Immer schön beweglich bleiben Ex-Superintendent Burkhard Müller feiert 80. Geburtstag

BONN · Mit seiner Haltung zum Sühnetod Jesu löste Burkhard Müller einen Theologenstreit aus. Jetzt feiert der frühere Superintendent 80. Geburtstag.

 Burkhard Müller lebt in Endenich und ist weiterhin aktiv in der Trinitatis-Kirche.

Burkhard Müller lebt in Endenich und ist weiterhin aktiv in der Trinitatis-Kirche.

Foto: Benjamin Westhoff

Es ist bemerkenswert, dass Burkhard Müller ein Bild aus dem Sport benutzt, um zu erklären, wie er Geschichten erzählt. „Keiner interessiert sich für einen ruhenden Ball, der Ball muss sich bewegen.” Und dann zeigt der langjährige Bonner Superintendent in seinem Wohnzimmer kurzerhand in die Luft. Man schaut hin und ist ihm schon auf den Leim gegangen. Geschichten erzählen und Predigten halten: Bestenfalls liegt das nahe beieinander und schlechtestenfalls ganz weit voneinander entfernt. Müller, der evangelische Pfarrer im Unruhestand, der immer noch regelmäßig in der Endenicher Trinitatis-Kirche Gottesdienste leitet, versteht es, den Ball im Spiel zu halten. An diesem Donnerstag feiert er 80. Geburtstag.

Müller wuchs mit seinen vier Schwestern in einem christlich geprägten Elternhaus im westfälischen Herford auf. Der Vater, Jurist, leitete dort die Justizvollzugsanstalt für Jugendliche. Die Mutter hielt jedes der Kinder dazu an, ein Musikinstrument zu lernen. „Vater konnte gut am Klavier begleiten”, sagt Müller. Er selbst spielte Klavier und später Trompete. Abends sangen sie in der Familie gemeinsam Kirchenlieder, saßen beisammen und diskutierten. Klar in der Sache, aber mit aufmerksamem Sinn für die Argumente des anderen. Als Kinder spielten sie außerhalb der Stube mit den Munitionsresten,die aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Boden liegen geblieben waren. „Wenn die Sirenen heulten, hat mich das auch nach dem Krieg noch lange innerlich aufgewühlt.”

Burkhard Müller war 14 Jahre alt, als der Vater die Leitung der Strafanstalt in Siegburg übernahm. Er sorgte wie schon in Herford dafür, dass die eigenen Kinder mit den jugendlichen Straftätern spielten und Zeit verbrachten. „Er hatte eben auch eine pädagogische Ader.” Im Konfirmandenunterricht lehrte der Pfarrer den jungen Müller und die anderen die Zusammenhänge des Sühneopfers. Sie schauten hoch zu Jesu, dem ans Kreuz Genagelten, und dachten bei sich: Das Elend ist meine Schuld gewesen. Mit seiner These, dass dieses alles andere als optimale Verhältnis zwischen Gott und Mensch so nicht zutrifft, hat Müller einen Theologenstreit ausgelöst. Dazu später mehr.

Die Erfahrungen als Konfirmand hielten den jungen Mann nach dem Abitur nicht davon ab, Theologie an den Universitäten Bonn, Tübingen und Heidelberg zu studieren. Als Vikar ging er nach Mönchengladbach und Oberhausen. „Das war für mich eine Zeit der weiteren Politisierung.“ Bundeskanzler Willy Brandt versprach den blauen Himmel über dem mit dunklen Wolken verhangenen Ruhrpott. Wenn die Kumpels mit ihren Staublungen am Samstag ihr Auto wuschen, färbte sich das Schwämmchen schwarz vom Kohlestaub. Den Theologen Müller sensibilisierte das für Umweltthemen. Der Vater von fünf Kindern sparte in seinen Predigten auch als Endenicher Pfarrer die wunden Punkte in der Gesellschaft nicht aus. Er traute ein homosexuelles Paar, als das noch nicht üblich war. Die Kirche war erbost. Der Wert und die Grenzen von Freiheit: ein wiederkehrendes Thema. „Ich bin froh, dass meine Kinder mich immer wieder dazu gebracht haben, meine eigene Haltung zu überdenken“, sagt Müller. Im Endenicher Pfarrhaus saß er mit Frau Hanna und den Kindern oft mittags beim Essen zusammen. Und auch diese Generation diskutierte und musizierte. Der 28 Jahre alte Sohn Fabian hat die Musik zum Beruf gemacht, der Pianist spielt heute auf internationalen Bühnen. Sein Vater leitet noch das Trinitatis-Orchester und den großen Chor. „Was habe ich da am Anfang falsche Einsätze gegeben.“ Fähigkeiten erlernen ist Arbeit, sagt er.

Als klar war, dass Burkhard Müller im Jahr 2000 als Bonner Superintendent aufhören würde, stellte er sich eine bange Frage: „Was soll ich tun, wenn ich von 120 Prozent auf null Prozent runtergehe?“ Er plante diese Zeit akribisch vor. Mehr lesen, die Englischkenntnisse verbessern, Wandern gehen. Dann rief das Erste Deutsche Fernsehen an. Das „Wort zum Sonntag“ sollte er als Sprecher halten. Hinzu kamen Morgenandachten im WDR. Passé waren die detaillierten Pläne. Viel gelernt habe er in dieser Zeit für das Schreiben von Predigten. „Wenn mir die Redakteure in meinen Texten herumgestrichen haben, konnte ich das gut ertragen und habe gedacht: Gut, wenn sie das nicht verstanden haben, musst du es anders schreiben.“

Vor acht Jahren erklärte er, dass das Sühneopfer ein „schauriger Blutopfer-Glaube“ sei, der von der Bibel so nicht gedeckt ist. Damit rührte er an den Überzeugungen einiger konservativer Theologen, die gerne Schatten sehen, wo Müller ein hoffnungsvolles Licht erkennt. Die Nachwehen des anschließenden Gepolters bescherten ihm Einladungen zu Vortragsrunden über zwei Jahre hinweg und einen vollen Weinkeller, weil es stets ein Fläschchen als Präsent gab. „Grundsätzlich steht mir der Sinn durchaus nach Harmonie, aber streitbar darf man auch sein“, sagt Müller. Seine Thesen seien damals auch nicht neu gewesen. Ein anders denkender Theologe aus dem Dunstkreis der Universität habe sie gezielt verbreitet und damit ordentlich Öl ins Feuer gegossen. Es verhielt sich wie in jedem guten Ballspiel. Ohne Gegner ist es langweilig.

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