Urteil am Landgericht Köln Ein Mann ohne Interesse an Parteibüchern und politischem Kalkül

Bonn · Das WCCB produziert jede Menge Zivilprozesse: Der Insolvenzverwalter hat bereits ein Verfahren gegen die Sparkasse gewonnen und damit rund eine Million Euro. Doch die Urteilsbegründung hat es in sich und könnte ungeahnte Folgen haben

Quasi naturgesetzlich dreht sich die Gegenwart in einem Gerichtssaal stets um die Vergangenheit. Und die des World Conference Center Bonn (WCCB) hat einiges zu bieten. Die Akteure haben jedoch unterschiedlichste Motive, das wahre Geschehen von damals zu erhellen, zu verschleiern oder - bei Bestechung und Bestechlichkeit - zu verschweigen. Einige städtische Angeklagte werden dagegen bald vor dem Strafgericht um ihre Pensionen kämpfen. Andere fürchten, durch Aussagen belastet und damit wieder in den Ring des Strafrechts gezogen zu werden. Alle hoffen zudem, von überlasteten Gerichten zu profitieren und der sogenannten Prozessökonomie, wie kürzlich auch Formel-Eins-Chef Bernie Ecclestone: Einstellung des Verfahrens gegen Geldzahlung. Schließlich wirkt auch das lange Warten auf den eigenen Prozess strafmildernd.

Weil das WCCB von Anfang an eine politische Baustelle im SPD-Bundesland Nordrhein-Westfalen ist, produziert das "Aufklärungsgeschehen" einige Absurditäten. Der bisherige Gipfel: Die Staatsanwaltschaft hat Friedhelm Naujoks, den Ex-Chef des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) und bis vor kurzem noch SPD-Mitglied, unter anderem wegen Betrugs im besonders schweren Fall angeklagt - Subventionsbetrug gegenüber der Bezirksregierung, die die Rechtmäßigkeit des NRW-Zuschusses von 35,79 Millionen zu prüfen hatte. Doch die mutmaßlich Betrogene fühlt sich nicht betrogen. Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD) hatte auch ein Disziplinarverfahren gegen Ex-OB Bärbel Dieckmann (SPD) abgelehnt.

Doch im Aufklärungslabyrinth spielen auch völlig unpolitische Akteure eine Rolle. Etwa der Insolvenzverwalter, dessen Blickwinkel weder von Parteibüchern noch von gewachsenen Beziehungen beschränkt wird. Er hat einen gesetzlichen Auftrag und deshalb eine ziemlich starke Stellung.

Durch die WCCB-Wirren im Spätsommer 2009 waren drei Firmen, alle miteinander über Zahlungsströme oder Rechtsbeziehungen verbunden (s. Grafik rechts), zahlungsunfähig geworden. Als deren Insolvenzverwalter bestellte das Gericht Christopher Seagon. Er folgt vor allem der Spur des Geldes und prüft, welche Maßnahme möglicherweise rechtswidrig war. Sein Ziel ist es, die Insolvenzmasse zu stärken, damit die Gläubiger nicht leer ausgehen: Etwa Handwerker, die für die Baufirma SMI Hyundai Europe GmbH Leistungen beim WCCB erbrachten, aber kein Geld erhielten. Natürlich handelt Seagon auch eigennützig, denn über die Gebührenordnung kassiert er mit. Man kann sich einen Insolvenzverwalter als amtlichen Treuhänder mit einem langen juristischen Arm vorstellen. Er kann bei Verdunkelungsgefahr Personen sogar verhaften lassen.

Seagons erste Zustandsberichte über die drei Firmen liegen seit Februar 2010 vor. Da findet sich bei der WCCB Management GmbH der Hinweis, dass die Firma für einen 30-Millionen-Kredit der Sparkasse KölnBonn an Bauherr UNCC, dessen Geschäftsführer Man-Ki Kim war, mithaftet. Als die Sparkasse 2009 den Kreditvertrag kündigte, ging die UNCC insolvent - und die Management-GmbH gleich mit. Dem Bericht zu letzterer ist zu entnehmen, dass Seagon auf einem Sparkassenkonto 928 180,24 Euro fand. Doch davon hatte die Sparkasse - infolge der Kreditmithaftung - längst 913 000 Euro gepfändet.

