Traditionelles Handwerk Bonner Bäckereien kämpfen gegen Discounter

Bonn · Wer einen Streifzug durch Bonn unternimmt, stößt auf viele Bäckereien. Dennoch hat sich in den Geschäften vieles verändert.

Was wohl Frau Walterscheidt heute macht? In den achtziger Jahren wurde die Frau mit der keifenden Stimme und unverkennbar bönnscher Note zum Archetyp der rheinischen Bäckereifachverkäuferin – und verhalf ihrem Schöpfer Konrad Beikircher zu einem Bekanntheitsgrad als Kabarettist, der bald weit über Frau Walterscheidts festem Sendeplatz im WDR-Hörfunk hinausreichte. Die Bäckersfrau als Institution im Veedel, die jeden kennt, alles weiß und zu allem eine Meinung hat – sie sei vom Aussterben bedroht, meinen die einen. Es werde noch lange und noch viele „Frau Walterscheidts“ geben, beruhigen die anderen. Darin, dass die Bäckereibranche seit Jahren im Wandel ist, besteht immerhin weitgehend Konsens.

Man muss kein Nostalgiker sein, um sich amüsiert all der Begegnungen versprengter Nachtschwärmer und Vertretern der werktätigen Bevölkerung zu erinnern, zu denen es regelmäßig im Morgengrauen in der Acherstraße kam. Um fünf Uhr, da füllte der Duft schon längst den Münsterplatz, wurden bei „Caspers“ die ofenheiße Ware unter der auf Kniehöhe geöffneten Jalousie hervorgereicht. Und abends um halb sieben war Schluss. Bis zum Sommer 2001, als nach einem halben Jahrhundert bei „Caspers“ für immer Schluss war.

In zehn Jahren verschwanden 17 Bonner Handwerksbäcker

Das Haus, in dem früher Brötchen, Spekulatius und Zimtsterne aus dem Ofen gezogen wurden, ist längst abgerissen. Und in der Öffentlichkeit ist stets schnell das Wort vom Bäckereisterben zur Hand, wenn irgendwo ein Traditionsbetrieb schließt. 2015 war es die Bonner Bäckerei Lubig, die Insolvenz anmeldete und deren Geschäft vom neuen Inhaber fortgeführt wird.

Ein aktueller Rundgang durch die Stadt legt indes nahe, dass der Begriff des „Sterbens“ eindeutig die falsche Metapher ist. Wer beispielsweise einen Bogen im Dreieck zwischen Hauptbahnhof, Markt und Friedensplatz schlägt, der kann sich über Marktlücken bei Backwaren kaum beschweren. Ditsch, Wiener Feinbäckerei, Bakers Premium, Lubig, Backwerk (drei Mal auf der Route), Rott(zwei Mal), Epi, Mr.Baker, Theo's, Voigt, Kamps, so lauten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die mehr oder weniger bekannten Namen entlang der Route. Ein gutes Dutzend Anbieter ist dort versammelt, den Kölner Mitbewerber Merzenich mit seinem Stand auf dem Markt und die Konditoreien Müller-Langhardt und Fassbender nicht eingerechnet. Die Preisspanne ist deutlich sichtbar: 33 Cent kostet das normale Brötchen bei Lubig, 20 Cent sind es bei der Konkurrenz mit der Selbstbedienung.

Nach Angaben der Kreishandwerkerschaft Bonn/Rhein-Sieg gibt es auf Bonner Stadtgebiet zurzeit 25 eingetragene Handwerksbäckereien. „Eine solche ist eine in die Handwerksrolle für das Bäckerhandwerk eingetragene Firma, in der die Produkte unabhängig von der Betriebsgröße handwerklich hergestellt werden, also nicht teil- oder vollautomatisiert“, erklärt Geschäftsführerin Elke Siewert den Begriff. Verantwortlich ist in der Regel mindestens ein Bäckermeister. Ihnen gegenüber stehen die „SB-Bäckereien“ oder Discounter, die streng genommen keine „Bäckereien“ sind, weil sie in der Regel vorgefertigte Rohlinge, die sie fremd beziehen, nur aufbacken. Zwar gebe es auch in einer „handwerklichen“ Bäckerei maschinelle Unterstützung wie in einer Küche, doch gehe das Produkt vor der Fertigstellung durch viele Hände.

