Ball für Demenz-Kranke in Bonn Erinnerungen im Dreivierteltakt

Bonn · Beim „Ball der Glanzmomente“ im Tanzhaus Bonn für Menschen mit Demenz rückt die Erkrankung für ein paar Stunden in den Hintergrund.

 Rund 40 Paare drehen sich zu den Klängen der Band „Starlight“ im Walzertakt.

Rund 40 Paare drehen sich zu den Klängen der Band „Starlight“ im Walzertakt.

Foto: Benjamin Westhoff

Margret hat heute Mittag sehr lange vor dem Spiegel gestanden. „Ich wollte mich doch besonders chic machen“ erklärt die 74-Jährige, die sich sichtlich wohl in ihrer Haut fühlt. Nun schaut sie wirklich perfekt aus: Aus dem Kleiderschrank hat sie ein elegantes schwarzes Kleid mit Pailletten gewählt, Perlenkette und Ohrringe ergänzen ihr festliches Outfit.

„Die feinen Schuhe habe ich schon lange nicht mehr getragen“, lächelt sie. Für diesen ganz besonderer Tag hat sie die Pumps noch einmal aus dem Karton geholt: Denn Margret geht zum „Ball der Glanzmomente“, einem Tanztreff für Menschen mit Demenz.

„Wir möchten diesen Senioren und ihren Angehörigen oder Betreuern einen schönen Nachmittag bereiten und etwas Glanz in den Alltag bringen. Die Erkrankung rückt für ein paar Stunden in den Hintergrund. Nur der Augenblick ist wichtig“, erklärt Sybille Müller vom Tanzhaus Bonn.

Herausgeputzt mit Anzug und weißem Hemd

Auch Herbert hat sich herausgeputzt. Zum dunkelblauen Anzug trägt er ein weißes Hemd. „Ich komme gerne hier hin“, erzählt er mit leiser Stimme. Wie die meisten Gäste an diesem Tag besucht er regelmäßig die Tanznachmittage. Deshalb kennt Sybille Müller vom Tanzhaus fast jeden persönlich, hat für jeden ein nettes Wort.

Zum festlichen Jahresabschlussball sind rund 80 Gäste im Alter zwischen Ende 60 und Anfang 90 gekommen. Und die lassen sich nicht lange bitten. Kaum hat Michael Kraus von der Band „Starlight“ die ersten Takte des Walzers angestimmt, zieht es alle auf die Tanzfläche.

Gemeinsam drehen sich Senioren, Betreuer und Familienangehörige im Dreivierteltakt. Eigentlich wollte Franz aus Rheinbach erst einmal nur zuschauen. Von der guten Stimmung angesteckt, geht er dann doch langsam zur Tanzfläche und bewegt sich schließlich zur Melodie.

„Für mich ist es immer überwältigend, wenn ich sehe, wie sich die Demenzkranken verändern“, freut sich Sybille Müller. „Die Senioren kommen oft geistig abwesend und teilnahmslos her und verlassen uns fröhlich, wach und sehr glücklich“, beobachtet die Tanzlehrerin, die diese Kurse bereits seit einiger Zeit anbietet. „Wir wollen über die Musik einen emotionalen Zugang zu ihnen finden und gleichzeitig Erinnerung wecken.“

Ein Charmeur der alten Schule

Herbert ist ein Charmeur der alten Schule. Kaum ist der letzte Walzertakt verklungen, nimmt er elegant die Hand seiner Tanzpartnerin und haucht einen Kuss darauf. Dann wird es fetziger. Denn zu den Klassikern von Udo Jürgens rocken die Senioren so richtig ab.

Nach einiger Zeit singen die Ersten bereits den Refrain mit. „Aber bitte mit Sahne“, stimmt auch der 79-jährige Paul mit ein. Regelmäßig begleitet Monika Brodt als ehrenamtliche Betreuerin Senioren zum Tanztreff. „Dabei wird nicht nur die geistige Aktivität gefördert, sondern die Senioren bewegen sich auch“, erklärt sie.

Zwar würden einige Einrichtungen in ihren Häusern ebenfalls Tanz und Bewegungsübungen anbieten. „Doch das ist nicht mit unserem Angebot zu vergleichen“, meint Sybille Müller. „Wenn wir uns hier treffen, dann kommen die Demenzkranken aus ihrer gewohnten Umgebung heraus. Ich erlebe es immer wieder, wie dankbar sie sind, wenn Abwechslung in ihren Alltag kommt. Deshalb macht mir die Arbeit mit ihnen viel Spaß“, so Müller.

Mittlerweile ist die Stimmung ausgelassen. Cha-Cha-Cha und Samba werden angestimmt, bei „Eine Mark für Charly“ oder „Rote Lippen“ kommen langsam Erinnerungen zurück. „Auf dem Weg nach Hause summen sie immer noch die Melodien“, weiß Monika Brodt. „Wenn ich so etwas höre, dann weiß ich, dass alle einen schönen Nachmittag bei uns hatten“, freut sich Sybille Müller.

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