Bonner Kopf Franz Fischer Der Chronist des Bonner Kulturlebens

Bonn · Seit den 1970er-Jahren ist der Fotograf Franz Fischer zum Chronisten des Bonner Kulturlebens geworden. Am Freitag hat er seine gesammelten Schätze dem Stadtarchiv überlassen. Nun warten allein 70 dicke Aktenordner auf ihren Abtransport ins Stadthaus.

 Fotograf Franz Fischer (Mitte) übergibt seinen Vorlass an Bildern ans Stadtarchiv. Archivleiter Norbert Schloßmacher und Dorothee van Rey, die das Material ehrenamtlich katalogisiert, freuen sich.

Fotograf Franz Fischer (Mitte) übergibt seinen Vorlass an Bildern ans Stadtarchiv. Archivleiter Norbert Schloßmacher und Dorothee van Rey, die das Material ehrenamtlich katalogisiert, freuen sich.

Foto: Martin Wein

Joesph Beuys linst angestrengt unter seinem Hut hervor. Günter Grass raucht, Marcel Reich-Ranicki regt sich auf, und Karin Hempel-Soos freut sich. Wenn bekannte und oft auch nur regional aktive Künstler, Autoren oder Musiker in Bonn waren, war auch Franz Fischer meistens nicht weit. Während er tagsüber als Beamter im Bundesfinanzministerium anderen Leuten die Mehrwertsteuer erklärte, zum Beispiel bei deren Einführung 1968 und nach der Wende 1989 in den neuen Bundesländern, war der Bonner abends und am Wochenende mit der geliebten Nikon-Spiegelreflex und dem 85-mm-Festbrennweiten-Objektiv in Sachen Kultur unterwegs.

Als Ergänzung zu Aufnahmen aus dem politischen Leben in Bonn werde der Vorlass von Franz Fischer ein zentraler Bestandteil der ohnehin üppigen Fotosammlung des Bonner Stadtarchivs, freute sich dessen Leiter Norbert Schlossmacher. 2010 hatte Fischer dem Archiv bereits 50 000 Bildabzüge übergeben. Dorothee van Rey, die das Material seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich katalogisiert, freut sich auf viel Arbeit. Rund 3100 Fotoanlässe habe sie in fünf Jahren Arbeit bereits erschlossen, berichtete sie. Nun müsse sie wohl sehr alt werden, um das komplette Material zu erschließen.

Dabei waren es eher Zufälle, die den heute 79-jährigen Fischer zur Porträtfotografie brachten. 1937 im niedersächsischen Walsrode geboren, wuchs er mit der Familie in Essen auf. Schon während der Schulzeit in den frühen 1950er Jahren jobbte er bei einem Produzenten für feuerfeste Steine als Assistent des Industriefotografen. „Eigentlich wollte ich das dann auch beruflich machen. Auf Dauer war es mir aber zu unbelebt“, erzählt der Hobbyfotograf.

Lieber schlug Fischer nach dem Abitur 1956 eine Verwaltungslaufbahn ein und kam über Düsseldorf mit seiner Ehefrau nach Bonn. Auch am Arbeitsplatz im Ministerium fand er Motive: Helmut Schmidt konzentriert beim Schachspiel oder CSU-Finanzminister Theo Waigel - „den mit den enormen Augenbrauen“.

Vor allem aber das Kulturleben hatte es Fischer schnell angetan – und da besonders die Avantgarde. Im Bonner Kunstverein, in privaten Galerien, in der Beethovenhalle, den Kammerspielen oder Privattheatern – immer mehr wurde es Fischers Ehrgeiz „eine 125stel-Sekunde aus dem Leben der Künstler aufs Negativ zu bannen“. Vorher verwickelte er die Porträtierten regelmäßig in ein Gespräch, suchte Blickkontakt. „Heimlich habe ich als Schüler nur meine Lehrer fotografiert. Und das war noch viel schwieriger als heute.“

Vor allem Musiker erwiesen sich als schwierige Kandidaten. „Die sind alle vorher unglaublich aufgeregt – und nach dem Konzert meistens todmüde. Dem österreichischen Pianisten Alfred Brendel lauerte Fischer, dessen Aufnahmen auch immer wieder im General-Anzeiger erschienen sind, deshalb förmlich vor der Künstlergarderobe in der Beethovenhalle auf. „Als ich klopfte, öffnete er nur einen Spalt. Genau da drückte ich ab. Mit seiner großen Brille lugte Brendel auf dem Foto durch die Tür wie eine Eule in ihrem Astloch“, erinnert sich Fischer. In der Dunkelkammer zu Hause im Keller zog Fischer nur „schöne“ Bilder ab. Heute gebe es einen Hang zum Hässlichen, zur entlarvenden Grimasse, findet er. Die Rechte am eigenen Bild und auf Privatheit würden im Handyzeitalter nicht mehr gewahrt. Auch das Foto als Kunstform verliere an Bedeutung.

Andererseits sei es fast nicht mehr möglich, Alltägliches wie spielende Kinder abzulichten, weil ein überzogener Datenschutz und die Angst vor Verbrechen dem entgegenstünden. „Da wird künftigen Generationen viel Überlieferung fehlen.“

Natürlich fotografiert Franz Fischer inzwischen schon aus Kostengründen selbst digital und schätzt die Spielmöglichkeiten der modernen Geräte. Die analoge Ausrüstung mit Vollformatkamera und die Dunkelkammer stehen trotzdem noch einsatzbereit im Keller. Da seine beiden Kinder mit dem riesigen Bildfundus aber überfordert seien, entschied er sich nun zur Abgabe ans Stadtarchiv.

„Nur die Tausenden von Urlaubsdias im Glasrahmen habe ich weggeschmissen – und zwar alle. So was sieht sich ja doch keiner mehr an“, sagt der Bonner Kulturchronist entschieden und ganz ohne Wehmut. Auch neue Porträts macht er nur noch selten. „Ich muss ja noch all die Bücher lesen, die ich mir früher von den Autoren ansatzweise habe vorlesen lassen“, erklärt er.

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