Projekt in Bonn Anonyme Spurensicherung bietet Hilfe für Vergewaltigungsopfer

BONN · Nach einer Vergewaltigung stehen Frauen unter Schock, sind schwer traumatisiert, haben Angst. Eine Studie belegt, dass 47 Prozent der Opfer mit niemandem über die erlebte Gewalt sprechen. Und nur fünf bis 15 Prozent der Frauen zeigen den Vergewaltiger an. Auf dem Weg zur Anzeige hilft die anonyme Spurensicherung.

 Einsatz für Opfer: Katja Schülke, Dr. Elke Doberentz, Irmgard Küsters und Alexander Poretschkin (hinten von links) sowie Conny Schulte, Dr. Maria Mensching (vorne von links).

Einsatz für Opfer: Katja Schülke, Dr. Elke Doberentz, Irmgard Küsters und Alexander Poretschkin (hinten von links) sowie Conny Schulte, Dr. Maria Mensching (vorne von links).

Foto: Barbara Frommann

"Viele brauchen Zeit und Ruhe, bevor sie diesen Schritt in Erwägung ziehen", sagt Conny Schulte von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt. Das Problem: Entscheiden sich die Opfer Monate oder Jahre später, die Polizei aufzusuchen, sind die Spuren - und damit die Beweise - verschwunden.

Um diese zu sichern, hat der Arbeitskreis Opferschutz Bonn/ Rhein-Sieg vor rund zehn Jahren ein Set zur anonymen Spurensicherung (ASS) entwickelt. Seitdem diente es anderen Städten und Gemeinden als Vorbild, darunter Köln und Euskirchen. Nun soll es landesweit an den Start gehen. Wann steht noch nicht fest. Geplant ist die flächendeckende Umsetzung bis 2017.

"Die Idee ist, eine anonyme Spurensicherung nach einer Sexualstraftat zu ermöglichen", sagt Schulte. Die so gesicherten Beweise werden unter einer Chiffrenummer anonym im Rechtsmedizinischen Institut gelagert, ohne dass die Polizei davon erfährt. Und das bis zu zehn Jahre lang.

[kein Linktext vorhanden]Das gibt den Betroffenen Zeit. Seit 2006 haben sich 151 Frauen für die anonyme Spurensicherung entschieden, 16 davon haben später Anzeige erstattet. "Es ist sehr wichtig, dass die Opfer auf die Befunde zurückgreifen können", sagt Schulte. Denn häufig stünde vor Gericht Aussage gegen Aussage. Dann könne mithilfe der ASS die Gewalteinwirkung nachgewiesen werden.

Bislang gibt es die ASS-Sets an 13 Krankenhäusern in Bonn und der Region (siehe Kasten). Darin enthalten sind Flyer und Materialien, Infos über Beratungsstellen und Leitfäden zur Untersuchung. Diese sind wichtig, damit die gesicherten Beweise gerichtstauglich sind, sagt Dr. Elke Doberentz. Die Rechtsmedizinerin war mit Maria Mensching, Psychologin am Sankt-Marien-Hospital, maßgeblich an der Entwicklung der Befundbögen beteiligt. Finanziert wurde das mit Unterstützung des Landes.

"Das Problem ist, dass Ärzte in Kliniken keine Erfahrung mit rechtssicherer Befunddokumentation haben", sagt Doberentz. Sie gibt ein Beispiel: "Wenn ich feststelle, dass jemand eine Prellung am Kopf hat, sagt das vor Gericht nichts aus. Man muss festhalten, ob es eine Rötung, eine Schwellung oder ein Hämatom gibt." Doch der Untersuchungsleitfaden hat laut Mensching noch ein weiteres Ziel: Ärzte könnten sich an einer Vorlage orientieren, mit der ihnen die Angst genommen wird, womöglich etwas zu vergessen oder falsch zu machen.

Das Bonner Modell hat Schule gemacht. Zurzeit läuft eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme an der Uni Bielefeld. Ende des Jahres soll es konkrete Empfehlungen geben, wie das Projekt landesweit umgesetzt werden kann, sagt Schulte. Außerdem gibt es eine temporäre landesweite Koordinationsstelle, die Netzwerke wie den Arbeitskreis bei der Umsetzung berät - und offene Fragen klärt. Etwa die der Finanzierung. In Bonn und der Region haben bislang hauptsächlich die Beteiligten wie die Krankenhäuser und die Stadt das Projekt ermöglicht.

2015 gab es zum ersten Mal Landesmittel. Ob die auch 2016 fließen, steht laut Schulte nicht fest. Ein Grund mehr für landesweite Standards in Sachen ASS zu sorgen.

Zahlen und Fakten

Studien haben, so der Verein Frauen gegen Gewalt ergeben, dass zwischen 2001 und 2013 in Deutschland jährlich 8000 Vergewaltigungen angezeigt wurden. Im Durchschnitt wurden jährlich 1314 Anklagen erhoben, es gab 986,5 Verurteilungen. 13 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen haben seit ihrem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt erlebt. Tatort ist meist die eigene Wohnung (69 Prozent). 20 Prozent der Vergewaltigungen erfolgen an öffentlichen Orten. Unbekannte Täter sind in der Minderheit.

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