Interview zur Politik von Adenauer "Adenauer hatte ein sehr pessimistisches Menschenbild"

Bonn · Konrad Adenauer ging eine Politik der kleinen Schritte, ließ sich nie in die Karten schauen und hielt die Menschen für unverbesserbar. Dennoch schätzt der Historiker Michael Hochgeschwender dessen Innen- und Außenpolitik.

 Konrad Adenauer (1876-1967), Kölner OB (Zentrum), Bundeskanzler (CDU), Studium in Bonn 1895-1897, Jura

Konrad Adenauer (1876-1967), Kölner OB (Zentrum), Bundeskanzler (CDU), Studium in Bonn 1895-1897, Jura

Stalin bot Konrad Adenauer schon 1952 die Wiedervereinigung an - unter der Bedingung, dass Deutschland sich politisch neutral verhalte. Adenauer lehnte ab und band sich eng an die USA und Westeuropa. Warum?

Michael Hochgeschwender:Adenauer hatte die geostrategische Situation im Blick: Ihm war das Ausgreifen der Sowjetunion Richtung Westen bewusst - etwa in Tschechien, Ungarn - und sah das als Bedrohung für Deutschland. Neutralität kam da für ihn nicht in Frage. Adenauer hatte außerdem geradezu paranoide Angst, dass die Deutschen der Demokratie nicht gewachsen sein könnten. Das Risiko schien ihm in einer neutralen Demokratie höher als unter der Führung von drei Besatzungsmächten im Westen. Dritter, wichtiger Punkt: Er glaubte, dass die westliche Ordnung ohne Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich nicht bestehen könne.

Wie kritisch ist Adenauers Politik der Westbindung, die ja die deutsch-deutsche Teilung auf Jahrzehnte zementiert hat, heute zu bewerten?

Hochgeschwender: Das kommt darauf an, ob Ihr Primat das der Wiedervereinigung oder das der Stabilität ist. Es war nicht unklug, in dem schwierigen, politischen Umfeld der Nachkriegszeit die Demokratie erst einmal in einem Teil Deutschlands einzuführen, sich an den Westen zu binden und damit wieder politischen Handlungsspielraum zu gewinnen. Ein wiedervereinigtes Deutschland ohne Blockbindung, aber mit einer kommunistischen Partei im Osten unter Stalins Einfluss hätte leicht zu einer Destabilisierung in der Mitte Europas führen können. Deutschland wäre ein neutrales Vakuum gewesen oder hätte einen Ostruck erfahren - beides wäre im Kalten Krieg vom Westen nicht akzeptiert worden. Ich sehe seinen Weg positiv. Ein neutrales Deutschland wäre nicht überlebensfähig gewesen. Vielleicht hätte es sogar die Grundlage für den nächsten Krieg gelegt.

Adenauer setzte nach Kriegsende auf die Montanunion, die Keimzelle der heutigen Europäischen Union. Hat er damals schon das große Ganze vorausgedacht?

Hochgeschwender: Er war eher ein Politiker, der Schritt für Schritt ging und dann schaute, wo man rauskam - ein bisschen wie Angela Merkel. Adenauer war jedoch überzeugt, dass nur ein vereinigtes Europa den Frieden sichern würde. Er lag damit voll auf US-Linie. Die Amerikaner haben die Einigungsbemühungen unterstützt, denn - anders als Präsident Donald Trump heute - lag ihnen viel an einem Ordnungsfaktor auf dem europäischen Kontinent. Für Adenauer ging das Vorhaben auf: Nur wer mit im Boot sitzt, hat auch eine Stimme. Es war zudem für Deutschland wichtig, in übergeordnete Strukturen eingebunden zu sein und nicht im Nationalismus zu verharren. "Bonn ist nicht Weimar" hieß das Schlagwort damals - es fasst schön die Grundannahme dieser im Kern rheinländischen CDU-Politik, die Helmut Kohl fortsetzte, zusammen.

Was würde Adenauer heute mit Blick auf eine gereifte, gewachsene EU sagen?

Hochgeschwender: Vermutlich wäre er unzufrieden - wie die meisten. Seine Politik wäre heute nicht weit weg von der Angela Merkels. Auf die Freundschaft zu Frankreich würde er noch immer großen Wert legen, zu Trump hätte er vermutlich keinen guten Draht. Er mochte ja schon Kennedy nicht. Adenauer war eben geprägt durch die Kabinettspolitik des 19. Jahrhunderts, in der man auf Geheimdiplomatie setzte und sein Herz ganz sicher nicht auf der Zunge trug.

