WCCB - Die Millionenfalle, Teil 85 Eine Bonner Personalie: Friedhelm Naujoks

BONN · Nordrhein-Westfalen gilt als Stammland der SPD. Mit Ausnahme der Jahre 2006 bis 2010 (CDU) stellte die SPD seit 1967 stets den Landeschef und - in Koalitionsphasen - auch die meisten Minister, dazu die Präsidenten der fünf Regierungsbezirke, darunter den für Köln, der auch Bonn beaufsichtigt.

Man kann sich SPD und NRW in etwa wie CSU und Bayern vorstellen. Es heißt, dass ein SPD-Bürgermeister im CSU-Ländle, der ins Visier einer bayerischen Kommunalaufsicht geraten ist, das ernst nehmen müsse, während ein CSU-Rathauschef sich auf seine Parteifreunde verlassen könne.

Eine vereinfachte Sicht. Doch sie spiegelt die Erwartungshaltung des Volkes an das solidarische Wirken in politischen Parteien. Vor diesem Hintergrund wird Bonns SPD-OB Jürgen Nimptsch nur milde gelächelt haben, als die Ratsmehrheit von CDU/Grünen ihm vergangene Woche drohte: Wenn er nicht Friedhelm Naujoks (SPD), dem ehemaligen Controller des World Conference Center Bonn (WCCB), kündige, werde man die Kommunalaufsicht einschalten.

Da Nimptsch Kurs hielt und Naujoks nicht kündigte, eskaliert die Situation. Die Fraktionsvorsitzenden von CDU, Bürger Bund Bonn (BBB) und Grünen drohen in einer gemeinsamen Erklärung: "Bleibt der OB bei seiner Haltung, werden wir uns dafür einsetzen, dass er dann für den verursachten Schaden auch selber aufkommt und die Rechnung nicht, wie gewohnt, an den Steuerzahler weiterreicht."

Während Nimptsch Ratsmitgliedern den Wunsch nach einer "politisch motivierten Kündigung" vorwirft, sieht CDU-Fraktionsgeschäftsführer Georg Fenninger einen OB, "der in seiner Not mal wieder Nebelkerzen wirft". Man wäre geneigt, den Zwist als gewöhnliches Säbelrasseln abzuhaken, gäbe es nicht eine Vorgeschichte und ginge es nicht um sehr viel Geld und mit Naujoks um einen umfassend informierten WCCB-Insider und -Angeklagten.

Diese Vorgeschichte beginnt mit dem WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA): Das 475-seitige Werk erblickt im April 2010 das Licht Bonns. Vielen Bürgern stockt der Atem. Laut RPA haben Naujoks & Co. die Baukosten weitgehend nicht geprüft, selbst Millionen-Rechnungen mit dem Stempel "sachlich und rechnerisch richtig" durchgewunken.

"Devotes Abnicken" nennt das heute Michael Faber von der Linksfraktion. Einige Steuerzahler-Millionen sind im Nirwana des Irgendwo versickert. Im April 2010 hätte Nimptsch dem Parteifreund kündigen können. Er macht es nicht. Der OB berichtet, dass die Expertise eines Arbeitsrechtlers von einer Kündigung wegen unkalkulierbarer Risiken abgeraten hätte.

Zuvor hatte Deutschland sich über den "Fall Emmely" erregt: Eine Supermarkt-Kassiererin war nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit via Verdachtskündigung fristlos entlassen worden, nachdem sie gefundene Leergutbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst hatte. Solch eine Verdachtskündigung hielt auch der Bonner Verwaltungsrechtler Professor Wolfgang Löwer bei Naujoks für angemessen.

Im Oktober 2010 sagt Löwer dem WDR: "Da ist jemand, der eine Besoldung bekommt, die, wenn ich es recht sehe, höher liegt als die des Oberbürgermeisters. Da würde ich höchst qualifizierte Arbeit erwarten (...) Erhebliche Verdachtsmomente stehen im Raum, da könnte man auch mal daran denken, eine Kündigung als Verdachtskündigung auszusprechen." Doch im Oktober 2010 ist der erste Zug für eine Kündigung abgefahren. Frist verstrichen.

Im März 2011 wird es mysteriös: Im zweiten RPA-Bericht zum WCCB taucht eine Anwaltsrechnung über 2625 Euro auf - für die erbrachte Leistung "Entwurf eines Kündigungsschreibens" (für Naujoks). Da es sich nicht in den Akten findet, wächst im Rat das Misstrauen. Nach GA-Informationen soll Nimptsch erläutert haben: "Auch zahlreiche Telefonate" seien abgerechnet worden.

Fortan schmort die Personalie in Nimptschs Schublade - und belastet mit 175 000 Euro jährlich den klammen Stadtetat. Vielleicht bis zum 30. April 2016, wenn Naujoks' Vertrag endet. Das macht vom Zeitpunkt der ersten Kündigungsoption (April 2010) bis zum Vertragsende eine Gehaltssumme von 1,05 Millionen Euro - für einen freigestellten Mitarbeiter. Plus den Rückstellungen für eine Dezernenten-Pension.

Zwischenzeitlich waren weitere Naujoks-Altlasten hochgekocht. Vom SGB gekaufte Legionellen-Anlagen entsprachen laut Umweltbundesamt "nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik", bei einer Aula-Brandschutzdecke "hat (...) zweifelsfrei objektiv zunächst eine Baugefährdung vorgelegen", so die Staatsanwaltschaft. Die Verwaltung bemüht sich, die Sachverhalte in der Außendarstellung zu bagatellisieren.

