Zukunft der Mobilität Experte: Bonn braucht eine andere Verkehrssteuerung

Bonn · In Bonn diskutierten Experten über eine nachhaltige Verkehrswende. Ein Geograf aus dem Verkehrsministerium kritisierte dabei die fehlende Vorrangschaltung für die Bahnlinie 66. Es brauche eine andere Verkehrssteuerung in Bonn.

Beständig an- und abschwellender Verkehrslärm dröhnt von der vierspurigen Adenauerallee ins Forum der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Drinnen lachen die Zuhörer über das Bonmot „Sputen statt Bluten“. Es wird der deutschen Verkehrspolitik zugeschrieben, berichtet Moderatorin Helle Jeppesen von der Deutschen Welle. Entstanden ist der zynische Spruch, nachdem das Bundesverkehrsministerium in seinem Unfallverhütungsbericht ernsthaft Senioren-Trainings für schnelles Queren breiter Straßen empfohlen hatte, statt längere Ampelphasen zu fordern.

Dass einer der eingeladenen Diskutanten am Montagabend wegen einer Bahnverspätung nicht kommen kann, passt dann ebenfalls noch in das Bild eines Verkehrs, der nicht mehr vordringlich dem Menschen hilft. Wie „Nachhaltiger Verkehr – Städte für Menschen“ gelingen kann, diskutieren auf Einladung von bpb und Volkshochschule Experten aus Wissenschaft und Bundesverwaltung.

Dass Verkehrsforscher Heiner Monheim seine zuletzt im GA-Interview geäußerte Kritik an der aus seiner Sicht industriehörigen Politik eloquent wie beispielreich wiederholt, wundert im vollen Saal niemanden. Aufhorchen lassen die Äußerungen von Roland Goetzke aus dem Bundesverkehrsministerium. Der Geograf erklärt unumwunden: „Die Städte sind auf den Autoverkehr getrimmt.“ Es brauche eine völlig andere Verkehrssteuerung, sagt er mit Blick auf die fehlende Vorrangschaltung von Ampeln etwa für die Linie 66 im Bonner Stadtgebiet. Es dürfe auch nicht sein, dass Parktickets in Bonn günstiger seien als ein Ticket im Nahverkehr.

Datenschutzfragen ungeklärt

„Bei der politischen Willensbildung hinken wir da hinterher.“ Aus dem Publikum hallt dem Regierungsvertreter dennoch lauter Hohn entgegen, als er ein Bundesprogramm zum Bau von Schnellradwegen erwähnt. Dafür hat der Bund einmalig 25 Millionen Euro ausgelobt, da Radwege nicht in seine Aufgaben fielen. „Das ist, als wolle man mit 3000 Euro eine Autobahn bauen“, spottet Monheim. Er fordert ganz andere Fördersummen. Allein die Stadt Amsterdam investiere jährlich 100 Millionen Euro in den Radverkehr. Schließlich koste der Bau von einem Kilometer Radschnellweg rund 1,5 Millionen Euro.

Sebastian Pretzsch vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden setzt auf Erfolge durch Digitalisierung. Alle Daten von Verkehrsleitstellen, Ampelanlagen oder Nahverkehrsanbietern müssten dazu gebündelt zur Verfügung stehen. Übrigens auch eine Grundvoraussetzung für zukünftiges autonomes Fahren. Problem dabei: Die Daten liegen fahrzeugbezogen vor und könnten so detaillierte Bewegungsprofile von Autofahrern ergeben. Die Datenschutzfragen sind ungeklärt.

Zuhörer merken zudem kritisch an, durch verstärkte Heimarbeit oder Co-Working-Spaces auch in ländlichen Regionen könne viel Berufsverkehr vermieden werden. Spannend dürfte die Folgeveranstaltung am kommenden Mittwoch ab 18 Uhr im Haus der Bildung werden. Dann trifft Oberbürgermeister Ashok Sridharan auf den progressiv in Richtung Verkehrswende agierenden Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Das Publikum im bpb-Forum formulierte für beide schon kritische Fragen von der städtischen Fahrzeugflotte bis zum fehlenden Verkehrskonzept im verdichteten Bundesviertel.

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