Rechtsmediziner im Prozess „Niklas hätte 90 Jahre alt werden können“

Bonn · Es ist der siebte Verhandlungstag im Prozess um den gewaltsamen Tod des 17-jährigen Niklas Pöhler vor dem Jugendschwurgericht. Rechtsmediziner Professor Burkhard Madea erklärt: Niklas hätte trotz Arterienanomalie 90 Jahre alt werden können.

Auch Niklas' Mutter hört zu, was der Leiter der Rechtsmedizin zu sagen hat. Kammervorsitzender Volker Kunkel hatte ihr zwar geraten, sich das besser nicht anzutun. Doch Denise Pöhler will es wissen. Denn durch das Gutachten hat sie im Ermittlungsverfahren erstmals erfahren, dass Niklas an einer Arterienmissbildung im Gehirn litt und deshalb nur ein Schlag des Angeklagten Walid S. tödlich gewesen sei. Aufgrund dieses Gutachtens änderte die Staatsanwaltschaft den Vorwurf gegen den 21-Jährigen von Totschlag auf Körperverletzung mit Todesfolge ab, was zu hitzigen Debatten in der Öffentlichkeit führte.

Wie Niklas Mutter später am Rande des Prozesses erklärt, habe sie das Gutachten nun selbst hören wollen und es „total von Niklas getrennt“. Außerdem, so erklärt sie: „Ich bin seit der Tat zehn Mal innerlich gestorben und jetzt völlig abgestorben. Sonst könnte ich das hier nicht durchstehen.“

So aber verfolgt sie äußerlich gefasst, wie Professor Madea erläutert, was erst spezielle Untersuchungsmethoden ergaben. Denn, so Madea: „Es ist eine Rarität, dass nur ein Schlag gegen den Kopf zum Tode führt. Es gibt in der Welt täglich Tausende von Faustschlägen gegen den Kopf, und es passiert nichts, wie beim Boxen.“ Man habe Gefäßveränderungen festgestellt, die „nicht altersgerecht waren“. Äußere Verletzungen, die den Arterienabriss hätten erklären können, habe es nicht gegeben.

Der Riss habe eine massive Einblutung ins Gehirn, einen Herz-Kreislauf-Stillstand und Sauerstoffmangel im Gehirn verursacht. Zwar habe Niklas nach 15 Minuten reanimiert werden können, doch die Schädigung durch den Sauerstoffmangel habe am 12. Mai zu seinem Tod geführt: „Wäre der Notarzt nur zehn Minuten später gekommen, wäre Niklas vor Ort gestorben. Eine solche Gefäßschädigung kann eine tödliche Verletzung begünstigen, muss es aber nicht.“ Mit der Arterienanomalie allein aber hätte Niklas laut Madea ein normales Leben führen können: „Er hätte 90 Jahre alt werden können.“

Ob es wirklich die Angeklagten Walid S. und Roman W. (21) waren, die Niklas angriffen, will das Gericht mit Hilfe der nächsten Zeugen klären: Es sind junge Männer aus dem Umfeld der Angeklagten. Einige sagten nach der Tat aus, Roman W. selbst zur fraglichen Zeit in Tatortnähe gesehen zu haben oder das gehört zu haben. Einem Zeugen soll Roman W. zugerufen haben: „Geh da nicht hin, Bruder, da ist gleich die Polizei.“ Vor Gericht tun sie sich schwer mit der Erinnerung, und Richter Kunkel droht einem 26-Jährigen mit Beugehaft drohen, bevor der den Namen desjenigen herausrückt, der ihm mit einer Kugel im Kopf gedroht habe: Es ist ein Freund der Angeklagten.

Bei der Polizei hatte der 26-Jährige erklärt: Die drei seien Schlägertypen, denen er die Tat zutraue. Nun sagt er: „Wenn wir wissen, wer das war, kriegt der auch Schläge. Wir haben das in Godesberg besprochen, unser Ruf geht auch kaputt.“ Und: „Ich werde als Verräter beschimpft. Das ist kein gutes Gefühl.“ Ein Zeuge aus diesem Umfeld erscheint nicht. Gegen ihn verhängt das Gericht 200 Euro Ordnungsgeld.

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