Mit „zirka 17“ bemisst die Kreishandwerkerschaft die Zahl jener Bäckereien, die in den vergangenen zehn Jahren auf Bonner Stadtgebiet den Backofen für immer ausschalteten. „Die Gründe reichen von Altersgründen über Krankheit bis hin zur Insolvenz. Teilweise sind die Schließungsgründe auch die Kapitulation vor Forderungen des Ordnungsamtes, der Lebensmittelüberwachung oder der Bürokratie“, sagt Siewert. Sie hält einen Einzelbäcker kaum dazu in der Lage, die umfangreichen Dokumentations- und Auszeichnungspflichten zu erfüllen. Ein anderes Beispiel: „Machen Sie aus einer Backstube, die in der x-ten Generation im Ortskern existiert, mal eine Produktionsstätte, die sämtliche modernen Brandschutzbestimmungen erfüllt“, so die Geschäftsführerin.

Neueröffnungen fangen Schließungen auf

Dass mit den Geschäftsschließungen der vergangenen Jahre kaum Arbeitsplätze verloren gegangen seien, erklärt die Kreishandwerkerschaft damit, dass Betriebe übernommen wurden – und mit ihnen die Belegschaft. Denn es gibt nicht nur Insolvenzen, sondern auch Neugründungen. Fünf Neueröffnungen zählte die Innung in den vergangenen Jahren, darunter auch Übernahmen. Und so schränkt Elke Siewert ein: „Komplette Neueröffnungen an neuen Standorten durch einen Handwerksbäcker haben Seltenheitswert.“

Zuweilen aber sind es auch junge, innovative Aktivposten, die das Geschäft beleben, was nicht nur auf ihre lautmalerischen Namen bezogen ist: „Bäckermeister Max Kugel liebt Brot“ mag ein sperriger Name sein, doch hat der 26-jährige Bäcker vom Bonner Talweg zumindest in der näheren Umgebung seine Fangemeinde erschlossen. Die Zukunft des Bäckerhandwerks liege in der Spezialisierung, sagte er dem GA zur Eröffnung im Sommer. Da muss man sich über die Namensgebung für seine Brotsorten eigentlich nicht weiter wundern. Es gibt den „Johnny“, den „Heinz“, das „Kleine Schwarze“ und so weiter. „Laib und Seele“ heißt indes die Demeter-Bäckerei, deren Erzeugnisse aus einer Backstube in Ippendorf den Weg in zahlreiche Bonner Bioläden finden.

Zugleich gilt: Mit jeder neuen Filiale, die ein Discounter in der Stadt eröffnet, wird das Angebot um einen Backautomat mit Brotpreisen um die 70 Cent erweitert, vollautomatische Produktion und hohe Stückzahlen machen es möglich. Und auch in manchem Dönergrill gibt es inzwischen günstig frisch gebackenes Fladenbrot, das sich auch unter Alteingesessenen sichtlich wachsender Beliebtheit erfreut.

Zurück in die Innenstadt. In den Bäckereifilialen sind die Stehtische und Stühle gut gefüllt, egal ob Handwerksbäcker oder Billigkette. Auch die Produktvielfalt scheint gleichermaßen hoch. In der Remigiusstraße wirbt ein Aufsteller für den „BBQ Chicken Rib“ – einer Art Hybrid aus Burger und Brötchen. Backwerk am Friedensplatz versucht sich mit einer anderen Verlockung: „Auf die Hand gemacht mit Liebe“ steht dort. Gehetzt betritt ein Mittvierziger mit dunklen Haaren die SB-Bäckerei. Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte, ein Trolley im Schlepptau. Sein suchender Blick huscht über die Fächer. Gefunden. Schnell wird ein belegtes Brötchen mit der Zange auf das Tablett bugsiert und zielstrebig zur Kasse getragen. Das Kleingeld klirrt auf dem Kassentresen. Er eilt aus der Tür. Es geht blitzschnell, und das soll es wohl auch. Nur für Frau Walterscheidt bleibt keine Zeit mehr.

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