Gute Fragen in schwierigen Zeiten Der Bonner Philosoph Martin Booms im Interview

BONN · Der Bonner Professor Martin Booms philosophiert in der Universität über die Zukunft der Demokratie und im Musikclub Harmonie über zentrale ethische Themen in Kinofilmen.

Martin Booms auf dem Bonner Weihnachtsmarkt.

Martin Booms auf dem Bonner Weihnachtsmarkt.

Foto: Horst Müller

Der 46-Jährige wirkt als Dozent in Bonn, Berlin und St. Gallen. An der Bonner Uni präsentiert er die 15. Staffel seiner Reihe „Philosophie und Politik“. Darüber hinaus punktet Booms beim breiten Publikum mit dem Projekt „Philosophie im Kino“. So zeigt er demnächst in der Harmonie den Märchenklassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und philosophiert mit dem Publikum über den Film. Mit Martin Booms sprach Heinz Dietl.

GA: Herr Booms, in Talkshows und sozialen Medien kursieren Myriaden von Meinungen. Wozu brauchen wir noch Philosophen, die uns die Welt erklären?

Martin Booms: Genau deswegen. Wir brauchen einen Orientierungsrahmen, um all diese Meinungen einordnen zu können. Das ist die Aufgabe von Philosophie. Ich spüre es bei Veranstaltungen: Die Leute haben ein immenses Orientierungsbedürfnis.

GA: Kann denn ein Philosoph beispielsweise Social Bots und Fake News identifizieren?

Booms: Nicht direkt, dafür braucht es Spezialisten. Was der Philosoph aber kann, ist die Reflexion: Wie gehen wir mit Social Media um? Ist das der Demokratie nützlich? Alles hochbrisante Fragen.

GA: Man hat den Eindruck, dass die Philosophie lieber kluge Fragen formuliert, als schnelle Antworten zu geben. Wie kommt’s?

Booms: Das ist ja nicht verkehrt. Viele Zeitgenossen schießen sehr schnell Antworten aus der Hüfte und liefern damit oft Lösungen für Probleme, die gar nicht existieren. Ich glaube, dass es an den richtigen Fragen mangelt.

GA: Was wäre eine richtige Frage?

Booms: Wie stellen wir uns die Arbeitswelt von morgen vor? In welcher Welt wollen wir leben? Hier können Philosophen aktiv werden, doch sie müssen auch rausgehen in die Gesellschaft.

GA: Sie gehen raus. Sie zeigen Kinofilme in der Harmonie und diskutieren mit dem Publikum. Was ist die Intention?

Booms: Vielen Menschen scheint die Philosophie zu hoch, zu abstrakt, zu schwer. Ein sinnliches Medium wie das Kino bietet sich geradezu an, philosophische Themen anhand ausgewählter Filme zu diskutieren.

GA: Welchen Erkenntnisgewinn hat letztens „Ex Machina“ gebracht? In diesem Film geht es um künstliche Intelligenz.

Booms: Der Erkenntnisgewinn liegt in der Sensibilisierung für das, was auf uns zukommt. In naher Zukunft werden wir Entscheidungen treffen müssen, wie wir mit künstlicher Intelligenz umzugehen haben.

GA: Darf man sich dann nicht mehr – wie in diesem Film – in eine schöne Roboterfrau verlieben?

Booms: Die Frage geht weiter: Darf ich eine künstliche Intelligenz, nur weil sie künstlich ist, zum Beispiel einsperren? Jedem Menschen sprechen wir Freiheitsrechte zu. Müssen wir diese Rechte nicht auch künstlichen Personen zugestehen?

GA: Haben Sie eine Antwort?

Booms: Man kann Kriterien formulieren, ob und ab wann es nicht mehr begründbar ist, einen künstlichen Menschen wie eine Maschine zu behandeln.

GA: Am 20. Dezember lautet das Thema „Donald Trump und das Aschenbrödel“. Sie zeigen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Was hat der Kultfilm mit Trump zu tun? Und mit Philosophie?

Booms: Es ist eine gewagte Verbindung, zugegeben. Aber: Das Aschenbrödel ist abgehängt, wird unterdrückt. Und das Phänomen Trump wurde nur möglich, weil abgehängte Schichten einen Weg des Protestes gesucht haben.

GA: Ist Aschenbrödel also ein Synonym für Trump-Wähler?

Booms: Sie ist ein Synonym für das, was verkehrt läuft in unserer Welt, nämlich dass Menschen zunehmend den Eindruck haben, nur noch als Funktion wahrgenommen zu werden und nicht als Person.

GA: Wer reduziert Menschen auf ihre Funktion?

