Großveranstaltungen Eine Nacht mit dem Rettungsdienst bei Rhein in Flammen

Bonn · Großveranstaltungen wie Rhein in Flammen verlangen den Helfern viel Einsatz ab. Ein Großteil von ihnen ist ehrenamtlich im Einsatz. Der GA hat ein Retter-Trio begleitet.

Als die Dämmerung einbricht, brechen die Jugendlichen zusammen. Die Mischung aus wenig Essen, Sonne und Alkohol schlägt nach mehreren Stunden Durchtanzen mit voller Härte zu. Alle paar Minuten fährt eine neue Trage in die Unfallhilfestelle im Süden der Rheinaue. Die Sanitäter lassen ihre Einmalhandschuhe von den Finger flitschen. Vor dem Bauzaun weinen die Mädchen, die aufgelöst auf ihre Freunde warten – während die sich in den Zelten die Tüte vors Gesicht halten.

Rhein in Flammen ist mit seinen allein 120 000 Besuchern in der Rheinaue neben dem Rosenmontagszug die größte Veranstaltung Bonns. Und damit ein Kraftakt für die Menschen, die für die Sicherheit der Besucher sorgen. Hunderte Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter sind jedes Jahr auf den Beinen. Mit diesmal 195 Einsätzen wachsen die Aufgaben für den Rettungsdienst stetig an. Mehr als drei Viertel der 200 Retter der Hilfsorganisationen sind Ehrenamtliche.

„Das ist anstrengend, macht aber auch Spaß“, sagt Sanitäterin Daniela Rembold. Wie kann es Spaß machen, eine Betrunkene zum Ausnüchtern durch dichtes Gedränge ins Sanitätszelt zu karren? Oder den blutüberströmten jungen Mann zu verarzten, nachdem ihm bei einer Schlägerei das Jochbein gebrochen wurde? „Ich helfe gerne Menschen. Mir ist völlig egal, um wen es geht“, erzählt die 48-Jährige, die auf einer Kölner Intensivstation arbeitet. Bis vor einem Jahr war sie im Rettungsdienst des Bonner Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) tätig und betreute Rhein in Flammen hauptberuflich. Jetzt will sie bei solchen Großveranstaltungen ehrenamtlich anpacken – sofern es der Dienstplan zulässt. „Denn solche Leute muss es geben. Ich wünsche mir schließlich auch, dass mir jemand hilft, wenn ich in einer Notlage bin.“

19 Uhr: 13 Einsätze. 20 Uhr: 20 Einsätze. 21 Uhr: 22 Einsätze. Nüchterne Zahlen – und das Handwerk von Dirk Lötschert, Leiter Rettungswesen und Bevölkerungsschutz beim ASB. Im vergangenen Jahr hatte er die Geschäftsführung der 2014 gegründeten Arge Sanitätsdienste Bonn inne. Der Arbeitsgemeinschaft, in der die vier Bonner Hilfsorganisationen ASB, Malteser, Johanniter und DRK kooperieren. Das Ziel: Durch die Zusammenarbeit Kräfte bündeln. „So haben wir immer Fachpersonal im Einsatz, das sich vor Ort auskennt, eingespielt ist und einander blind vertraut“, erklärt er. Dieses Jahr sitzt er im Koordinierungsstab von Rhein in Flammen, in dem sich Behörden austauschen. Jede Stunde gibt es eine Lagemeldung, ziemlich emotionslos. „Diese Distanz hilft uns, die richtige Entscheidung zu treffen.“ Trotzdem müsse man auch außerhalb der Räume präsent sein. „Denn was wir in der Theorie planen, muss auch in der Praxis funktionieren.“

Die Helfer haben es nicht immer mit Notlagen zu tun. Als Rembold mit ihren Kollegen Kim-Erich Ernst (26) und Daniela Dohr (35) für diese Samstagnacht um 18 Uhr in der Rheinaue ankommt, ist die Lage noch entspannt. Zwar klebt das Erstversorgungsteam ein paar Pflaster. Meist ist es jedoch die Frage nach dem nächsten Toilettenhäuschen, die die Helfer beantworten. „Den Weg runter, unter der Brücke durch, dann rechts.“ Dazu weisen die Sanis die Besucher wie Fluglotsen mit den Armen. Nervt das nicht? „Ein wenig. Aber die sind ja freundlich“, sagt Rembold. Und wenn einer unfreundlich ist? „Dann werde ich bestimmter.“ Als sie diesen Satz spricht, wird ihre sanfte Stimme schlagartig ernster – genauso wie ihre Mimik.

