Bonner Kopf Andrea Eskau ist immer auf der Rolle

Bonn · Die querschnittgelähmte Bonnerin fährt regelmäßig Weltmeistertitel ein. Als Jugendliche wurde sie vom DDR-Kader abgelehnt

 Andrea Eskau holte mit dem Handbike und im Biathlon schon zehn Weltmeistertitel im paralympischen Sport.

Andrea Eskau holte mit dem Handbike und im Biathlon schon zehn Weltmeistertitel im paralympischen Sport.

Foto: Martin Wein

Es ist verrückt. Zu Hause muss Andrea Eskau ein wahres Edelmetalllager verwalten. Einmal Bronze, dreimal Silber und zweimal Gold holte die Sportlerin allein bei den paralympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang. Und auch bei den zwei vorigen Winterspielen und den vier letzten Sommerspielen holte sie jedesmal Medaillen, darunter sechsmal Gold. Auch jetzt ist Eskau in Bonn nur kurz auf der Durchreise, denn in Kanada warten die Weltmeisterschaften der Handbiker.

Trotzdem macht die Frau, die braungebrannt und mit strahlendem Lachen zur Begrüßung aus ihrem Büro im Bundesinstitut für Sportwissenschaft in der Graurheindorfer Straße rollt, weder einen verbissenen noch einen gestressten Eindruck. „Na, dann wollen wir mal über die Defizite in Ihrer Kindheit reden“, eröffnet die promovierte Psychologin witzelnd das Gespräch und bittet den Besucher in einen roten Ledersessel mit hoher Lehne und Fußstütze.

Die 46-Jährige, die als Jugendliche aus unbekannten Gründen vom DDR-Kader abgelehnt wurde, führt zwei Leben – als Spitzensportlerin im ständigen Wettkampfmodus und seit einem Jahrzehnt als Beamtin in Bonn, die wissenschaftliche und Service-Projekte für den Behindertensport begleitet. Sie genießt beides, auch wenn der Arbeitstag eigentlich immer um 6 Uhr früh beginnt, damit hinterher noch Zeit für zwei bis drei Trainingseinheiten bleibt. Ihre Partnerin hält ihr beim Einkaufen und im Alltag den Rücken frei.

Schon als Schülerin Sport getrieben

Sport hatte Eskau schon als Schülerin getrieben, aber später gingen Disco und Konzerte vor. Erst ein schwerer Unfall mit dem Fahrrad brachte 1998 die Wende. „Ich war in Wuppertal auf dem Weg zur Uni und bin mit dem Rücken auf einer Bordsteinkante gelandet“, erzählt sie. Von da an versagten die Beine ihren Dienst. Doch das Schlimmste war die eigene Vorsicht: „Ich bin aus Furcht gar nicht mehr rausgegangen“. Schon am Geldautomaten mehr als 50 Mark abzuheben, erschien ihr zu gefährlich: „Es könnte mich ja jemand beklauen, dachte ich.“

Den Medaillensegen der letzten Jahre verdanken Eskau und ganz Deutschland dem Behinderten-Begleithund Frantek. Der schwarze Labrador-Rüde nahm in Eskaus Diensten sichtbar zu, weil die vielen Hügel in Wuppertal mit dem Rollstuhl beim Gassi-Rollen nicht zu schaffen waren. Um den Hund auszuführen, kam schließlich ein Handbike ins Haus. Damit fuhr Eskau nach einem Zeitungsbericht 2002 spontan den Köln-Marathon. „Da ist doch alles eben. Die 42 Kilometer fährt man mit links“, sagt die Sportlerin. Sie landete auf dem dritten Platz.

Jetzt war der Ehrgeiz geweckt, auch an die Spitze vorzustoßen. „Der Einstieg war damals einfach. Es gab noch nicht so viel Konkurrenz.“ Inzwischen sei auch der paralympische Sport stark kommerzialisiert. Manche Athleten täuschten beim Grad der Behinderung. Manipulationsmöglichkeiten gebe es viele. Viel Geld ist mittlerweile im Spiel. Andere Nationen rüsten auf.

Nie einen Sponsorenvertrag unterschrieben

Eskau hat nie einen Sponsorenvertrag unterschrieben. „Ich kann so niemanden enttäuschen“, sagt sie und freut sich über das Beste aus zwei Welten. Ihr Arbeitgeber stellt sie oft frei, denn für Biathlon im Winter und Handbike im Sommer muss sie das ganze Jahr über unterschiedlich trainieren. Auch mobiles Arbeiten ist möglich.

Der Erfolg ist für Eskau dabei nicht entscheidend. „Wenn ich gewinne, ist das toll. Aber wenn andere gewinnen, freu ich mich auch für die.“ Gespannt verfolgt sie beispielsweise derzeit abends vor dem Fernseher die Europa-Meisterschaft der Leichtathletik. Stillsitzen kann die 46-Jährige dabei allerdings nicht. Immer steht ihr Handbike für ein Geschwindigkeitstraining sicher montiert auf der Rolle. Mit ihren Händen hat Eskau ein Maß an Geschicklichkeit und Kraft entwickelt, das viele Durchschnittsmenschen wohl nicht mit Armen und Beinen zusammen erreichen. Dass sie die Rampe vor ihrem Büro offiziell nicht befahren darf, weil die nach einer Norm angeblich zu steil ist, empfindet Eskau deshalb als Treppenwitz – im wahrsten Sinne.

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