Podiumsdiskussion Die erregte Republik

Bonn · Soziale Medien und der Wandel der politischen Kommunikation: Das Haus der Geschichte lädt zur Podiumsdiskussion im historischen Saal der Bundespressekonferenz.

Polit-Talk vor der Mahagoniwand: (von links) Gregor Mayntz, Günter Bannas, Barbara Hans, Franz Müntefering und Helge Matthiesen im historischen Saal der Bundespressekonferenz.

Polit-Talk vor der Mahagoniwand: (von links) Gregor Mayntz, Günter Bannas, Barbara Hans, Franz Müntefering und Helge Matthiesen im historischen Saal der Bundespressekonferenz.

Foto: MLH

Die Kulisse ist ein Stück kollektiver Erinnerung an die Bonner Republik: Welcher Politiker – sofern er von Bedeutung war – saß nicht schon einmal vor der Mahagoni-Kassettenwand im Saal der Bundespressekonferenz und wurde von der Meute gegrillt. Fernsehzuschauer kennen die Bilder. Der wunderbare 60er-Jahre-Saal im Tulpenfeld, am Rand des ehemaligen Regierungsviertels, mit seinem marmorierten Linoleum-Boden den wandhohen Fenstern und blassblauen Stühlen – früher mit Aschenbecher – ist aus Brandschutzgründen nur zwei, drei Mal im Jahr für die Öffentlichkeit geöffnet. Gestern Abend war so ein Ausnahmetag: Das Haus der Geschichte hatte Podiumsgäste vor die Mahagoniwand geladen. Passend zur aktuellen Ausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“ ging es um die Institution der Bundespressekonferenz, mithin um Medien und Politik, um die Deutungshoheit politischer Zusammenhänge.

Das Besondere an der 1949 gegründeten, weltweit einmaligen Institution der Bundespressekonferenz, einer Vereinigung von Hauptstadtkorrespondenten, ist, dass sie selbst Politiker, Fachleute und Vertreter von Verbänden einlädt und befragt. „Wir stellen Fragen auf den Punkt und erwarten Antworten auf den Punkt“, sagte Gregor Mayntz, gerade wiedergewählter Vorsitzender der Bundespressekonferenz, die jetzt ihren Sitz am Berliner Schiffbauerdamm hat. „Wer sich unseren Fragen nicht stellt, kann nicht erwarten, dass er ein Standing bekommt“, sagte er in der von GA-Chefredakteur Helge Matthiesen moderierten Runde.

Franz Müntefering, der unter anderem als Bundesminister häufiger Gast der Bundeskonferenz war, meinte, „es ist so, wie wenn du dem Volk eine Antwort gibst, das bringt mehr als eine Fragestunde im Bundestag“.

Gleichwohl beklagte Müntefering die in der Hektik der Zeit zu kurz kommende Reflexion: „Es gibt nur noch alternativlose Vorschläge, die beschlossen werden – dann ist der Fall geklärt. Wir müssen aber mehr über Grundsätzliches sprechen.“ Damit rückte das Thema mitten in eine Diskussion über den von allen empfundenen Wandel der Medienlandschaft, die Beschleunigung und Veränderung der politischen Kommunikation durch die Sozialen Medien.

Barbara Hans, Stellvertretende Chefredakteurin von Spiegel-Online, nimmt ein „wahnsinniges Erregungspotenzial, eine Emotionalisierung durch die Sozialen Medien“ wahr und fordert: „Unsere Aufgabe ist, Politik zu erklären und nicht sentimental zu verkürzen.“ Soziale Medien seien weder gut noch schlecht: „Es ist eine andere Art der Öffentlichkeit“, sagte sie, aber kein Ersatz für die Konfrontation der Argumente etwa in der Bundespressekonferenz. Und kein Ersatz für Journalismus: „Das Kollektiv der Journalisten übt eine Kontrollfunktion aus.“

„Demokratie braucht Zeit – und die haben wir heute nicht“, sagte Müntefering auf Politiker wie Journalisten gemünzt, „wir haben keine Erzählung mehr über das, was passiert, sondern hetzen nur noch von Tagesthema zu Tagesthema – und erschöpfen uns dabei.“ Günter Bannas, Politikchef der FAZ, erinnerte daran, dass in der Bundespressekonferenz in früheren Zeiten selten reine Wissensfragen gestellt wurden – der Journalist war in der Regel informiert – und es eher um politische Zusammenhänge ging. In der Gegenwart nimmt er eine „populistische Verflachung der Berichterstattung“ wahr. Mayntz brachte ein satirisch überspitztes Bild der aktuellen Situation: „Wenn die Regierung sagt: wir ziehen in den Krieg, fragt die Journaille: wann? Nur einer fragt kritisch: warum?“ Das „Geschäftsmodell jung und naiv“ sei auf dem Vormarsch.

Ansonsten herrschte auf dem Podium das breite Selbstbewusstsein von Hauptstadtjournalisten vor, die entscheiden, welcher Minister ein Jahr später noch Minister ist. Man war sich schrecklich einig in der Runde. Schade.

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