Bundespräsident in Bonn Gauck: Integration braucht Zeit

Bonn · Der Bundespräsident besuchte am Freitag die Bonner Anlaufstelle für auszubildende Migranten und warnte vor zu hohen Erwartungen.

„Ein bisschen Tatkraft“ sei schon noch da, sagt Joachim Gauck und lacht, als ganz am Ende doch noch ein Journalist danach fragt, ob er angesichts des angekündigten Ausscheidens aus dem Amt schon so etwas Wehmut verspüre. „Sie sehen einen vollbeschäftigten Präsidenten.“ Das ihm im Amt verbleibende Dreivierteljahr jedenfalls gedenke er nicht „mit Wehmuts- oder Abschiedsgefühlen zu begleiten“. Also auch (noch) kein Abschied von Bonn, wo das Staatsoberhaupt und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt gestern zu mehreren Terminen weilten.

Für Ende August sei noch eine Bonn-Woche vorgesehen, verrät eine gut informierte Mitarbeiterin diskret am Rande. Und eine andere Kollegin berichtet auf Nachfrage, dass der Fall des in Bad Godesberg erschlagenen 16-jährigen Niklas P. auch den Bundespräsidenten „beschäftigt und erschüttert“ habe. Derweil warten Medienvertreter und Angestellte der Bonner Arbeitsagentur im Empfangsbereich des „Integration Point“ an der Rochusstraße in Duisdorf auf den Besuch. Eben haben die Sprengstoffspürhunde ihre Arbeit getan und die aufgereihte Ausrüstung der Kamerateams einer kritischen Untersuchung unterzogen. Geschnüffel, Getätschel, Gelächter. Dann wird es wieder ernst.

Drei Gesprächsrunden stehen an – mit Vertretern der Arbeitsagentur, mit jungen Migranten und schließlich mit Vertretern der regionalen Wirtschaft, die jugendlichen Flüchtlingen in ihren Betrieben eine Chance geben. Bei der Gelegenheit warnt Gauck vor zu hohen Erwartungen bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt: Sehr viele Zugewanderte hätten die Vorstellung, „dass sie sehr schnell das Geld verdienen können, was ihre Familien zu Hause brauchen oder was sie an ihre Schlepper zahlen müssen. Das wird dann oft ein Frustrationserlebnis“, so der Bundespräsident.

„Hallo, guten Tag“, sagt Gauck, als er den Jugendlichen einer Förderklasse am Heinrich-Hertz-Berufskolleg in Graurheindorf und ihrer Lehrerin Katinka Rödger in einem Konferenzraum begegnet. Kurz darauf haben die jungen Leute aus Syrien, Afghanistan, Iran und Eritrea das Wort und berichten von ihrer Schulausbildung in der Heimat und von ihren Erwartungen, die sie jetzt mit Deutschland verbinden. Sie selbst erwerben sich Anerkennung: Dass die meisten von ihnen nach nur einem halben Jahr so gut Deutsch können, dass sie sich mit einem Präsidenten unterhalten können, nötige ihm großen Respekt ab, sagt Gauck später und ergänzt schmunzelnd: Umgekehrt sei das für ihn und die arabische Sprache jedenfalls nicht mehr vorstellbar.

Positive Erfahrungen

Die Bedeutung von Sprachkenntnissen für den Einstieg in das Berufsleben unterstreichen mehrfach auch die Vertreter der Arbeitsagentur. Im Integrationspunkt als gemeinsamer Anlaufstelle arbeiten seit Anfang Januar die Agentur für Arbeit Bonn/Rhein-Sieg, das Jobcenter Bonn und die Ausländerbehörde der Stadt Bonn zusammen. Ziel ist es, Migranten möglichst schnell in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, oder zumindest erste Schritte einzuleiten.

Das besondere: Die Beratung im Integrationspunkt erfolgt zunächst einmal unabhängig vom Stand des Anerkennungsverfahrens. Betreut werden Asylbewerber, geduldete Personen und Asylberechtigte. So sollen noch vor der Anerkennung als Asylbewerber Potenziale identifiziert werden. Die Möglichkeit, dass damit auch Personen gefördert werden, die eigentlich gar keine Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt haben, wird gestern nur am Rande gestreift. Die inzwischen hohe Anerkennungsquote sowie die Residenzpflicht für Asylbewerber würden in ausreichendem Maße zur Entspannung beitragen, zeigt sich Raimund Becker, Vorstand Regionen bei der Bundesagentur für Arbeit, überzeugt.

Weitgehend positiv sind offenbar auch die Erfahrungen der Unternehmer, die sich stellvertretend für die Wirtschaft zum Kaffee mit dem Präsidenten niederlassen. Nicht zuletzt angesichts der unterschiedlichen Standards in der Ausbildung brauche man einen „langen Atem“, sagt Ruth Maria van den Elzen, Direktorin des Hotels Collegium Leoninum. Dem widerspricht auch Jörg Haas nicht, Geschäftsführer der Softwarefirma HW Partners AG. Definitiv aber sei eine Vermittlungsstelle wie der Integrationspunkt „sehr hilfreich“ als Wegweiser durchs Dickicht von Gesetzen und Behörden. Eine „für Deutschland untypische Flexibilität – ohne die eigenen Grundsätze infrage zu stellen“ so nennt das daraufhin der Bundespräsident. Er sei nicht gekommen, um über die Ausgestaltung der Asylpolitik in Deutschland zu sprechen, sagt Gauck. Doch er nickt lange, als der Alfterer Baustoffhändler Paul Faßbender feststellt, man müsse in der Flüchtlingspolitik „ein Maß finden“.

Fast ist das eine Überleitung zu Gaucks Duktus angesichts unkontrollierter Masseneinwanderung. Denn statt des ultimativen „Wir Schaffen das!“ der Kanzlerin sagte der Präsident: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“. In Duisdorf verzichtet Gauck auf diese Tonlage. Und belässt es bei dem Satz: „Ich habe das Gefühl, dass wir in den nächsten Jahren sehr viel über diese Themen sprechen werden.“ Weiter geht es zum nichtöffentlichen Besuch bei der Deutschen Welle und schließlich in den Dienstsitz, die Villa Hammerschmidt.

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