Offenbar bezweifelte Seagon später, ob das rechtmäßig war. Denn er hat die Sparkasse vor dem Landgericht (LG) Köln verklagt - und den Zivilprozess gewonnen. Die Sparkasse muss nun rund eine Million inklusive Zinsen zurücküberweisen - ein Peanuts-Betrag nach WCCB-Maßstäben. Doch unter dem Aktenzeichen 3 O 208/2012 entblättert sich in der Urteilsbegründung möglicherweise eine ganz andere Dimension.

Die 3. Zivilkammer erklärt, dass der zweite WCCB-Kredit in Höhe von 30 Millionen Euro an die UNCC "nichtig" sei. Und weiter: "Im Grundsatz gilt, dass eine Bank sittenwidrig handelt, die in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ihres Kunden nicht den gebotenen Insolvenzantrag stellt, sondern durch das Weitergewähren eines Kredits die Agonie des Kunden verlängert." Und zu den 30 Millionen: Das sei "ein eigennütziger Sanierungskredit" gewesen.

Christian Schilling von der Sparkasse KölnBonn antwortet auf eine GA-Anfrage: "Die Sparkasse KölnBonn ist nach wie vor von ihren Argumenten überzeugt und hat deshalb gegen das von Ihnen angesprochene Urteil bereits Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung wird derzeit gefertigt. Da es sich somit um ein laufendes Verfahren handelt, bitten wir um Verständnis, wenn wir keine Details nennen, die vor Gericht zu klären sind." Nun geht es also zum Oberlandesgericht (OLG) Köln. Die Folgen dieser Begründung aus einem Zivilstreit, sollte das LG-Urteil denn vom OLG bestätigt werden, könnte eine neue Prozesslawine auslösen. Es wäre eine Steilvorlage für den Insolvenzverwalter, der gegen Sparkasse und Stadt Strafanzeige wegen Insolvenzschleppung oder Beihilfe dazu erstatten könnte. Wie das LG Bonn bestätigte, hat Seagon bereits Feststellungsklagen gegen die Sparkasse, die Stadt und Ex-OB Dieckmann sowie die angeklagten Projektbeauftragten Arno Hübner und Eva-Maria Zwiebler eingereicht - auch deshalb, weil die Stadt einer Aufhebung der Verjährungsfrist nach zehn Jahren nicht zustimmte. Tatsächlich: So lang zieht sich das WCCB-Drama schon.

Durch die Landgerichtsbegründung zum Urteil gegen die Sparkasse ist eine potenziell brenzlige Situation entstanden - wie gesagt: Sofern das OLG Köln das Urteil bestätigt. Um die heikle Lage zu verstehen, muss man sich noch einmal das Geschehen zwischen Winter 2008 und Sommer 2009 ins Bewusstsein rufen. Bereits Ende 2008 (nach dem WCCB-Richtfest) zeichnet sich innerhalb der Verwaltung ab, dass "aufgrund der Baukostensteigerung das Projekt nicht mehr wirtschaftlich zu rechnen" sei. Die Sparkasse schreibt am 28. November 2008 an die Stadt: Hätte der Investor sein Eigenkapital zu Projektbeginn eingebracht, "würden sich die voraussichtlichen Gesamtfinanzierungskosten um rund 3,6 Millionen geringer darstellen". Am 2. Februar 2009 mailen sich zwei SGB-Controller zu: "Jetzt kommt Druck auf den Kessel." Soll immer weiter Geld in ein Bermuda-Dreieck gepumpt werden? Bald spitzt sich die Lage auf der Baustelle zu: Im Frühsommer fehlen für eine WCCB-Fertigstellung 60 Millionen Euro. Nun gilt es, mit allen Mitteln einen Baustopp zu vermeiden.

l 7. Mai 2009: SGB-Chef Naujoks und Bauunternehmer Young-Ho Hong (SMI Hyundai) erklären dem Stadtrat, warum die Projektkosten von 139 auf rund 200 Millionen gestiegen sind. Sie berichten von einer Erhöhung des Baukostenindexes, von Umplanungen und dass ja auch die Hotelzimmerzahl von 185 auf 336 erhöht worden sei. Das ist eine ziemlich freche Nummer, denn der Rat hatte am 14. Dezember 2005 das WCCB-Projekt mit einem 352-Zimmerhotel zu 139 Millionen Euro beschlossen. Wie kann man also vier Jahre später mit einer Erhöhung der Hotelzimmerzahl extrem erhöhte Baukosten begründen? Offenbar vertrauen Naujoks und Hong auf einen kompletten Gedächtnisausfall der Ratspolitiker. Einigen dämmert jedoch, dass hier vermutlich auch ein großes Märchen erzählt worden ist. Der Rat beauftragt deshalb das Rechnungsprüfungsamt (RPA), insbesondere das SGB-Prüfgebaren unter die Lupe zu nehmen. Die Verwaltung berichtet dem Rat ferner: Die Lage sei ernst, ein Baustopp der größte anzunehmende WCCB-Unfall. Die 60-Millionen-Lücke sollen sich Stadt und Investor teilen. Kim habe mit Honua (Hawaii) einen neuen Geldgeber akquiriert, der 30 Millionen beisteuern wolle. So ermächtigt der Rat die Verwaltung, die Nebenabrede gegenüber der Sparkasse (Bürgschaft) um 30 Millionen von 74,3 auf 104,3 Millionen zu erhöhen.

