Notruftelefon Hilfe für misshandelte Senioren

BONN · Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter beklagt fehlende Unterstützung durch die Stadt. Verein mit 60 Ehrenamtlichen wurde vor 18 Jahren gegründet.

 Das Team von Handeln statt Misshandeln: Bärbel Markowsky-Rohe, Lydia Kassing, Rolf Hirsch und Dana Wiese.

Das Team von Handeln statt Misshandeln: Bärbel Markowsky-Rohe, Lydia Kassing, Rolf Hirsch und Dana Wiese.

Foto: Horst Müller

Gewalt gegen alte Menschen hat viele Facetten. Drastisch beschreibt Professor Rolf Hirsch, Vorsitzender der Beratungsstelle „Handeln statt Misshandeln – Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter“ (HsM) die enorme Bandbreite. „Nicht nur körperliche Angriffe, sondern auch Grausamkeiten, Demütigungen, Beleidigungen, Kränkungen und Sticheleien sowie Vernachlässigung, Einschränkung des freien Willens und finanzielle Schädigung gehören zur alltäglichen Gewalt, die Senioren erleiden und erdulden.“ Dabei finden die meisten Misshandlungen in vertrauter Umgebung statt. „Die größte Liebe, aber auch die größten Grausamkeiten erfahren alte Menschen in der Familie.“

Vor 18 Jahren wurde die unabhängige Notruf-, Beratungs- und Informationsstelle als Verein eingerichtet. Ende des Monats stellt das Team um Professor Hirsch allerdings die Arbeit ein. Als Grund nennt er „Desinteresse und finanzielle Unsicherheit“. Denn kontinuierliche Zuschüsse der Stadt seien reduziert und teilweise erst mit großer Verzögerung bereitgestellt worden. „Das war am Ende sehr zermürbend“, so der Vorsitzende des Vereins mit rund 60 Mitgliedern und ergänzt: „Ehrenamtler können eine kommunale Aufgabe auf Dauer nicht leisten.“

Knapp 40.000 Anrufe beim Nottelefon seit 1998

Er wird im Februar die Privatinitiative „Handeln statt Misshandeln – Forum Altern ohne Gewalt“ gründen. „Dann sind wir niemandem Rechenschaft schuldig“, so Hirsch. Dann wird er jedoch auch auf den Zuschuss der Stadt zum Betrieb der Beratungsstelle verzichten müssen. Im vergangenen Jahr bekam der Verein 14 000 Euro. „Es ist schon erstaunlich, dass im Hinblick auf die demographische Entwicklung eine Krisen- und Notrufberatungsstelle für alte Menschen nicht erforderlich erscheint. Für alle anderen Bereiche wie Kinder und Jugendliche, Frauen oder Migranten ist dies für eine Kommune selbstverständlich, nur nicht für Senioren.“

Wie wichtig die Arbeit in der Vergangenheit war, belegt er anhand einiger Zahlen: Seit 1998 sind deutschlandweit etwa 37 500 Anrufe (ein Drittel davon aus Bonn) beim Notruftelefon eingegangen, davon über 13 700 Notrufe (die Hälfte aus der Region). Rund 23 700 Anrufe kamen zu Fragen über Vorsorgevollmacht, Betreuung, Vermittlung der Altenhilfe, Heimaufsicht, Therapeuten, ambulante Pflegedienste und Haushaltshilfen. Etwa 3700 Krisen-Beratungsgespräche wurden durchgeführt. Sobald die Helfer von einem Nachbarn, aus dem Wohnumfeld eines Betroffenen oder einem Seelsorger auf Missstände hingewiesen werden, versuchen sie, in Gesprächen Hilfsangebote zu vermitteln. „Für einen alten Menschen in einer Lebenskrise gibt es keine Anlaufstelle – erst wenn Pflegebedürftigkeit besteht“, so Hirsch.

Aber nicht nur die alten Menschen brauchen bei Gewalterfahrungen Ansprechpartner und Hilfe. Auch pflegende Angehörige und Pfleger, die aus eigener Überforderung handgreiflich werden, brauchen Anleitungen zur Bewältigung der belastenden Situationen. „Alte Menschen sind nach wie vor Verlierer unserer Leistungs- und Wertegesellschaft“, resümiert Professor Hirsch.

Die Privatinitiative ist unter der Rufnummer 18 08 89 90 zu erreichen.

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