Schutz vor Überschwemmungen Bonner Firmen entwickeln Warnsystem für Starkregen

Bonn · Einen besseren Schutz vor Überschwemmungen nach Starkregen soll ein System bieten, das drei Bonner Firmen gemeinsam entwickeln. Die Grundidee: Kameras kontrollieren Pegel und Fließgeschwindigkeit, eine Software wertet die Daten automatisch aus.

Die Szenen, die sich am 4. Juni 2016 in Bad Godesberg, Wachtberg und der Grafschaft abgespielt haben, werden die betroffenen Anwohner nicht vergessen. Schwere Unwetter mit Starkregen ließen an jenem Samstag aus beschaulichen Bachläufen reißende Ströme werden, die nichts aufhalten konnte. Straßen wurden überschwemmt, Brücken und Autos mitgerissen, Häuser liefen innerhalb von wenigen Minuten mit verschlammtem Wasser voll. Die meisten trafen die Folgen des Unwetters völlig unvorbereitet.

Die Bilder von Überschwemmungen und Verwüstung gingen auch Heinrich Krummel und Stefan Oesinghaus nicht mehr aus dem Kopf – und weckten in ihnen den Forschergeist. In den Tagen nach dem Unwetter setzten sich Geophysiker Krummel, Geschäftsführer der Bonner Firma Geofact, und Geologe Oesinghaus, geschäftsführender Gesellschafter beim ebenfalls in Bonn ansässigen Unternehmen Kühn Geoconsulting, zusammen.

Kurze Vorwarnzeit bei Bächen

„Wir haben uns gesagt: 'Da muss man doch eigentlich mal was machen'“, erzählt Krummel. Antrieb seien auch Beschwerden zahlreicher Anwohner gewesen, die damals bemängelten, nicht vor den drohenden Überschwemmungen gewarnt worden zu sein. Krummel und Oesinghaus entwickelten deshalb die Idee für ein Frühwarnsystem, das dabei helfen soll, Anwohner von Bächen bei Unwettern rechtzeitig zu informieren.

Wobei rechtzeitig bei Bächen relativ ist, wie Krummel betont: „Die Vorwarnzeit bei kleinen Gewässern ist sehr kurz, denn das Wasser kann innerhalb von wenigen Minuten extrem steigen.“ Das Beobachtungssystem bei Flüssen erster Ordnung, also solchen, die ins Meer fließen, und bei Flüssen zweiter Ordnung (die in einen anderen Fluss fließen, der wiederum in ein Meer mündet) sei dagegen gut ausgebaut und mache frühzeitige Schutzmaßnahmen möglich. Folglich starteten die beiden Firmen ein Projekt, zu dem sie noch die Ingenieurgruppe Steen-Meyers-Schmiddem (SMS) ins Boot holten, mit dem Ziel, auch kleinere Gewässer zu überwachen.

Untersucht werden bei dem Vorhaben mit dem offiziellen Titel „Hierarchisches Frühwarn- und Alarmierungssystem für plötzliche Sturzfluten nach Starkregenereignissen“ (Haplus) der Nierendorfer und der Bengener Bach in der Gemeinde Grafschaft. „Dort war das Unwetter besonders schlimm“, sagt Krummel. Ein weiterer Grund, warum die Grafschaft als Untersuchungsgebiet gewählt worden sei, sei die große Kooperationsbereitschaft der Gemeinde. Gefördert wird Haplus seit Oktober 2017 für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, das dem Team 1,1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat.

Zum einen setzt das Bonner Team auf eine Kameraüberwachung der beiden Gewässer, um Pegelhöhen und Fließgeschwindigkeiten zu kontrollieren. Dieses System wendet auch die Stadt Bonn an, um beispielsweise den Godesberger und Mehlemer Bach zu beobachten. Im Falle von Haplus sei aber eine Beobachtung des Kamerabilds nicht nötig, da es eine Software gebe, die das Bild auswerte, so Krummel.

Aufwendige Simulation

Bestandteil des Systems ist auch ein Oberflächen-Abflussmodell, mit dem Fließwege des Wassers bei Überschwemmungen simuliert werden. So soll für den Ernstfall eine Vorhersage möglich sein, welche Gebiete besonders betroffen sind. „Dazu lassen wir das Untersuchungsgebiet digital beregnen“, erklärt Michael Schmiddem von der Ingenieurgruppe SMS.

Für die Simulation waren aufwendige Vorarbeiten nötig: Das Gebiet selbst als auch abflussrelevante Engstellen, wie zum Beispiel Brücken, mussten vermessen sowie die Oberflächenbeschaffenheit der Böden untersucht werden. Letzteres spiele eine große Rolle, da das Wasser auf unterschiedlichen Untergründen auch unterschiedlich schnell versickere, so Schmiddem. Problematisch sind in diesem Punkt vor allem Straßen, weil das Wasser hier wegen der Versiegelung nicht ins Erdreich gelangt.

Alle gesammelten Daten, zu denen auch Echtzeit-Wetterdaten zählen, werden in einem System zusammengefasst, das im Ernstfall Warnungen herausgeben soll - und das möglichst schnell. „Wichtig ist dabei auch eine Vorwarnstufe“, erklärt Julia Gerz, die das Projekt für Kühn Geoconsulting mitbetreut. Diese ist erreicht, wenn sich ein Bachlauf bei Starkregenfällen bedrohlich anstaut. Je nachdem, wie sich die Situation vor Ort entwickelt, werden über das System dann zuständige Behörden alarmiert.

Dabei soll es allerdings nicht bleiben: In Häusern, die direkt am Bachlauf stehen, wollen die drei Firmen Alarmboxen installieren. „In kritischen Fällen bekommen die Bewohner dann eine SMS auf ihr Handy“, sagt Krummel. So hätten Betroffene zumindest die Chance, einige wichtige Dinge vor den drohenden Fluten zu retten.

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