GA-Serie: "Bonn schreibt ein Kinderbuch" Kapitel sechs: Endlich wieder Ball spielen

Bonn · Meine neue Freundin Paula. Hauptfigur Sima, die mit der Familie ihres Onkels aus Syrien nach Bonn geflüchtet ist, erzählt die Geschichte aus ihrer Sicht.

Letzte Nacht habe ich von meiner Familie und meinen Freunden in Syrien geträumt und als ich aufwachte, sogar ein bisschen geweint. Zum Glück rief mich in diesem Moment meine Tante zum Frühstück. Kurze Zeit später saß ich in der Schule, neben Paula und ihrer Freundin Marie. Unsere Lehrerin, Frau Mai, verkündete nach den ersten beiden Stunden: „So, liebe Kinder, nach der Pause sehen wir uns zum Sportunterricht wieder!“ Ich verstand schnell, was das bedeutete, denn alle Kinder standen auf, rannten vor die Klasse und nahmen sich ihre Turnbeutel von den Haken. Ich konnte meinen Namen in der neuen Schrift erkennen, und ich hatte auch einen eigenen Haken. Aber dort hing kein Beutel, denn ich hatte noch keine Turnsachen.

Ratlos stand ich an der Garderobe und wusste nicht, was ich tun sollte. Drei Mädchen, die hinter mir standen, fingen an zu kichern und zeigten auf mich. Ich schämte mich ein bisschen und schaute unsicher auf meine Füße. Da nahm Paula meine Hand: „Komm mit!“, und zog mich zu den anderen Kindern. In Zweierreihen liefen wir zu den Umkleiden. Es gab einen Raum für Mädchen und einen für Jungen, das konnte ich an den Schildern erkennen.

Alle fingen gleich an sich umzuziehen, nur Paula lief von einem Mädchen zum anderen und fragte sie etwas. Als sie wieder zu mir zurückkam, grinste sie mich an. „Das ist für dich! Jetzt kannst du doch mitmachen!“ Sie gab mir alles, was ich zum Sportunterricht brauchte: Ein T-Shirt, eine Sporthose und sogar lila Turnschuhe mit weißen Streifen. Es war alles bunt durchmischt, aber das gefiel mir.

„Danke!“, antwortete ich. Ich war so erleichtert, dass ich mich nochmal auf Arabisch wiederholte: „Shukran!“ Kurz danach saßen wir im Kreis mitten in der Halle und stimmten ab, was wir spielen. Die meisten waren für Fußball. Zwei Kinder aus der Klasse standen auf und sagten abwechselnd die Namen anderer Mitschüler und bildeten zwei Teams. Mein Name war nicht dabei, und bald saß ich mit Paula und einem kleineren Jungen alleine da.

Ich war plötzlich traurig und vermisste meine Freunde in Syrien - sie hätten gewusst, wie gerne ich Ball spielte. Ich kam zwar als Letzte an die Reihe, aber zum Glück war ich im gleichen Team wie Paula. „Zusammen!“, sagte ich. Paula nickte: „Das ist toll!“, aber auf das Fußballspiel schien sie sich nicht so zu freuen. Frau Mai pfiff auf einer Trillerpfeife und schon ging es los. Ich merkte schnell, dass die meisten Jungen mehr Spaß daran hatten als die Mädchen. Das war zu Hause auch so. Dort hatte ich im Hof immer mit den Nachbarsjungen Ball gespielt und war dabei das einzige Mädchen gewesen. Erst spielte mir niemand den Ball zu, aber ich lief trotzdem mit. Paula blieb mehr am Rand.

Ich winkte zu ihr hinüber, da rief sie plötzlich „Achtung!“ und zeigte hinter mich. Ich drehte mich um und sah gerade noch den Ball in hohem Bogen auf mich zukommen. Ganz automatisch nahm ich ihn mit der Brust an und meine Füße machten wie immer den Rest: Sie stoppten den Ball, und mit einer schnellen Drehung schoss ich ihn genau zu Paula. Sie sah etwas erschrocken aus, aber dann kniff sie die Augen zusammen und schoss den Ball ins Tor!

Wir jubelten. Der Junge, der unser Team ausgewählt hatte, lief auf mich zu und klopfte mir strahlend auf die Schulter: „Super, Sima!“

Danach hatten wir große Pause. Wie immer ging ich mit Paula auf den Schulhof. Sie hatte heute ihr neues blaues Springseil dabei. Zusammen mit Marie hüpften wir um die Wette und zählten unsere Sprünge. Ich auf Syrisch und die anderen beiden auf Deutsch. So lernte ich das neue deutsche Wort einundzwanzig, denn das war Paulas Rekord. Als es klingelte, liefen alle zurück ins Schulgebäude, Paula und ich waren die letzten.⋌ Auf einmal stolperte Paula über das Seil und fiel hin. Sie hatte sich das Knie aufgeschlagen und etwas Blut lief ihr Bein herunter. „Aua“, wimmerte sie, und hatte Tränen in den Augen.

Schnell rannte ich zu den Toiletten um die Ecke und holte nasse Papiertücher, um die Wunde zu kühlen. Paula hörte bald auf zu weinen und ich half ihr, zurück zur Klasse zu kommen. Die Lehrerin fragte Paula, ob alles in Ordnung sei. „Ja, Sima hat mir geholfen“, sagte Paula, und wir lächelten uns an. Ich verstand vielleicht noch nicht so viel Deutsch, aber das machte nichts: In diesem Moment wussten wir beide, dass wir Freundinnen geworden waren.

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