Der Fall könnte sich wiederholen Bonner Mehmet Y. zurück aus Untersuchungshaft in Bulgarien

Bonn · Der türkischstämmige Bonner erzählt von seiner Verhaftung und den Alptraum, den Mehmet Y. seit Anfang September in Bulgarien erlebt hat. 93 Fahndungsersuche wurden bisher in NRW identifiziert.

Es war ein Alptraum, den Mehmet Y. seit Anfang September in Bulgarien erlebt hatte. Statt dort Urlaub zu machen, saß der 44-Jährige unschuldig sieben Wochen lang in Untersuchungshaft und Hausarrest. Ständiger Begleiter war die Angst, an die Türkei ausgeliefert zu werden, weil Präsident Recep Tayyip Erdogan ihn für einen Terroristen hält und ihn seit Jahren international suchen ließ.

Das allerdings wusste Y. nicht, als er mit seiner Frau ans Schwarze Meer flog. Seit fast zwei Wochen ist der türkischstämmige Bonner wieder zu Hause. Er und seine Frau Gülsen (31) sehen erleichtert, aber auch etwas müde aus, wenn sie in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa nebeneinander sitzen und Tee trinken. Die Angst ist noch sehr präsent. Reisen will Mehmet Y. in nächster Zeit nicht mehr.

Das NRW-Innenministerium bestätigt auf GA-Anfrage, dass die internationale Fahndung nach dem 44-Jährigen in der Datenbank von Interpol gelöscht worden sei. Dennoch fühlt sich das Ehepaar nicht sicher. "Es waren Polizisten hier und wollten wissen, wie mein Mann in Bulgarien behandelt wurde. Und sie sagten, er solle das Land jetzt besser nicht verlassen", erzählt die 31-Jährige. Selbst wenn die sogenannte Red Notice (siehe "Fahndungsersuchen") nicht mehr existiert, gebe es weitere Werkzeuge, über Interpol zu fahnden.

Polizisten führen Mehmet Y. ab

Alles begann am 2. September, als das Paar nach Bulgarien reist und sich auf neun Tage Urlaub freut. Bei der Passkontrolle in Warna heißt es: "Wir suchen nach Ihnen." Polizisten führten Mehmet Y. ab. Er wird verhört, muss Fingerabdrücke abgeben und findet sich wenige Stunden später in einer Zelle im Keller des Flughafens wieder. Dort verbringt er zwei Nächte, bekommt in drei Tagen zwei Croissants und einen halben Liter Wasser zu essen und zu trinken.

Und die Polizisten sagen ihm, er werde innerhalb von 24 Stunden dem Haftrichter vorgeführt und an die Türkei ausgeliefert. Doch dann wird er zunächst in ein Gefängnis in U-Haft verlegt. Er berichtet von einer dünnen Matratze, bedeckt mit Schimmel- und Blutflecken. "Ich stand erst einmal minutenlang bewegungslos in der Zelle."

Türkische Medien berichten

Türkische Medien berichten über den Fall: Lange gesuchter Terrorist gefasst, heißt es. Dazu wird ein Foto gezeigt, das allerdings nicht Mehmet Y., sondern einen anderen Mann mit Bart und rundlichem Bauch in Handschellen zeigt. Nach einer Gerichtsverhandlung und der Vorlage von Dokumenten, die Deutschland übersendet hat und die bestätigen, dass Mehmet Y. in den 1990ern als Flüchtling nach Deutschland kam, darf er das Gefängnis verlassen und wird im Hotel, in dem er Urlaub machen wollte, unter Hausarrest gestellt.

Der 44-Jährige hat das Gefühl von der bulgarischen Polizei schikaniert zu werden, mit Passkontrollen vor allen anderen Hotelgästen. Das ist ihm unangenehm. Irgendwann verlässt er das Hotelzimmer nicht mehr. Erdogans Besuch in Köln verfolgt das Paar im Fernsehen. "Das war bitter", sagt Gülsen. Während der türkische Präsident ihren Mann in Bulgarien festhielt, erhielt er in Deutschland ein Staatsbankett. Am 10. Oktober spricht das bulgarische Gericht den Bonner endlich frei.

Und immer wieder stellt sich das Paar die Frage: Warum hat uns niemand gewarnt? Die Bundesrepublik wusste, dass Mehmet Y. gesucht wurde. Zweimal, 2009 und 2012, wurde ein Auslieferungsersuchen durch die Türkei von Deutschland abgelehnt. Und seit einem ähnlichen Fall des Kölner Autors Dogan Akhanlı, der 2017 in Spanien festgenommen wurde, informiert das Innenministerium in NRW einige Betroffene - aber nur über Fahndungsersuche der vergangenen fünf Jahre. Das von Mehmet Y. war älter.

Das Ministerium teilt auf Anfrage mit, dass seit 2013 bis 13. September 2018 insgesamt 93 Fahndungsersuche der Türkei in NRW identifiziert wurden. Gewarnt wurden 19 Menschen. Einige seien zum Teil weggezogen, bei anderen stehe noch nicht fest, ob ein Inlandsverfahren eingeleitet werde. Theoretisch kann sich der Fall von Mehmet Y. also wiederholen, wenn unter den verbleibenden weitere, nach unserem Rechtssystem unschuldige Menschen sind. Mehmet Y. wurde auch nur gesucht, weil er als Student in den 1990ern an Demonstrationen teilnahm. Insgesamt hat der Freiheitsentzug das Paar 8000 Euro gekostet. Denn das Hotel mussten sie in der Zeit bis zur Freilassung weiter bezahlen. Jetzt hoffen sie wenigstens auf eine Entschädigung.

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