Tatsächlich hatte (siehe Millionenfalle 8) eine listige Formulierung zur Hotelzimmerzahl im Projektvertrag, erstellt von Kims Berater Ha-S. C., die Stadt aufs Kreuz gelegt. Und mit dem Hotelzimmer-Märchen wollte man das offenbar kaschieren.

l Hintergrund: Tatsächlich besaß die Investmentfirma Arazim Ltd. schon seit dem 28. August 2007 - notariell beglaubigt - 94 Prozent der UNCC-Anteile (WCCB). Später hatte Kim im Handelsregister eine Gesellschafterliste hinterlegt, wonach 94 Prozent der UNCC-Anteile Honua gehören. Arazim legte Widerspruch gegen die Gesellschafterliste beim LG Bonn ein. Das "Problem Arazim" war im Sommer 2009 Sparkasse und städtischer Verwaltungsspitze seit Monaten bekannt. Nur der Stadtrat war - mal wieder - unwissend.

l 9. Juli 2009: Die Zusatzvereinbarung zur Nebenabrede (Bürgschaft) wird von OB Dieckmann und Stadtdirektor Volker Kregel, Nachfolger von Hübner, unterschrieben. Laut RPA-Bericht hatte Kregel sich zunächst gewehrt.

l 5. August 2009: Das LG Bonn entscheidet im WCCB-Eigentümerstreit Arazim/Honua im Rahmen einer Einstweiligen Verfügung zugunsten von Arazim. Die Stadt teilt den Medien mit, dass es sich hier nur um eine vorläufige Entscheidung handele. Intern glaubt man, dass sich das juristische Blatt in der nächsten Instanz gegen Arazim wenden wird. Später wird das OLG Köln jedoch die vorläufige Entscheidung bestätigen.

l 6. August 2009: Krisensitzung zwischen Stadt und Sparkasse. Aus dem Gesprächsprotokoll des externen städtischen Rechtsberaters: Ein städtischer Teilnehmer berichtet, "jeden Monat würden 7,5 Millionen Euro verbaut, es müsse nun Geld in die Kasse kommen". Ein Sparkassenvertreter "äußert Vorbehalte. Nach dem Urteil des Landgerichts habe die Sparkasse Bedenken, ob angesichts der neuen Erkenntnisse das Darlehen noch ausgezahlt werden könne (...) das Darlehen sei noch nicht valutiert." Der Rechtsanwalt weist darauf hin, "man könne nicht auf der einen Seite weiter bauen, wenn auf der anderen Seite noch gar nicht feststehe, ob überhaupt noch Geld vorhanden sei".

Die 30 Millionen fließen dennoch. Es ist ein Kredit an die UNCC GmbH, des WCCB-Bauherrn, für den die Stadt bürgt. Wer hat den Kreditvertrag seitens der UNCC unterschrieben? Kim war über alle Berge, aber in Zeiten blitzschneller globaler Kommunikation ist das kein wirklicher Einwand. Aber welcher Mehrheitsgesellschafter hat zugestimmt? Arazim oder Honua? Nach GA-Informationen war es Honua, also der rechtlich falsche Mehrheitsgesellschafter.

Die 30 neuen Kredit-Millionen sollen in der Vorstellung des Stadtrats die Baustelle am Leben halten. Die Verwaltungsspitze atmet erst mal auf: kein Baustopp. Die frischen Millionen könnten für vier Monate Bauaktivität reichen und für ausreichend Luft sorgen, um über den Kommunalwahltermin am 30. August zu kommen, vielleicht auch, um einen neuen Investor zu finden. Was nach objektiver Sachlage jedoch ebenso aussichtslos erscheint wie weitere Honua-Millionen, nachdem die Anleger aus Hawaii gerade vom Gericht erfahren hatten, dass ihr Handelsregistereintrag nichts wert ist.

