Anschlagsversuch am Bonner Hauptbahnhof Höchststrafe für den Bonner Bombenleger

Bonn · Im Terrorprozess um eine Bombe am Bonner Hauptbahnhof ist der Hauptangeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auch seine Mitangeklagten erhielten lange Haftstrafen.

Sonnenschein, Sicherheitskräfte, zwei Dutzend Medienvertreter und Fernsehkameras. Vieles an diesem Montagnachmittag im Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf erinnert an den Prozessauftakt im September 2014. Auch, dass die Sitzung auf die Minute pünktlich beginnt, was seit der Eröffnung dieses Verfahrens dann nie wieder vorkam. Und dann ist da natürlich der Hauptangeklagte Marco G., auf den jetzt wie zu Beginn mehrere Fernsehkameras gerichtet sind. Und der 30-jährige Bonner nutzt die sich bietende Bühne. „Allahu akbar“ (Allah ist groß“) ruft der Salafist laut und streckt den rechten Zeigefinger gen Richterbank. Es gibt nur einen Gott, und zwar Allah, soll diese Geste bedeuten.

Auch die drei Mitangeklagten, Enea B. (46), Koray D. (28) und Tayfun S. (27) haben ihre Plätze eingenommen, ihnen gegenüber Oberstaatsanwältin Duscha Gmel als Vertreterin der Bundesanwaltschaft. Die Zuschauerbänke gehören den Journalisten. Lediglich zwei Anwesende sind seit vielen Monaten bekannt dafür, dass sie die Verhandlung aus Sympathie zu den Angeklagten verfolgen. Richter Frank Schreiber, Vorsitzender des fünften Strafsenats am OLG, nutzt den Augenblick, da sich der Saal erhoben hat, und beginnt mit der Urteilsverkündung.

Reglos verfolgt Marco G. die Nachricht, dass er als Urheber des gescheiterten Bombenanschlags vom Bonner Hauptbahnhof und als Rädelsführer im Mordkomplott gegen den Vorsitzenden der Partei Pro NRW lebenslänglich ins Gefängnis muss. Wie in der Frühphase des Prozesses verweigert er dem Gericht durch das Tragen einer Mütze demonstrativ den Respekt und hat sich heute für ein schwarzes Kopftuch entschieden. Ausnahmsweise aber bringt ihm dies keine Ordnungshaft ein, von der der 30-Jährige längst 160 Tage kassiert hat, die nicht auf die Untersuchungshaft angerechnet werden. „Heute, Herr G.“, sagt Richter Schreiber später mit Blick auf das Tuch, „ist alles inklusive“. Marco G. reagiert mit breitem Grinsen.

Auch einer vorzeitigen Entlassung nach 15 Jahren haben die Richter den Weg verstellt, indem sie die besondere Schwere der Schuld anerkannt haben. Beim Strafmaß für die drei Komplizen hingegen bleibt der Senat hinter den Forderungen der Anklagebehörde zurück: Enea B. und Koray D. müssen für zwölf, Tayfun S. für neuneinhalb Jahre hinter Gitter.

Kaum hat Schreiber zu seiner fast fünfstündigen Begründung übergeleitet, da bricht erst einmal Unruhe aus und eine Reihe der Medienvertreter verlässt den Saal. Die wichtigste Nachricht will getwittert, online veröffentlicht oder – bei den Vertretern der alten Schule – in die Redaktion telefoniert werden.

Und so verpasst mancher, wie Frank Schreiber über mehrere Stunden Zusammenhänge herstellt, Thesen der Verteidigung verwirft und letztlich ein Bild zeichnet, in dem am Ende ein schlüssiger Zusammenhang der beiden Tatkomplexe ebenso reliefhaft erkennbar wird wie die Art der persönlichen Beziehungen, in denen die drei Angeklagten miteinander standen. Den zweieinhalb Jahre währenden „Kampf um das Recht“, wie es Juristen nennen, hatten über weite Strecken kleinteilige Auseinandersetzungen um formale Belange oder detaillierte Spezialfragen dominiert, sodass mancher Prozessbeobachter sich fragte, ob das Große und Ganze am Ende womöglich von scharmützelhaften Beweisanträgen zerfasert werden könnte.

Nun aber ist Schreiber der Herr über die Details (siehe Artikel auf dieser Seite), und auch die Chronologie der Ereignisse damals, zwischen dem Herbst 2012 und dem Frühjahr 2013, rückt sich in der Gesamtdarstellung wieder in der korrekten Reihenfolge zurecht. Ausführlich legt der Vorsitzende mit sonorer Stimme dar, wann sich das Quartett zusammenfand und warum es sich nach Überzeugung des Senats um eine terroristische Vereinigung gehandelt hat – was für Strafmaß und Urteil von erheblicher Bedeutung ist. Dass Marco G. eben keine Attrappe bauen wollte, sondern einen funktionierenden Sprengsatz. „Zünder, stabil und robust“, so lautete demnach eine Schlagwortsuche, die in einem bekannten Internetkanal auch prompt zum erstrebten Fundstück führte. Die Überschrift der Anleitung zum Bombenbau „How to make a bomb in the kitchen of your mother“, die bei G. gefunden wurde, ist unter Prozessbeobachtern zu einem geflügelten Begriff geworden.

Was über der kleinteiligen Prozessführung in den Hintergrund geriet: Der Mittzwanziger aus dem Memelweg in Tannenbusch bestellte offenbar sprengfähiges Material in rauen Mengen. Mehr jedenfalls, als es für die Dimension der am Bonner Hauptbahnhof gefundenen Rohrbombe bedurft hätte. Schreiber wörtlich: „Hier sind Mengen eines Sprengstoffgemischs bestellt worden, die deutlich über die Füllmenge des 20 Zentimeter langen Rohrkörpers hinausgehen“.

Der vermeintlich fehlende Zünder hingegen sei wohl derart klein gewesen, dass sein Verschwinden beim Beschuss des Sprengsatzes mit einer Wasserkanone, aus Sicht des Gerichts keine Überraschung mehr darstellt. Auf der Anklagebank schwindet da schon die Konzentration. Es wird getuschelt und gefrotzelt. Später geht es zurück in die JVA. Nach der Revisionsfrist wird aus der Untersuchungshaft eine lange Strafe werden. Für Marco G. lebenslang.

Die Verteidigung kündigt noch am Abend Revisionsverfahren an. „Dieses Urteil ist falsch. Der Wahlkampf hat begonnen“, sagt der Bonner Strafverteidiger Peter Krieger. Zumindest statistisch spricht vieles gegen einen Erfolg. Denn in Strafsachen wird das angefochtene Urteil lediglich auf Rechtsfehler überprüft und endet in der weit überwiegenden Zahl der Fälle mit der Verwerfung der Revision als "offensichtlich unbegründet". Im Jahr 2016 seien dies etwa 75 Prozent der Fälle gewesen, wie der Düsseldorfer Fachanwalt für Strafrecht Andreas von Dahlen auf Anfrage und unter Verweis auf die Jahresstatistik der Strafsenate zu berichten weiß. Von Dahlen: "In den verbleibenden Revisionsverfahren ergehen lediglich in vier Prozent der Fälle Beschlüsse, mit denen das angefochtene Urteil vollumfänglich aufgehoben wird". Ein so genanntes „Durcherkennen“ auf Freispruch gemäß Paragraf 354 Absatz 1 StPO, so von Dahlen, dürfte die absolute Ausnahme und statistisch im Promillbereich anzusiedeln sein.

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