GA-Serie „Sprechen Sie Rheinisch?!“ Georg Cornelissen: „Oft geht es um Klatsch und Tratsch“

BONN · In der GA-Serie „Sprechen Sie Rheinisch?!“ hatten wir Leser aufgerufen, uns interessante Dialektbegriffe einzusenden, um Herkunft und Bedeutung zu klären. Zum Abschluss bilanziert Georg Cornelissen, Sprachforscher beim Landschaftsverband Rheinland (LVR), im Gespräch mit Jörg Manhold.

75 Folgen der Rheinisch-Serie sind beim General-Anzeiger erschienen.

75 Folgen der Rheinisch-Serie sind beim General-Anzeiger erschienen.

Foto: GA

Ein Jahr und 75 Folgen Rheinisch-Serie. Wie lautet Ihr Fazit?
Georg Cornelissen: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Uns hat es viel Spaß gemacht. Die Leser haben sich glücklicherweise nicht auf das Feld der Schreibung begeben. Sie haben verstanden, dass der Dialekt eine gesprochene Sprache und die Verschriftung nur das Vehikel ist, um das Wort abzubilden.

Bei uns haben sich viele Leser gemeldet, die viel gelernt haben. Hatten Sie als Sprachwissenschaftler auch Erkenntniszuwachs?
Cornelissen: Ja, viele der eingesandten Begriffe hatten wir auf dem Schirm, vor allem die Klassiker, aber manches kannten wir auch nicht. Etwa das Wort „Festier“ war uns nicht auf Anhieb geläufig. Dann mussten wir die Literatur konsultieren. Und da haben wir selbst viel gelernt.

Sind Sie in Reaktion auf die Serie privat oft angesprochen worden?
Cornelissen: Wir haben nicht die Bekanntheit der Rolling Stones erreicht, aber es kam schon vor, dass uns beim Spazierengehen oder beim Metzger Begriffsvorschläge nahegebracht wurden. Etwa die Erläuterung von „Schavur“, dem Wirsing, ging auf solch eine Begegnung zurück.

Was haben denn die Leser gelernt?
Cornelissen: Im Idealfall, was für eine interessante Sprache der Dialekt ist, mit Alltäglichem und Kuriosa, und auch mit Wörtern, die man nicht ins Hochdeutsche übersetzen kann.

Welche Art von Begriffen hat die Leser besonders interessiert?
Cornelissen: Sehr beliebt sind Personen-, Typen- und Eigenschaftencharakterisierungen. Alles, was mit Aussehen und Verhalten zu tun hat. Es geht ja beim Sprechen, also auch beim Dialekt, oft um Klatsch und Tratsch. Und es ist alles wichtig, was essbar ist. Verben und Adjektive sind dagegen ein bisschen kurz gekommen. Etwa Wörter wie „spack“, das kurz und knapp beschreibt, dass zum Beispiel eine Hose zu eng sitzt. Das ist typisch rheinisch.

Waren die Einsendungen nach Ihrer Einschätzung repräsentativ?
Cornelissen: Nicht für den rheinischen Wortschatz generell. Was typischerweise gerne eingereicht wird, sind Klassiker wie „Öllech“ und „Prummetaat“. Raritäten waren selten. Newcomer, also Wortneuschöpfungen, kamen sogar kaum vor. Nehmen Sie die Formulierung: In die Bütt gehen. Die ist sprachwissenschaftlich gesehen eine sehr junge Redewendung, die sich aus dem Wort „Bütt“ – Wanne – entwickelt hat.

Welchen wichtigen Mundartbegriff haben wir denn noch vergessen?
Cornelissen: Oh, wir haben 75 Wörter erklärt, dann haben wir mindestens 925 vergessen, zum Beispiel das Wort „sickig“. Das ist ein Adjektiv, das vom Verb „sicken“ – ursprünglich „urinieren“ – abgeleitet ist. Es bedeutet so viel wie böse oder sauer sein.

Welche Projekte werden Sie jetzt angehen?
Cornelissen: Ich arbeite an einem Sprachatlas für das Rheinland und an einer Audio-CD mit den Dialekten Nordrhein-Westfalens. Der Kollege Peter Honnen bereitet ein umfassendes etymologisches Wörterbuch für das Rheinland vor. Das alles erfordert viel zeitlichen Einsatz, auch deshalb können wir die Serie nicht fortführen. Es liegt keineswegs daran, dass wir keine Lust mehr hätten.

Man hat den Eindruck, dass der rheinische Dialekt langsam aus dem Alltag verschwindet. Welche Zukunft hat er noch?
Cornelissen: Wir können als Wissenschaftler das Bewusstsein fördern, dass das Rheinische eine eigenständige Sprache ist und nicht weniger wert als andere Sprachen. Sie wird heute seltener im Alltag verwendet, kann aber eine Kultursprache für bestimmte Gelegenheiten bleiben. Es gilt die alte Regel: „Sprechen Sie – wo es geht – Rheinisch!“

Alle Teile der Serie gibt es unter www.ga.de/rheinisch

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