Körperverletzung und Hausfriedensbruch „Gewalttätigkeit kann man auch verlernen“

BONN · Der Arbeitersamariterbund in Bonn bietet einen Kurs für Täter an, die mit häuslicher Gewalt auffällig wurden. In Rollenspielen sollen sie ihr Fehlverhalten erkennen.

 Täterkurs bei häuslicher Gewalt, Treffen mit Alena Grimm und Herrn Thomas (Rollenspielsituation darstellen),

Täterkurs bei häuslicher Gewalt, Treffen mit Alena Grimm und Herrn Thomas (Rollenspielsituation darstellen),

Foto: Benjamin Westhoff

Es sind manchmal Kleinigkeiten, die eine Situation in den eigenen vier Wänden mit den nächsten Vertrauten eskalieren lassen kann. Der falsche Aufstrich auf dem Brot, ein Missverständnis bei der Absprache, wer die Kinder von der Schule abholt. Das Missverständnis führt zu Streit, der Streit führt zu Gewalt. Das Zuhause wird zum gefährlichen Ort. Die Fälle sind keine Seltenheit: 2016 berieten die Mitarbeiter von „Frauen helfen Frauen“ in diesem Bereich 260 bis 270 Mal telefonisch, mehr als 120 Opfer kamen auf eigene Initiative vorbei. 160 weitere wurden von der Polizei an den Verein vermittelt. Die Sicherheitsbehörde registriert 900 Fälle von häuslicher Gewalt jährlich, also zwei bis drei pro Tag. Dazu zählen Straftaten wie Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Erpressung oder Sachbeschädigung. Die Opfer: laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums und der Polizei 80 Prozent Frauen. Die Täter: rund 80 Prozent Männer.

Der Arbeitersamariterbund Bonn (ASB) bietet seit Dezember 2016 einen Kurs an, der sich an die Menschen richtet, die die Kontrolle verlieren, die schreien, zuschlagen, ausrasten und ihren Familien Angst einflößen.

Wem dieser Ansatz zu weit weg ist von den Opfern, dem sagt Marc Thomas: „Gewalttätigkeit ist erlernt, aber man kann sie auch wieder verlernen. Doch das ist ein mühsamer Prozess.“ Gemeinsam mit der Psychologin Alena Grimm bietet der Pädagoge den neuen Anti-Gewalt-Kurs an. In 34 Gruppen- und fünf Einzelsitzungen sollen die Teilnehmer über einen Zeitraum von neun Monaten über ihr Verhalten reflektieren, die Hintergründe besser verstehen und bestenfalls Mechanismen entwickeln, um eine Eskalation zu vermeiden.

Rollenspiele, um Fehlverhalten zu erkennen

Nicht selten kommt es bei den dienstäglichen Treffen vor, dass Thomas und Grimm ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen müssen. Er tut so, als habe er zwei Bier zu viel getrunken, sie spielt das Opfer, das einen Wutanfall über sich ergehen lassen muss. „Gewalt ist hässlich. Viele erkennen das allerdings erst, wenn sie eine Situation als Außenstehende beobachten“, erklärt Grimm.

Das Ziel solcher Rollenspiele ist ein Anstoß, das eigene Fehlverhalten zu erkennen und zu erforschen, wann und weshalb es zu solchen Stresssituationen kommt und wie sie zu vermeiden sind. „Beispielsweise, indem man das Bier eben weglässt. Oder eine Verabredung trifft, schon vor einem Streit die Wohnung zu verlassen und erst wiederzukommen, wenn der Ärger verpufft ist.“ Die Teilnehmer verfassen einen hypothetischen Brief an die Opfer, indem sie ihre Gefühle artikulieren und versuchen zu beschreiben, was in ihnen vorgegangen ist.

Kursteilnehmer wurden ausgeschlossen

Zum Ende des ersten Kurses ziehen Thomas und Grimm ein positives Fazit. Dabei ist nicht alles glatt gegangen. Es gab Grenzüberschreitungen und damit Ausschlüsse von Kursteilnehmern, die sich an die verabredeten Regeln nicht gehalten haben. „Wir rechnen mit Rückschlagen in brenzligen Situationen. Aber wir müssen offen darüber sprechen“, erklärt Grimm. Wenn es zu Gewaltausbrüchen während des Kurses kommt, müssen sie gemeldet werden.

Weitere Voraussetzungen für die Teilnahme sind Volljährigkeit und das Beherrschen der deutschen Sprache. Das „soziale Training“ wird in der Regel entweder als Auflage des Gerichts angeordnet oder die Jugendämter empfehlen es Familien. Aber auch Freiwilligen steht die Tür zum Programm offen, das übrigens nicht ganz kostenlos ist, aber gefördert wird. Der Beitrag liegt bei wenigen Euro, um den Wert zu unterstreichen.

Jede dritte Frau ist betroffen

Anke Voßhenrich von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt ist froh über das neue ASB-Angebot: „Oft besteht bei den Tätern keinerlei Einsicht, dass sie eine Schuld tragen. Sie in Rollenspielen in eine entsprechende Situation zu bringen, kann dabei helfen, die Verfehlung zu erkennen“, sagt sie. Für den Arbeitersamariterbund muss das Thema häusliche Gewalt noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. „Jede dritte Frau hat laut einer Europastudie schon einmal häusliche Gewalt erfahren müssen“, sagt Iris Rotter, für den Kurs zuständige Fachbereichsleiterin beim ASB. Und sie ergänzt: „Wenn die Täter in den Freiheitsentzug kommen, lernen sie im Gefängnis sicher nicht, sich mit ihrer Tat auseinanderzusetzen.“ Der ASB hat deshalb an die Bonner Staatsanwaltschaft geschrieben und ein eigenes Dezernat für häusliche Gewalt angeregt.

Ob es dazu kommen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. „Das Thema ist zweifelsohne wichtig. Wir überprüfen immer wieder die Zuschnitte unserer Dezernate“, teilte Sebastian Buß, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Auch Voßhenrich, die sich mit der Beratungsstelle für den Opferschutz stark macht, hält ein eigenes Dezernat für einen notwendigen Schritt, um dem Thema hinauszuhelfen „aus der Diaspora der Taten“.

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