"Man braucht auch Humor"

22 Uhr: 45 Einsätze. 23 Uhr: 25 Einsätze. 24 Uhr: 35 Einsätze. Das DRK im Süden braucht Unterstützung. Unzählige betrunkene junge Leute müssen behandelt werden. „Das wird jedes Jahr schlimmer“, sagt ein Sanitäter. Durch das Funkgerät knarzt ein Kürzel aus dem Rettungsdienst-Jargon: AVT – Arsch voll, toll. Ohne eine gewisse Portion Humor ist diese Situation nicht zu bewältigen. Die klassische Behandlung: aufpassen, ausnüchtern lassen, auf die Eltern warten. Die Erstversorgungsteams, von denen es 14 Stück gibt, laden die Patienten zügig auf die rollende Trage und nach dem Transport wieder ab. Für Rettungswagen ist auf den vollen Wegen kein Durchkommen. Mit den wendigen Tragen sind die Retter deutlich schneller. Auch wenn die Beine nach der x-ten Runde schwer sind ist Professionalität gefragt.

Emotionen spielen dennoch eine große Rolle. Die Sanitäter, sind regelmäßig Extremen ausgesetzt. „Empathie ist wichtig“, erklärt Rembold. Die meisten heiklen Situationen – fast immer ist der Rettungsdienst vor Polizei und Ordnungsamt vor Ort – ließen sich mit Worten befrieden. „Das eigene Verhalten wirkt sich auf die Patienten aus.“ Ihre Ausbildung in Krisenintervention hilft ihr, die Umgebung einzuschätzen, die richtigen Worte zu finden. Deshalb sitzt sie neben der jungen Frau, die gerade von der Polizei zur Unfallhilfestelle gebracht wurde. Jemand hat versucht sie im Gebüsch zu vergewaltigen. Jeder Schritt fällt ihr schwer, die Sanitäter müssen sie wie eine Blinde an den Händen führen. Als Rembold wieder aus dem Zelt kommt, braucht sie eine Zigarette. „Schrecklich“, sagt sie. „Aber ich kann das abblocken. Muss ich auch.“

Vergewaltigung, Schnittwunde, Terroranschlag. Das Konzept, dass Arge und Behörden entwickelt haben, ist auf alle Einsatzszenarien eingestellt. Nur so könne man auf eine „dynamische Lage“, wie Lötschert es nennt, reagieren. Insgesamt gibt es vier feste Unfallhilfestellen. Während das DRK im Süden vor allem mit alkoholisieren Jugendlichen zu tun hat, ist der ASB bei der Abreise verstärkt im Einsatz. Das Zelt nahe der U-Bahnhaltestelle Rheinaue passieren nach dem letzten Böllerknall die meisten Besucher.

Die Malteser nahe der Hauptbühne haben ältere Patienten, genau so wie die Johanniter. Hinzukommen sechs mobile Unfallhilfestellen, die ihr Personal samt Krankenwagen schnell verlegen können. Berechnet werden die benötigten Retter nach dem Kölner Algorithmus. Abhängig von Besucherzahlen und -alter, der Größe der Fläche sowie den umliegenden Rettungswachen und Krankenhäusern. Dazu werden die Retter mit ihren Funkgeräten durchgehend geortet. Aus den Daten werden später Unfallschwerpunkte ermittelt, die dann in die nächsten Planungen einfließen.

1 Uhr: Elf Einsätze. Bis 3 Uhr: 20 Einsätze. Endspurt. Rembold, Ernst und Dohr ist die Erschöpfung anzumerken. Zum Luftholen ist kaum Zeit, eine 19-Jährige ist auf dem Weg zur Bahn umgeknickt. „Sie kann nicht mehr laufen“, sagen ihre zwei Freunde, die zur Unfallhilfestelle gekommen sind. Die Frau erhält einen Verband, die Helfer ein gerührtes „Dankeschön“. „Der beste Lohn“, sagt Rembold.

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