Die Millionenfalle, Teil XV

Endspiel auf dem Schachbrett - Mit der Insolvenz der Berliner Baufirma SMI Hyundai Europe beginnt das Ringen um die WCCB-Zukunft

Die Millionenfalle, Teil XV
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Wer die Zügel in die Hand nehmen möchte, muss im Sattel sitzen. In der Vergangenheit hatte die Stadt Bonn mehrmals verkündet, sie wolle nun "die Zügel anziehen". Als sich vor Monaten Nebelschleier wie Tristesse über das World Conference Center Bonn (WCCB) legten, waren solche markigen Sätze noch das Gebot bester PR-Manier - Worte, geboren aus der Not, etwas Zuversicht zu streuen.

Oder chronischen Zweiflern die Flügel zu stutzen. Oder im Werbesprech der Neuzeit, der sich kongenial mit der Häppchenkultur des Infotainments verbündet, die Botschaft "Alles wird gut" zu senden. Kurze, griffige Sätze halt, die, gesendet aus dem Autoradio, auch ein vom Stop-and-Go-Verkehr gestresster Bürger versteht.

Aber: Die Stadt Bonn saß beim WCCB schon lange nicht mehr im Sattel. Das letzte Mal noch vor dreieinhalb Jahren, als etwa der Projektvertrag mit der UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC) und deren 100-prozentigem Gesellschafter SMI Hyundai Corporation geschlossen wurde. Mit der Unterschrift rutschte die Stadt erst aus dem Sattel, verlor dann zunehmend Kontrolle und Einflussmöglichkeiten auf eine - um im Bild zu bleiben - wildgewordene WCCB-Kutsche.

Deren Lenker, UNCC-Geschäftsführer Man-Ki Kim, entführte sie erst nach Zypern (Arazim Ltd.), dann nach Hawaii (Honua Investment Management Inc.) und die vielen Millionen Euro - genau: 138 (einhundertachtunddreißig) - aus öffentlich besicherten Krediten und Steuergeldern indirekt gleich mit.

Inzwischen ist das Kartenhaus der städtischen Eigenwerbung mehr oder weniger zusammengebrochen. Die Fakten haben wie eine Machete eine Schneise durch den Dschungel der Desinformation geschlagen, und die Partei der Grünen kann für sich reklamieren, nach dem kollektiven Fingerheben im Rat für das WCCB-Projekt, immer die richtigen Fragen gestellt zu haben. Baukosten-Explosion um 60 Millionen Euro - warum? Und warum Hawaii oder Zypern?

185 oder 352 Hotelzimmer für 139 Millionen? Nun ist der Vorhang im Theater um eines der größten kommunalen Infrastrukturprojekte Deutschlands hochgezogen worden, und auf der Bühne steht ein riesiges Fragezeichen. Warum so und nicht anders? Einige Fragen versucht nun der Staatsanwalt zu beantworten, und spätestens seit der ersten Razzia steht auch für oberflächliche und optimistische Beobachter fest: Alles wird nicht gut.

Außerhalb von Schuld und Verantwortung stehen seit Wochen "Figuren" (Personen, GmbHs, Institutionen) auf dem Schachbrett, die aus taktischen Gründen von chronischem Bewegungsmangel befallen sind. Doch die normative Kraft des Faktischen sorgt jetzt für Bewegung: Der nahende Winter ist Gift für eine unvollendete Baustelle, dazu der versiegende Geldstrom. Seit Donnerstag steht fest, dass die Handwerker den richtigen Instinkten gefolgt waren, weil sie in den Tagen zuvor samt Werkzeug, Maschinen und Material geflüchtet waren. Warum arbeiten, wenn keiner zahlt? Seit Donnerstag hat ihr Auftraggeber, die SMI Hyundai Europe GmbH, Insolvenz angemeldet. Sie erklärt damit ihre Zahlungsunfähigkeit.

SMI Hyundai Europe ist der Generalübernehmer, beim WCCB das Herzstück des Bauens. Ihr Besitzer und Geschäftsführer, Young-Ho Hong, sitzt in Untersuchungshaft und hat ein Teilgeständnis abgelegt, welches die Staatsanwaltschaft als Untreue in einem besonders schweren Fall wertet. Deshalb ist das Schreiben an die Subunternehmer auch mit "i. A." (im Auftrag) gekennzeichnet. Darin teilen Hongs Stellvertreter mit: "Wir weisen darauf hin, dass der Abtransport von Materialien von der Baustelle nur in Abstimmung mit dem - noch nicht bekannten - vorläufigen Insolvenzverwalter erfolgen darf. Der Ausbau bereits fest mit dem Bauwerk verbundener Einbauten ist rechtswidrig."

Solche Kernsätze gehören nicht nur pflichtgemäß in ein solches Schreiben, sondern auch zum geschäftlichen Handwerkszeug der Subunternehmer, die deshalb in den letzten Tagen machten, was sie jetzt nicht mehr dürfen.

Hong hatte SMI Hyundai Europe eigens für den Bau des WCCB gegründet. Was bedeutet die erklärte Zahlungsunfähigkeit? Einmal, dass Subunternehmen ihre Rechnungen nur teilweise bezahlt bekommen und möglicherweise - je nach Umfang des Auftrages - ebenfalls zahlungsunfähig werden. Zum anderen übernimmt nun ein Insolvenzverwalter das Ruder, er wird sozusagen der neue Chef von SMI Hyundai und hat ausschließlich die Interessen dieser GmbH zu vertreten - und keineswegs für eine städtische Preiswert-Rettung des WCCB zu sorgen.

