Poppelsdorfer Friedhof Ehrengrab für Pionier der Zahnmedizin

Bonn · Das Grab von Professor Alfred Kantorowicz auf dem Poppelsdorfer Friedhof ist unscheinbar. Beinahe wäre es sogar eingeebnet worden, wenn ein Dringlichkeitsantrag in der Bezirksvertretung es nicht verhindert hätte.

 Am Grabstein von Alfred Kantorowicz legen Vertreter von SPD, Stadt und Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten Steine nieder.

Am Grabstein von Alfred Kantorowicz legen Vertreter von SPD, Stadt und Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten Steine nieder.

Foto: Nicolas Ottersbach

55 Jahre nach dem Tod des Zahnmediziners ist es zu einem Ehrengrab geworden, das von nun an nicht mehr beseitigt werden darf. Was Kantorowicz so bedeutsam macht, sind seine Verdienste für die Zahnmedizin. Er führte Anfang des 20. Jahrhundert ein einzigartiges System der Prophylaxe von Zahnerkrankungen für Schulkinder ein – das Bonner System der Schulzahnpflege. „Dadurch entwickelte sich Bonn rasch zum Mekka der Jugendzahnpflege mit großer Vorbildfunktion für ganz Deutschland“, sagt Astrid Mehmel, Leiterin der Gedenkstätte der Stadt Bonn.

Kantorowicz wurde 1880 in Posen geboren, studierte Zahnmedizin in Berlin, Freiburg und München. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er ans zahnärztliche Privatinstitut am Bonner Römerplatz berufen und erzielte schnell Erfolge: Er erhielt den Professorentitel und wurde Leiter der Schulzahnklinik. 1923 übernahm er die erste ordentliche Professur für Zahnmedizin an der Universität Bonn, drei Jahre später folgt der Ehrendoktor der Zahnmedizin. „Es entstand eine angesehen zahnärztliche Lehr- und Fortbildungsstätte der 'Bonner Schule', die in der ganzen Welt bekannt war“, erzählt Mehmel.

Nicht nur deutsche Mediziner kamen zur Ausbildung nach Bonn, sondern auch viele aus dem Ausland. Einzigartig war seine Errungenschaft, die Kieferorthopädie in die Schulzahnklinik zu integrieren und so mehr Bürger behandeln zu können. Dabei vernachlässigte Kantorowicz nicht die Arbeit an der Basis: Bei vielen schulmedizinischen Untersuchungen war er weiterhin anwesend.

Kantorowicz Lebensgeschichte ist aber auch eine, die von der Nazi-Diktatur überschattet wurde – er war Jude. Von 1919 bis 1933 saß er als Stadtverordneter und Mitglied der SPD-Fraktion im Bonner Stadtrat. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde er 1933 verhaftet und erst nach mehreren Monaten Haft im Konzentrationslager Bürgermoor im Emsland wieder freigelassen.

Von dort an lebte er mit seiner Familie im türkischen Exil und beeinflusste die Zahnmedizin in der Türkei maßgeblich. So fertigte er beispielsweise für den Schah von Persien eine Ober- und Unterkieferprothese aus Kautschuk. Als Würdigung wurde die Istanbuler Medizinische Bibliothek nach Kantorowicz benannt. Nach seiner Rückkehr nach Bonn von 1946 bis 1956 war er Fachberater für Fragen der Schulzahnpflege beim nordrhein-westfälischen Sozialminister.

„Er ist nicht nur ein bedeutender Bonner Sozialdemokrat, sondern auch ein bedeutender Bürger Bonns“, sagt Herbert Spoelgen von der SPD. Durch seine Initiative wurde die Grabstelle im vergangenen Jahr wiederhergestellt. Die Kosten für die Pflege übernimmt die Stadt.

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