Interview zur Forstwirtschaft Bonner Waldbauer fordert Wende in der Forstpolitik

Bonn · Stürme, extreme Trockenheit und die Borkenkäferplage gefährden Waldbauern in ihrer Existenz. Privatwaldbesitzer Alexander Graf Westerholt aus Bonn-Friesdorf fordert eine Wende in der Forstpolitik.

Überall im Stadtgebiet stapeln sich Baumstämme. Haben Sie Verständnis für die Verärgerung über so viele gefällte Bäume?

Alexander Graf Westerholt: Menschen haben sehr unterschiedliche Beziehungen zu Bäumen und zum Wald. Oft ist es so, dass jemandem ein oder mehrere Bäume ans Herz gewachsen sind, weil man täglich auf dem Weg zur Arbeit an ihnen vorbei kommt. Deshalb ist die Emotionalität nachvollziehbar. Aber einige Reaktionen sind auch sehr überzogen und zeugen von laienhaftem Sachverstand. Bäume sind Pflanzen, die auch einer Nutzung unterliegen und wichtige Bedürfnisse erfüllen. Die Bewertung unserer Tätigkeit als Waldbauern ist deshalb in der Öffentlichkeit leider oft nicht fair.

Zuletzt kreischten ständig Motorsägen in Parks, an Straßenrändern, im Wald. Ist jede Baumfällung gleich sinnvoll?

Westerholt: Man muss unterscheiden, aus welchem Grund ein Baum gefällt wird. Innerstädtische Bäume werden zu meist aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht gefällt oder weil sie einem Bauprojekt im Weg stehen. Das hat nichts mit nachhaltiger Forstwirtschaft zu tun, dahinter stehen politische Entscheidungen. Wenn Bäume im Wald gefällt werden, spricht man von Holzernte. Das ist kein Euphemismus, sondern das ehrlichste und zutreffendste Wort für diesen Vorgang. Und das alles ist nicht neu: Bereits 1713 hat Hans Carl von Carlowitz in der Waldbewirtschaftung den Begriff der Nachhaltigkeit geschaffen, der vorgibt nur so viele Bäume zu ernten wie nachwachsen.

Wenn Bäume auf großen Flächen gefällt werden, wird das gerne mit dem Roden der Regenwälder verglichen. Ist das zulässig?

Westerholt: Nein, der Vergleich ist völlig unbrauchbar. Sogenannte Kahlschläge kommen bei uns nur dann vor, wenn Gefahr in Verzug ist – so wie bei der sich ausbreitenden Borkenkäferplage – oder wenn ein Sturm eine ganze Waldzelle umgeworfen hat. Es gibt in Deutschland keinen Wald, der in irgendeiner Form nicht von Menschen beeinflusst wurde. Auch bei der Ausweisung einzelner Wildnisgebiete handelt es sich um Kulturwald. Waldbauern und Forstleute leben im ständigen Kreislauf: pflanzen, pflegen, ernten.

Wie können Sie als Waldbauer auf Naturereignisse reagieren?

Westerholt: Holzwirtschaft und Forstpolitik müssen eine Wende einleiten. Unser Brotbaum Fichte kann uns aufgrund des Klimawandels nicht mehr ernähren und steht auch nicht mehr für einen stabilen Wald. Ich möchte einen Vergleich zur Börse herstellen. Auch dort wird das Geld wegen der unsicheren Kapitalmärkte auf verschiedene Anlageformen gestreut. So müssen wir Waldbesitzer auch vorgehen: Statt Fichten-Monokulturen müssen wir Mischwälder mit ganz unterschiedlichen Arten anpflanzen. Aber erst in 80 bis 100 Jahren wissen wir, welche Baumart am widerstandsfähigsten ist.

An welche Baumarten denken Sie?

Westerholt: Douglasie, Sitka-Fichte, Weißtanne, Eiche, Lärche, Thuja, Hemmlock-Tanne. Diese Baumarten werde ich jetzt in meinem Wald auf einer Fläche pflanzen, die zur Aufforstung ansteht. Aber ich werde auch 300 klassische Fichten setzen. Um den Zeitraum zwischen Anpflanzung und Ernte zu verdeutlichen, möchte ich anmerken, dass zum Beispiel eine heute gepflanzte Eiche bei einer sogenannten Umtriebszeit (Endnutzung) von 160 Jahren erst in der vierten Folgegeneration Geld in die Kasse wirtschaftet.

Sind Mischwälder die einzige Lösung?

Westerholt: Nein. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müssen Forstbetriebe über die künftige Nutzung ihrer Flächen nachdenken. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Das Land NRW bietet ein Totholzprogramm an. Es wird eine Prämie für Bäume gezahlt, die dann nicht mehr holzwirtschaftlich genutzt werden. Oder man legt einen Friedwald an. Die letzte Ruhestätte unter einem Baum zu finden, stößt derzeit auf hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Ein weiterer Ansatz sind sogenannte Kurzumtriebplantagen. Weiden und Pappeln werden auf einer Waldfläche gepflanzt und werden nach fünf Jahren durch eine Erntemaschine abgeerntet. Der Ertrag kann nur als Energieholz verwendet werden, zum Beispiel für Pellets. Die Pflanzen wachsen dann wieder nach.

Welche Auswirkungen haben Trockenheit, Stürme und Schädlinge auf ihre wirtschaftlichen Erträge?

Westerholt: Wir Waldbauern rechnen damit, dass wir mit Fichtenholz 2019 kein Geld verdienen werden. Die Kosten werden die Einnahmen aufzehren. Wegen des Überangebots von Fichtenholz durch das Sturmtief Friederike im Jahr 2018 und durch den Borkenkäfer auch schon im vergangenen Jahr sind die Holzpreise teilweise bis zur Hälfte eingebrochen. Die Windwürfe lassen sich höchstens noch als Industrie-, Papier- oder Brennholz vermarkten. Ich versuche, die umgestürzten Laubbäume an Privatleute zu verkaufen, die sich aus den Stämmen Brennholz für Kamine und Öfen zurecht schneiden.

Wie kann man in der Bevölkerung für mehr Verständnis für Ihre Arbeit werben?

Westerholt: Nur durch mehr Transparenz, und die erreicht man durch bessere und intelligentere Aufklärungsarbeit. Immer wenn ich in meinem Wald beruflich unterwegs bin, erkläre ich den Spaziergängern im Kottenforst, weshalb ich gerade wieder Bäume fällen lasse. Unser Betrieb ist über den Dienstleister PEFC zertifiziert. PEFC (Pan Europe Forest Certification)ist ein unabhängiges Zertifizierungssystem, das garantiert, das Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt.

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