Messerstecherei an Silvester 17-Jähriger in Bonn verurteilt

BONN · Der Gerichtsaal ist voll mit jungen Leuten, als die Jugendstrafkammer ihr Urteil spricht in einem Fall, in den viele Jugendliche verwickelt waren. Und der für einen 17-jährigen Schüler fast tödlich endete: Er wurde in der Silvesternacht von Messerstichen eines Gleichaltrigen so schwer verletzt, dass er laut Mediziner hätte sterben können.

Auch zwei weitere Opfer wurden durch Stiche verletzt und leiden bis heute. Nun schickt das Gericht den 17-jährigen Messerstecher wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung für drei Jahre hinter Gitter.

Sein mitangeklagter 20-jähriger Freund, der zugeschlagen und getreten hatte, kommt mit einer Verwarnung davon und muss ein Anti-Aggressions-Training machen. Und all das nur, weil sich die Angeklagten und eine Gruppe von zehn bis 15 jungen Leuten im Bus voneinander provoziert fühlten. Kammervorsitzender Volker Kunkel nutzt die Gelegenheit, einen Appell an die jungen Zuschauer zu richten: "Wenn alle etwas mehr Vernunft hätten walten lassen, wäre gar nichts passiert."

Das Video aus dem Nachtbus, in dem alles seinen Anfang nahm, zeige nämlich deutlich, "wie man es nicht machen sollte". Denn die zu Recht in Ernstfällen geforderte Zivilcourage sei hier nicht nötig gewesen. Und noch etwas macht der Richter deutlich: Die emotionale Betroffenheit von Opfern und Angehörigen könne das Gericht gut verstehen: "Wir sind alle Eltern." Aber als Richter müsse man alle Emotionen ausblenden, denn sonst "dürfen wir nicht hier sitzen".

Dann geht er auf das ein, was passiert ist - und so schwer zu klären war im Prozess aufgrund von Erinnerungslücken auf beiden Seiten. Feststehe nur, was das Video im Bus zeige: Die bisher unbestraften Angeklagten, afghanische Flüchtlinge mit traumatischen Lebens- und Fluchterfahrungen, stiegen in den Bus, wie auch die Gruppe von Gymnasiasten. Und bevor die Angeklagten am Petrus-Krankenhaus ausstiegen, beugten sie sich über ein Mädchen aus der Gruppe, das ihnen eine Kusshand zugeworfen hatte, und forderten vergeblich einen Kuss ein. Anlass für die Gymnasiasten einzugreifen, obwohl das Mädchen lachte und sich, so Kunkel, nicht bedroht fühlte.

Worte und aggressive Gesten von beiden Seiten folgten, dann folgte die Gruppe den Angeklagten aus dem Bus, und innerhalb von 58 Sekunden, so Kunkel, kam es zu den lebensgefährlichen Stichen.

Dennoch sei der 17-Jährige nicht wegen versuchten Totschlags zu verurteilen, erklärt der Richter: Davon sei er strafbefreiend zurückgetreten, denn er habe nicht weitergemacht, obwohl er gesehen habe, dass sein 17-jähriges Opfer wieder selbst in den Bus eingestiegen sei. Dort erst hatte der Schüler die Stiche in Brust und Bauch bemerkt und war zusammengebrochen. Er verlor eine Niere und leidet physisch und seelisch sehr unter den Folgen - wie auch die beiden anderen Opfer: Eine 16-Jährige erlitt Bauchverletzungen, ein Abiturient leidet noch heute darunter, dass seine Sehnen im Arm durchtrennt wurden. Sie alle hören dem Richter aufmerksam zu - mit bedrückten Mienen.

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