Schon 1949 drängte Adenauer auf die deutsche Wiederbewaffnung. Warum?

Hochgeschwender: Er tat dies aus realpolitischen Erwägungen. Internationale Partizipation war in seinen Augen nur möglich, wenn Deutschland auch einen militärischen Beitrag leisten würde. Er wollte die Bundesrepublik gar mit Atomwaffen aufrüsten, um auf Augenhöhe mit Frankreich und Großbritannien sein zu können. Der Korea-Krieg bestätigte ja dann auch schließlich seine Ahnung, dass die Sowjets aggressiv ihre Macht ausbauen wollten. Seine Verwurzelung im Katholizismus half ihm: In diesem Milieu gab es keine pazifistische Schlagader. Und in seiner Prägung des 19. Jahrhunderts galt der Militärdienst als staatsbürgerliche Pflicht.

Adenauer wollte die NS-Vergangenheit des Landes schnell vergessen. Funktioniert Demokratie nach einem Krieg vielleicht nur so - indem man rigoros nach vorn schaut und auch manchen Täter im Amt lässt?

Hochgeschwender: In seiner Zeit als Kölner Bürgermeister entfernte er alle Nazis aus den Ämtern. Daraufhin brach die Verwaltung zusammen. Den Fehler beging er nur einmal, dann sagte er: "Man muss mit den Menschen arbeiten, die man hat." Und gerade in Verwaltungsberufen war die NSDAP in hoher Dichte vertreten gewesen. Zynisches Kalkül war womöglich auch dabei. Mitarbeiter, die stark belastet sind, können nicht am Stuhl des Chefs sägen, weil sie dessen Schutz bitter nötig haben. Hans Globke war so ein Fall: Der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze wurde Adenauers Staatssekretär.

Mancher sagt, die Demokratie in Deutschland hat eigentlich erst mit Willy Brandt begonnen - die Gleichberechtigung von Männern und Frauen wurde Thema, das Schuldprinzip bei Scheidungen abgeschafft. Teilen Sie diese Meinung?

Hochgeschwender: Nein, das ist völlig falsch. Alle existierenden Demokratien im Westen waren zu dem Zeitpunkt fest im viktorianischen Wertesystem des 19. Jahrhunderts verhaftet. Auch in den USA durften Frauen bis in die Sechziger kein Bankkonto ohne Erlaubnis ihres Mannes eröffnen. Erst mit der Babyboomer-Generation und der Studentenbewegung kam es zu rapiden Veränderungen. Die Politik schwamm nur darauf wie ein Korken im Fluss. Willy Brandt verstand es aber, die Unruhe der Sechziger Jahre aufzunehmen und in konkrete Politik zu gießen. Er gab den Reformtendenzen Gesicht und Programm.

Was können heutige Politiker von Konrad Adenauer lernen?

Hochgeschwender: Es ist sein außerordentliches Verdienst, unter ungünstigen Vorzeichen - kaputte Städte, demontierte Fabriken, nach einem verlorenen Krieg und mit einer nationalen Psyche, die am Ende ist - demokratische Strukturen und eine moderat-kapitalistische Ordnung zu gründen, dabei nur in Teilen an die Tradition anbinden zu können und gleichzeitig viel verändern zu müssen. Für die Stabilität der Bundesrepublik war Adenauer entscheidend. Die Ostdeutschen, und beinahe auch die Saarländer, haben den Preis dafür bezahlen müssen.

Eine Lektion lautet: Zur Politik gehört Zynismus; man kann sie nicht nur mit Ideologie betreiben. Wie man Menschen einschätzt, ist die zweite Lehre. Adenauer hatte ein sehr pessimistisches Menschenbild. Über das Hohe Lied der Reformen, das seit Ende der Sechziger von Sozialliberalen wie Neoliberalen gesungen wird, würde er nur den Kopf schütteln. Er war überzeugt, dass grundlegende Reformen nur schwer durchsetzbar sind, weil die Menschen eben nicht besser werden und schnell überfordert sind. Als Historiker habe ich für diese Skepsis viel Sympathie.

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