Niederkasseler Straße Gräberfeld in Beuel ist für Archäologen Sensationsfund

Bonn · In Beuel ist bei Bauarbeiten ein fränkisches Gräberfeld gefunden worden - für Archäologen ein Sensationsfund. Das Immobilienunternehmen Bonava muss nun seine Bebauungspläne ändern - es gibt einen Baustopp.

 „Eine Quelle von ungeheurem Wert“: Äußerst sorgfältig wurde an den Bodendenkmälern gearbeitet.

„Eine Quelle von ungeheurem Wert“: Äußerst sorgfältig wurde an den Bodendenkmälern gearbeitet.

Foto: Nicolas Ottersbach

Unvorstellbar ist es für die Brüder Markus (13) und Gregor (8) Hilger, dass unter ihren Füßen vor 1400 Jahren Menschen begraben wurden. „Vor unserer Haustür, und keiner weiß etwas davon“, sagt Markus. Währenddessen schauen sie sich die Fotos auf der Stellwand an, die das Immobilienunternehmen Bonava am Donnerstagabend aufgebaut hat. Bei den Bauarbeiten an der Niederkasseler Straße in Beuel ist man 2018 auf ein riesiges Gräberfeld aus der Frankenzeit gestoßen – bislang sind insgesamt 73 Gräber mit unzähligen Beigaben entdeckt worden. Die Funde wurden nun erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach Ansicht von Experten ist das ein Sensationsfund – der für das Unternehmen allerdings mit hohen Kosten und Verzögerungen verbunden ist.

500.000 Euro haben die Arbeiten gekostet

In Zahlen wirkt die Grabungsstätte unspektakulär: 2200 Quadratmeter, fünf Pferde, 20 Männer, 20 Frauen, neun Kinder und 19 Gräber, die die Archäologen um Ausgrabungsleiter Dáire Leahy nicht mehr zuordnen konnten. Mit seinen Erläuterungen wird daraus aber ein Bild aus einem Alltag, von dem es nur wenige Überlieferungen gibt. Um das den rund 100 Besuchern zu erklären, hat er eine „fränkische Patchworkfamilie“ zusammengestellt. Vater, Mutter, Kind. „Sie stehen wahrscheinlich in keiner direkten Beziehung zueinander, aber hier haben wir ihre Gräber entdeckt“, erzählt er.

Das fränkische Gräberfeld in Beuel ist ein Sensationsfund
10 Bilder

Das fränkische Gräberfeld in Beuel ist ein Sensationsfund

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Der Vater, ein Mann mittleren Alters, war offenbar nicht irgendjemand. „Bei der Menge Waffen, die wir bei ihm gefunden haben, müsste er knietief in Blut stehen“, sagt Leahy. Mehrere Schwerter, Messer, eine Axt, ein Schild und Speere hat man ihm in die Holzkiste gepackt, die mittlerweile verrottet ist. Die Frau trägt üppigen Schmuck, ein Amulett und Perlenketten um den Hals. „Sie hatte auch lederne Wadenbinden an.“ Und das junge Mädchen, von dessen zierlichen Knochen nur noch die Zähne übrig geblieben sind, war überraschenderweise zwischen bearbeiteten Steinen beerdigt worden. Darin waren auch drei Gefäße, die schon damals 400 Jahre alt waren und aus der Römerzeit stammten. „Die müssen die Eltern aus dem Römerlager auf der anderen Rheinseite geholt haben, möglicherweise auch aus einem anderen Grab“, sagt Leahy. Warum, darüber lasse sich aktuell nur spekulieren. „Aber es scheint für sie etwas Besonderes gewesen zu sein.“

Gräber wieder zugeschüttet

Etwas Besonderes – das ist das Gräberfeld für Frank Willer vom LVR-Landesmuseum auf jeden Fall. Er hat die Grabung als Restaurator begleitet und beispielsweise kleinste Glasscherben wieder zu Trinkgefäßen zusammengeklebt. Bei einem Eimer hat er nicht mehr viel retten können. Dafür ist er aber umso spannender. „Wir haben den erst gar nicht gesehen. Dann merkten wird, dass da die Knochen von drei Hähnen drin waren.“ Seine These: Man wollte dem Toten etwas zu essen mitgeben. Aber nicht in irgendeinem Gefäß, sondern einem Eimer aus giftigem Eibenholz. „Diese Eigenschaft machte man sich wahrscheinlich zunutze, um Ungeziefer abzutöten, das mit dem Holz in Berührung kam.“

Das zeige, wie wichtig solche Grabungen für die Nachwelt seien. „Sie sind direkte Quellen von ungeheurem Wert. Sie beantworten Fragen so, wie es keine Bibliothek kann“, sagt Martin Vollmer-König vom Landschaftsverband Rheinland (LVR). Deshalb sei es wichtig, solche Bodendenkmäler zu erhalten, auch wenn das mit starken Einschränkungen für Bauprojekte verbunden sei. Die Gräber wurden nach den Untersuchungen, die im April abgeschlossen waren, wieder zugeschüttet. „Denn nur so bleiben sie so, wie sie einmal waren.“

Baustopp verhängt

Für Bonava bedeutet das einen Baustopp – vorerst. Und 500.000 Euro, die sie für die archäologischen Arbeiten zahlen mussten. Projektleiter Daniel Korschill beschreibt die Situation als „schwierig“, wobei ihm ein gewisser Frust anzumerken ist. „Wir werden uns nun mit Stadt und LVR zusammensetzen und überlegen, wie es weitergeht“, erzählt er. Falls die Gräber in der jetzigen Form erhalten werden müssen, sei es nahezu unmöglich, das restliche Grundstück zu bebauen. Selbst wenn man eine Tiefgarage weglasse, müsse man Platz für die Fundamente haben, die mit den Gräbern kollidieren würden. „Aber wir wollen weiterhin bauen.“ Die angrenzenden Flächen in Streubesitz, die Bonava ebenfalls nutzen wollte, aber noch nicht gekauft hat, habe man zumindest aktuell abgeschrieben. „Wir erwarten, dass dort noch mehr Gräber sind.“

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