Sorten muss Hybridsaatgut deshalb jedes Jahr neu gekauft werden.

„Trotzdem kann man die Tomaten, die im Rhein wachsen, bedenkenlos essen“, sagt Radscheit. Allerdings bleibt dafür nicht mehr viel Zeit: Der Rheinpegel steigt in den nächsten Tagen wieder. Bis die Tomaten reif sind, werden noch ein paar Wochen vergehen. „Und sobald der erste Frost kommt, gehen die Tomatenpflanzen ein.“

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