Doch der Wirtschaftskrimi am Rheinufer erlebt die nächste Überraschung - nach der Wahl. Nacheinander hissen Ende September 2009 die Insolvenzfahne: die Baufirma SMI Europe, der Bauherr UNCC, die WCCB Management. Das frische Baugeld hat gerade einmal für ein paar Wochen gereicht. Wo ist der Rest hin?

Ein Mitte September 2009 hektisch verfasster Sachstandsbericht der Stadt gibt einen Hinweis. Danach ist die Hälfte des 30-Millionen-Kredits (vgl. Millionenfalle 32) gleich wieder zur Sparkasse zurückgeflossen - als Ersatz für Kims fehlendes und von der Sparkasse vorfinanziertes Eigenkapital. Bald ist der Bericht auf der städtischen Homepage jedoch wieder gelöscht. Gewissheit schafft dann im April 2010 der erste WCCB-Report des RPA. Auf Seite 285 (von 475) bestätigen die Prüfer, dass von den 30 Millionen nur 15,7 Millionen als "frische Liquidität" ins Projekt geflossen sind. Mit dem Rest wurde Kims Eigenkapitallücke aufgefüllt.

So war bereits Ende September 2009 Schluss mit dem Planen und Bauen. Und der Rat - war wieder einmal - getäuscht worden. Nun nennt das Kölner Gericht diesen 30-Millionen-Kredit an die UNCC, wie erwähnt, einen "eigennützigen Sanierungskredit" der Sparkasse.

Der Insolvenzverwalter hat aber nicht nur Sparkasse und Stadt im Visier: Er hat auch den ehemaligen - unabhängigen - städtischen Berater Michael Thielbeer, der heftig für Kim und seine SMI Hyundai als Investor plädiert hatte, vor dem LG Düsseldorf verklagt. Er soll rund 600 000 Euro als "Dankeschön" für die Empfehlung erhalten haben. Im fürsorglichen WCCB-Miteinander erhielt er zudem noch eine mit 198 000 Euro Jahresgehalt dotierte Geschäftsführerstellung bei der WCCB Management GmbH.

Die Wirtschaftsstrafkammer des LG Bonn hatte Thielbeer - Stichwort Prozessökonomie - im ersten WCCB-Prozess gegen Zahlung von 150 000 Euro laufen lassen. Er war unter anderem wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr angeklagt. Die Staatsanwälte nannten es "Leistungen ohne Gegenleistungen", die über "Scheinverträge" abgerechnet worden seien. "Schmiergeld" durften sie nicht sagen, das wäre eine Vorverurteilung des Angeklagten gewesen. Nun versucht Seagon im Zivilrecht das Wirtschaftliche nachzuholen. Er will von Thielbeer Geld - rechtswidrig erlangte Vermögensvorteile - zurück: 231 000 Euro für die UNCC, 409 000 Euro für die Baufirma SMI Hyundai Europe. Letztlich wurde alles aus der Baukasse bezahlt. Die erste öffentliche Verhandlung war im Januar 2014, jetzt ziehen sich die Verfahren hin. Wie in Bonn auch in Düsseldorf: überlastete Gerichte.

Im Übrigen war der im Mai 2013 zu 6,5 Jahren Haft verurteilte Investor Man-Ki Kim immer für einen visionären Satz gut: "Vielleicht findet ja eines Tages die Konferenz zur Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea im WCCB statt", sagt er im Mai 2007 der Immobilen Zeitung. Und zur Zusammenarbeit mit der Stadt: "Uns wurde es wirklich leicht gemacht." Das klingt mit dem Wissen von heute leicht zynisch. Dann sagt Kim noch: "Ich bin vielleicht der Motor des Vorhabens, aber die Stadt wird der Fahrer sein." Das hatte so ähnlich zwei Jahre später, als das Projekt in einem Korruptionsstrudel endete, auch Arazim-Anwalt Tirosh dem General-Anzeiger gesagt: "Die Stadt saß eigentlich am Lenkrad und Kim nur auf dem Beifahrersitz."

Die Bedeutung dieser Sätze könnte eines Tages noch einmal eine Schlüsselrolle spielen, wenn aus lockeren Zitaten harte Fakten würden. Denn, wie man heute weiß, bildeten fast ausschließlich öffentliche Millionen die Nabelschnur zur Baustelle - eine Nabelschnur mit vielen Löchern, durch die viele Millionen verschwanden.

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