Noch am 23. September 2011 weist das Presseamt "die Vorwürfe wegen angeblicher Baugefährdung" zurück. Nur wenig später, am 14. Oktober 2011, unterschreibt Naujoks einen Aufhebungsvertrag. In der Präambel heißt es: "Der Arbeitgeber und/oder Dritte haben dem Arbeitnehmer in der Vergangenheit vielfältige Verstöße gegen arbeitsvertragliche und sonstige Pflichten vorgeworfen.

Es handelt sich im Einzelnen um den Vorwurf, alleine oder im Zusammenwirken mit anderen im Zusammenhang mit Arbeiten am Konrad-Adenauer-Gymnasium in Bonn gegen Vorschriften der Trinkwasserverordnung verstoßen und den Tatbestand der Baugefährdung verwirklicht zu haben sowie um Korruptionsvorwürfe." Die dazugehörigen Stichworte: Legionellen, Auladecke, WCCB. Naujoks soll mit 394 000 Euro abgefunden werden. Doch der Vertrag wird nie gültig, weil die zweite Unterschrift fehlt. Nimptsch darf nicht. Der Rat hat alles gestoppt.

Bis September 2012 reift bei der Staatsanwaltschaft in Sachen WCCB der Anfangsverdacht gegen Naujoks zum hinreichenden Tatverdacht. Anklage. Auszüge: "Zwei selbständige Handlungen Betrug im besonders schweren Fall, vier selbständige Handlungen Untreue im besonders schweren Fall." Unter anderem geht es um "2 040 619 Euro (...) Dieser Rechnung, die der Angeschuldigte Naujoks zuvor freigezeichnet hatte, ohne ihre Berechtigung zu prüfen, lag keine Gegenleistung zugrunde." Doch es wurde laut RPA noch mehr Fragwürdiges zur Zahlung angewiesen (s. Millionenfallen 35 und 36).

In der Anklageerhebung sieht der Stadtrat im Spiel der verpassten Kündigungschancen eine neue Gelegenheit. Die Verwaltung hingegen nicht: Sie kündigt (wieder) nicht. Nun hat sich ihre Begründung um 180 Grad gedreht. Noch am 12. September 2012 teilt die Stadt mit: "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem arbeitsrechtlichen Verfahren und der Anklageerhebung." Vier Wochen später erscheint es ihr "sachgerechter" abzuwarten.

Diesmal bilden nicht arbeitsrechtliche Risiken die Hürde. Die Stadt spricht von "gesamtstädtischen Interessen" und "unwägbaren Risiken". Auf GA-Anfrage erläutert Nimptsch diese vage mit "etwaigen Forderungen des Landes und der Sparkasse". Sein Fazit: "Dass es für das Wohl der Stadt besser ist, jetzt nicht zu kündigen."

Was könnte Nimptsch damit meinen? Bisher war auf NRW Verlass. Im Kokon gemeinsamer Interessen von UN, Bund, NRW und Bonn wird niemand irgendetwas unternehmen, um das große Ziel zu gefährden: die Verwandlung der seit Herbst 2009 vor sich hindämmernden WCCB-Ruine in ein Kongresszentrum.

Auch schlummert das vom Rat wegen des WCCB-Debakels im März 2011 beantragte Disziplinarverfahren gegen Ex-OB Bärbel Dieckmann (SPD) vor sich hin. Regierungspräsidentin Regina Walkens (SPD) antwortete erstmals nach vier Monaten. Die "Entscheidungsfindung" werde noch einige Zeit beanspruchen. Dabei ist es bis heute, 19 Monate später, geblieben.

Naujoks, so die Anklage, soll NRW mit einem "passend gemachten" Testat um rund 35,79 Millionen betrogen haben. Als gegen Naujoks (SPD) schon ermittelt wird, teilt die Bezirksregierung 2010 mit, dass die bisherigen Millionen zu Recht gezahlt worden seien. NRW, der mutmaßlich Betrogene, fühlt sich nicht betrogen.

Oberstaatsanwalt Fred Apostel sagt damals: "Ich habe den Eindruck, dass dieses Schreiben mehr Fragen aufwirft als beantwortet." Bleibt eines fernen Tages noch der Landesrechnungshof; er ist, wie das RPA, unabhängig. "Spätestens dann hängt unsere Stadt am Fliegenfänger", sagt BBB-Vorsitzender Bernhard Wimmer - und fragt: "Welcher Stadtbedienstete wird sich nach dem RPA-Bericht trauen, eine korrekte Verwendung der WCCB-Landesmittel zu bestätigen?"

Ob mögliche NRW-Rückforderungen oder die Sparkassen-Bürgschaft (siehe Text unten) - Nimptsch, so Wimmer, versuche nur, "bestimmte Entscheidungen bis zur bitteren Stunde der Wahrheit hinauszuschieben". Zurück bleibt ein verwirrter Bürger. Er hat viele Fragen: Was verbirgt sich hinter "gesamtstädtischem Interesse"? Parteikumpanei? Ablenkungstaktik? Oder muss der Bürger sich vorstellen, dass es für "das Wohl der Stadt" das Beste wäre, wenn die WCCB-Geheimnisse nie gelüftet würden?

Welche Gefahr geht von einem gekündigten, wirtschaftlich unzufriedenen und dann vor Gericht "auspackenden" Naujoks aus? Einstweilen zahlt der Bürger nicht nur Naujoks' Anwalt, sondern den Rechtsbeistand für sechs städtische "WCCB-Betroffene", gegen die ermittelt wurde oder die inzwischen angeklagt sind. Honorarstand am Dienstag: 705.824,81 Euro.

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