Booms: Das geschieht zusehends in einer globalisierten Wirtschaftswelt. Die Menschen empfinden sich nicht mehr als Souverän der Dinge. Die tiefe Weisheit bei Aschenbrödel liegt in dem Rätsel, das sie dem Prinzen beim Schlossball mitgibt.

GA: „Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht …“

Booms: „… ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht …“ Im Grunde zwingt das Aschenbrödel ihre Umgebung dazu, sie als eigenwertige Person wahrzunehmen.

GA: Platon, Descartes, Kant: Waren schon die frühen Philosophen politisch relevant?

Booms: Platon verfolgte die Idee einer Diktatur der Weisen. Die Wende zum Subjekt, die man mit René Descartes verbindet, hatte eine große gesellschaftliche Wirkung. Und auf Kant geht die moderne Idee der Menschwürde zurück.

GA: Zurzeit läuft die 15. Staffel ihrer Reihe „Philosophie und Politik“ an der Universität Bonn. Was ist das Konzept?

Booms: Wir wollen damit Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen. Diese Bereiche laufen oft neben einander her. Auch Philosophen haben den Hang, sich gelegentlich zu entkoppeln. Das will ich aufbrechen. Es kommen jedes Mal 200 Besucher.

GA: Am 22. Dezember geht es um „Populismus“ und „Die mehrdeutige Rede vom Volk in der Demokratie.“ Wer ist denn das Volk?

Booms: Genau das ist zu diskutieren. Die Populisten beziehen sich auf eine Art Gesamtkollektiv, als ob das Volk ein Wesen für sich selbst wäre. Das Grundgesetz wiederum hat einen ganz anderen Volksbegriff, wenn es etwa heißt, alle Gewalt habe vom Volke auszugehen.

GA: Am 26. Januar geht es um „Lügenpresse, Fake News & Co.“ Ihr Gesprächspartner wird der Chefredakteur des General-Anzeigers sein. Was ist Ihr Ansatz?

Booms: Es wird um die Frage gehen, welcher Wahrheitsbegriff für die Medien überhaupt angemessen ist. Wer Lügenpresse sagt, muss irgendeinen Begriff von Wahrheit in Anspruch nehmen. Das werden wir diskutieren, gern auch kontrovers.

GA: Wo ist das Problem mit der Wahrheit?

Booms: Meine Auffassung ist, dass Medien in einem bestimmten Sinn überhaupt nicht objektiv sein können.

GA: Wieso denn nicht?

Booms: Medien müssen auswählen, was sie berichten und wie sie gewichten. Das sind unumgängliche Eingriffe.

GA: Einspruch!

Booms: Bitte schön.

GA: Wenn ich jetzt verbreite, Professor Booms sei der Auffassung, dass Medien überhaupt nicht objektiv sein können, dann berichte ich doch objektiv, oder?

Booms: Trotzdem entscheiden Sie, ob Sie dieses Zitat in Ihrem Text verwenden oder nicht – oder überhaupt danach fragen.

GA: Die objektive Wahrheit über Martin Booms ist, dass er regelmäßig bei Fußballübertragungen in einer Bonner Studentenkneipe gesichtet wird. Richtig?

Booms: Ja, das stimmt.

GA: Betreiben Sie dabei philosophische Recherchen? Oder kommt hier die heimliche Leidenschaft eines Berufsdenkers durch?

Booms: Klare Antwort: Leidenschaft. Aber es ergeben sich dabei auch interessante Gespräche. Philosophie kann man nicht an der Garderobe abgegeben.

GA: Sie haben einst als Hobbyfußballer gewirkt. Entspricht es den Tatsachen, dass man Sie „die Krake vom Hofgarten“ nannte?

Booms: Dieser Ruf verfolgt mich bis heute. Ich war Verteidiger und ließ nur ungern jemanden an mir vorbei.

GA: Könnte man dem FC Köln mit Philosophie weiterhelfen?

Booms: Ich glaube nicht. Als Vereinsmitglied von Borussia Mönchengladbach wäre ich ohnehin befangen.

GA: Beim Radfahren bevorzugen Sie eher die Langstrecke. Wo geht’s vorzugsweise hin?

Booms: Zum Beispiel nach Frankfurt. Es gibt zwei Varianten, die kürzere Strecke hat mehr Höhenmeter, die längere geht an den Flüssen entlang. Ein bis zwei Mal im Jahr fahre ich mit dem Rad nach Paris. Von der Bonner Altstadt bis zum Triumphbogen sind es exakt 514 Kilometer. Alles kleine Straßen, ungefähr 4500 Höhenmeter, wunderschön. Zwei Tage, eine Übernachtung – und man ist da.

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