Welche Werte hat Hongs Firma noch? Sie besitzt die Pläne für den WCCB-Bau und damit auch die Ausführungskompetenz.

Den Bau kann auch ein Dritter vollenden, allerdings nicht ohne die Pläne zwischen Statik und Haustechnik. Folglich wird der Insolvenzverwalter die Pläne hüten wie einen Schatz und schauen, welchen Preis er dafür erzielen kann. Vom Erlös muss er seine Dienste bezahlen und vom Rest eine Gläubigerquote bilden. Beispiel: Betrüge dieser Rest zwei Millionen Euro und die Summe ausstehender Handwerker-Rechnungen zehn Millionen Euro, würde jede ausstehende Forderung nur mit 20 Prozent befriedigt.

Das Bauwerk WCCB hingegen gehört weiterhin der UNCC. Sie ist Bauherr, schwächelt wirtschaftlich und strebt selbst der Zahlungsunfähigkeit, dem Aus zu. UNCC hat letztlich die Insolvenz bei SMI Hyundai Europe ausgelöst. Zwar hatte die Sparkasse KölnBonn vor Monaten noch einmal 30 Millionen Euro nachgelegt und damit den Kredit, für den die Stadt haftet, auf rund 104 Millionen Euro erhöht. Doch auf einer Baustelle, die pro Tag rund 260 000 Euro verschlingt, verwandeln sich auch 30 Millionen schnell in Beton, Fliesen oder Sprinklerrohre.

Dass auch die nochmalige Finanzspritze der Sparkasse den Bau nicht vor dem Winter schützen kann, stand bereits vorher fest. Dazu wäre ein wirtschaftlich starker Bizeps der UNCC-Eigentümer nötig, vor allem die Bereitschaft, ihn einzusetzen. Doch Honua zögert, weiteres Eigenkapital - gefragt sind rund 30 Millionen Euro - zu investieren, zumal man sich zuvor mit Mitbesitzer Arazim einigen, ihn vermutlich abfinden müsste. Im Stillen wird Honua rechnen, was sich rechnet: Arazim-Abfindung plus zusätzliche Baukosten bis zur kompletten Fertigstellung plus bereits investierte Millionen, mindestens 17,4. Und zu welchem Preis könnte ein fertiges Weltkongress-Zentrum schließlich an einen dritten Investor verkauft werden? Wartet da ein Gewinn oder ein Verlust? Fragen, die in viele Unterfragen zersplittern, etwa die: Was ist die Bausubstanz überhaupt wert?

Ähnliche Fragen bearbeiten gerade Sparkasse und Stadt Bonn. Nur unter etwas anderen Vorzeichen. Hier geht es darum, ein Zukunftsprojekt zu vollenden. Dazu gibt es keine Alternative. Entscheidend: Es gibt sichere und unsichere Wege, berechenbare und unberechenbare, preiswerte und kostspielige. Die bisherige WCCB-Baugeschichte entpuppte sich für Sparkasse und Stadt vor allem als unsicher, unberechenbar und kostspielig - als Millionenfalle. Schließlich manövrierten unseriöse Geschäftspartner, gegen die nun die Staatsanwaltschaft ermittelt, und eigene Versäumnisse die Kommune in eine Rolle, in der sie mehr oder weniger zusehen musste, wie ihre Kasse geleert wurde. Ein Zustand zwischen Ohnmacht und Demütigung, den die Stadtoberen jedoch erst spät - nach einer langen Phase des Wegsehens - realisierten.

Vor diesem Hintergrund würde es nicht überraschen, wenn die brave Führungsmannschaft der Kommune sich nun ins Gegenteil verwandelt. Die Stadt Bonn ist ein angeschlagener, in Teilen auch vorgeführter und jetzt selbst unberechenbarer Gegner auf dem Schachbrett geworden.

Viel spricht dafür, dass Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und die Ratsherren bereit sind zu einer Art Befreiungsschlag nach dem Motto "Zurück in den Sattel", um tatsächlich wieder die Zügel zu halten. Die letzte Chance dazu bietet sich über eine UNCC-Insolvenz, ausgelöst durch die Sparkasse, indem diese vermutlich ihre Kreditmillionen auf fällig stellt. Das geht auch ohne den gesuchten UNCC-Geschäftsführer Man-Ki Kim.

Gegen diesen Joker, einmal auf den Tisch geworfen, wären jene Investment-Firmen, die im WCCB ohnehin nur einen wertsteigernden Durchlauferhitzer für ihre wenigen Millionen sahen, weitgehend machtlos. Sie würden quasi per Schachzug kalt enteignet.

Doch anders als im realen Spielerleben brächte der Einsatz dieses Jokers keinen Gewinn, sondern nur die Rückkehr in den Sattel. Es wäre vermutlich ein rechtlich sicherer Weg zu dessen Rückeroberung, leider auch ein unberechenbar kostspieliger, was die restlichen Baukosten angeht. Denn wer traut sich zu welchem Preis, das Zukunftsprojekt zu jenem Punkt zu tragen, den man schlüsselfertig nennt?

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