Fassaden in Bonn Grau, quadratisch, umstritten

Bonn · Dunkle und kubische Gebäude prägen zunehmend das Bonner Stadtbild. Kritik kommt nicht nur von den Bürgern, sondern auch aus Architektenkreisen.

 "Dunkelgrauer Schuhkarton" oder "architektonisches Attentat": Die Fassade des neuen Schulgebäudes der Marie-Kahle-Gesamtschule in Castell ist bei Bürgern und Architekten gleichermaßen umstritten.

"Dunkelgrauer Schuhkarton" oder "architektonisches Attentat": Die Fassade des neuen Schulgebäudes der Marie-Kahle-Gesamtschule in Castell ist bei Bürgern und Architekten gleichermaßen umstritten.

Foto: Dennis Sennekamp

Ist grau gleich grässlich? Nachdem der niederländische Haupteigentümer des Brückenforums angekündigt hatte, dem Gebäude einen grauen Anstrich verpassen zu wollen, liefen lokale Politiker Sturm und stellten sich dem Vorhaben entgegen (der GA berichtete).

Jetzt meldet sich auch die Stadt Bonn als Miteigentümerin zu Wort und schlägt sich auf die Seite der Beueler Lokalpolitiker. „Wir bestehen auf keinen Fall auf einem Anstrich in Grau“, sagt Stefanie Zießnitz vom Presseamt. „Der Anstrich soll sich nur nicht mit der Farbe des benachbarten Mehlem'schen Hauses beißen“. Eine Einigung steht noch aus.

Der Farbkonflikt hat eine stadtweite Debatte ausgelöst, bei der auch andere öffentliche Gebäude ins Visier geraten. Ob das Bürogebäude am Konrad-Adenauer-Platz, eine neue Kindertagesstätte in Endenich oder der Neubau der Marie-Kahle-Gesamtschule in Castell: In jüngster Zeit werden Gebäude auffällig oft mit einer grauen oder zumindest dunklen Fassade ausgestattet.

Bei der baulichen Gestaltung neuer Bauwerke scheinen die Architekten zudem immer wieder in dieselbe Kerbe zu schlagen, ihre Kreationen erinnern an den sachlichen Bauhausstil des frühen 20. Jahrhunderts. Das Ergebnis sind kubische Konstruktionen in Grau, die sich in die von vielen Altbauten geprägten Stadtviertel einfügen sollen. Bei vielen Bonnern und auch einigen Architekten stößt diese städtebauliche Entwicklung ebenfalls auf wenig Gegenliebe.

Mit der Anmut eines modernen Schlachtschiffs schiebt sich der anthrazitfarbene Neubau der Marie-Kahle-Gesamtschule in die vorderste Häuserreihe an der Kreuzung Graurheindorfer Straße/Augustusring. Ihr gegenüber stehen die mit Backsteinen verkleidete Kirche St. Joseph und die denkmalgeschützte Nordschule.

Wenn nicht gerade die Sonne scheint, versprüht das neue, 16 Millionen Euro teure Gebäude wenig Lebensfreude, findet Anwohner Werner Freesen: „Dieses architektonische Attentat steht direkt neben der alten Nordschule, eine der schönsten Schulen Bonns“, sagt Freesen. „Dass da ein neues Gebäude entsteht, ist ja erfreulich, aber muss es wirklich solch ein abweisender Kasten sein?“

Auch in Expertenkreisen ist der Bau umstritten. „Ich finde, das Haus sieht aus wie ein Schuhkarton“, sagt ein Architekt aus dem Bonner Umland. „Unten ist die Pappe und oben der Deckel. Die Gestaltung ist viel zu kalt gehalten, ich kann damit emotional nichts verbinden.“

Entworfen wurde die Schule vom Aachener Architekturbüro Hahn-Helten. Doch warum orientierten sich das mehrfach ausgezeichnete Planungsteam und die Stadt Bonn als Auftraggeber bei der Gestaltung der Fassade nicht an den Altbauten rund um das neue Gebäude?

„Die Form- und Farbgebung der Fassade versucht, nicht die historischen Gebäude der Umgebung zu imitieren, sondern soll sich bewusst von diesen abheben und mit diesen gemeinsam ein stimmiges Ensemble bilden“, erklärt Stefanie Zießnitz. „Die Fassadengestaltung wurde mit dem Denkmalschutz abgestimmt und bewusst ruhig und zurücknehmend gewählt.“ Das Aachener Planungsbüro wollte sich zu dem Thema nicht äußern

Sind die grauen Fassaden ein neuer Trend? „Viele Projekte, die wir in letzter Zeit betreut haben, folgen zwar diesem Muster“, sagt Medine Inal von der Bonner Ortsgruppe des Bundes Deutscher Architekten. „Ein Trend ist jedoch nur schwer auszumachen, vermutlich finden die Architekten den Gegensatz 'alt-zu-neu' einfach interessant.“

Auch Jan Schüsseler, Referent der Architektenkammer NRW, hält die „Grau-Welle“ nicht für eine neue Mode – zumindest nicht im Land. „Andernorts wird dafür extrem farbenfroh gebaut. Zum Beispiel in Münster, wo gerade ein Studentenwohnheim in kräftigen Primärfarben eingeweiht wurde.“ Neuinterpretationen des Bauhausstils sehe man derzeit allerdings häufiger als noch vor einigen Jahren, so Schüsseler.

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