200 Jahre Protestanten in Bonn Die Ahnen waren freie Bauern oder Pastoren

KESSENICH · Bei seiner Aufarbeitung der Familiengeschichte konnte Rudolf Wickels Großvater Protestanten bis ins 16. Jahrhundert nachweisen: preußischer Uradel. Doch selbst als Rudolf Wickel jung war, gab es noch Schultoiletten nach Konfessionen getrennt.

 Drei Generationen: Nina, Peter und Rudolf Wickel.

Drei Generationen: Nina, Peter und Rudolf Wickel.

Foto: Benjamin Westhoff

Rudolf Wickel hat seine Kindheit in Kessenich zu einer Zeit verbracht, als hinter der Bergstraße „Dänemark“ anfing. „Dänemark“, das war Dottendorf und zugleich Feindesland. Die Steine flogen hart und hinterließen manchmal offene Wunden. Auf der Straße interessierte es keinen der Jungs, dass Rudolf Wickel, später viele Jahre FDP-Fraktionschef im Bonner Stadtrat und Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, protestantischen Glaubens war. Aber nach dem katholischen Religionsunterricht ließen die Mitschüler es immer raushängen. „Ihr habt den Irrglauben, ihr Blauköppe“, das hätten sie dann zu hören bekommen, sagt er. Die katholischen Religionslehrer predigten den Unterschied. Heute herrschen andere Sitten.

Drei Generationen der Familie Wickel schildern ihre Erfahrungen aus Anlass des 200-jährigen Bestehens der evangelischen Kirche in Bonn. Rudolf Wickel ist mittlerweile 83 Jahre alt. Er hat sechs Kinder und zehn Enkelkinder. In seiner Kindheit gab es auf manchen Schulen noch vier Toiletten, aufgeteilt nach Geschlecht und Konfession. Die Zeiten für Protestanten haben sich im Verlauf der Generationen geändert. Enkelin Nina ist gerade volljährig geworden. In ihrer Schule konnten auch Katholiken und Muslime am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen und umgekehrt, wenn sie denn wollten.

Auswendiglernen von Bibelstellen

In einem Ordner hat die Enkelin fein säuberlich abgeheftet, worum es in der Vorbereitung auf die Konfirmation ging: der Tod, das Leben. „In der Gruppe wurde viel über solche Themen diskutiert. Man konnte sich gut und vernünftig mit den anderen auseinandersetzen“, sagt die 18-Jährige. Der Pfarrer wollte von ihnen wissen, was man am Gottesdienst verbessern könnte. „Vieles hatte einen Bezug zum Leben.“

Ihr Vater Peter Wickel, 53, erinnert sich dagegen an das Auswendiglernen von Bibelstellen und Frontalunterricht. „Wir haben das alles als Jugendliche nicht in Frage gestellt. Das war eben so.“ So war es zu seiner Zeit beispielsweise streng verboten, das schwarze Aschenkreuz abzuwischen. Als er 1969 eingeschult wurde, besuchte er die Erich-Kästner-Schule, die Nikolausschule unter katholischer Trägerschaft war noch nicht für „Andersgläubige“ geöffnet.

Es ist nicht so, dass die Familie zu den regelmäßigen Kirchgängern gehört oder in der Kessenicher Friedenskirchengemeinde besonders aktiv gewesen wäre. Aber sie sind bis heute evangelisch geblieben. Die Wurzeln der protestantischen Ahnen reichen weit zurück.

Freier Bauer oder Pastor

Der Großvater von Rudolf Wickel war der fünfte Protestant in Kessenich. Er baute das Berufsschulwesen in Bonn mit auf und besuchte regelmäßig die Gottesdienste im Gemeindehaus, lange bevor die Kirche existierte. Ihm haben die katholischen Bauern am Karfreitag, dem höchsten protestantischen Feiertag, als kleine Provokation Mist vor die Tür geschüttet. Und andererseits haben die stets gut betuchten Protestanten das frühere Bekleidungsgeschäft Blömer am Markt boykottiert, bis das Unternehmen auch Protestanten als Mitarbeiter einstellte.

Bei seiner Aufarbeitung der Familiengeschichte konnte Rudolf Wickels Großvater Protestanten bis ins 16. Jahrhundert nachweisen: preußischer Uradel. Jeder aus der Familie sei entweder freier Bauer oder Pastor gewesen. Keine Leibeigenen waren darunter, sagt Rudolf Wickel. Er sagt über sich und seine verstorbene Frau, sie seien Liberale in der Erziehung gewesen.

Und so konnten die Kinder entscheiden, wie tief sich auf den kirchlichen Glauben einlassen. „Wir haben schon Gebete gesprochen, mussten aber nicht jeden Sonntag in die Kirche“, erinnert sich Peter Wickel. Seinen beiden Kindern hat er die Wahl überlassen, ob sie den Glauben annehmen möchten. Nina Wickel, die 18-Jährige, kann gar nicht genau sagen, wann und warum die Nach-treffen mit ihrer Konfirmandengruppe nachgelassen haben. Das Ausschlafen am Wochenende mag eine Rolle gespielt haben, der Müßiggang im sonst vollgepackten Leben.

Die drei Generationen wohnen Tür an der Tür in der Kessenicher Karl-Barth-Straße. Früher hieß sie Germanenstraße. Rudolf Wickel hat gegen diese Namensumbenennung erfolglos protestiert. Das alte Straßenschild hat er als Andenken an seiner Hausfassade festgemacht. Nicht etwa dass er etwas gegen den mittlerweile eher unbekannten evangelischen Theologen Barth gehabt hätte. „Aber wenn man die Straßennamen einer Stadt ändert, greift man in die Identität der Menschen ein, die dort wohnen.“ Bei ihm ist der Protestantismus nicht nur Glaube, sondern auch Haltung.

Die evangelische Kirche feiert in diesem Jahre 200 Jahre Protestanten in Bonn. Der General-Anzeiger berichtet in loser Folge über dieses Jubiläum.

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