Plädoyers im Fall Niklas Pöhler „Es gibt zwei mögliche Täter“

Bonn · Bei den Worten des Anklägers Florian Geßler geht ein Raunen durch den Zuschauerraum. Im Fall Niklas beantragen sowohl Staatsanwalt als auch Verteidiger Freispruch für den Hauptangeklagten. „Vor allem tut es mir sehr leid für Niklas' Mutter“, sagt Geßler.

Niklas' Mutter ist nicht anzumerken, was in ihr vorgeht, als der Staatsanwalt zu Beginn seines Plädoyers erklärt: „Ich beantrage Freispruch für den Angeklagten, denn ich kann nicht mit der nötigen Überzeugung sagen, dass er es war, der Niklas mit seinem Schlag tödlich verletzt hat.“ Es sei auch denkbar, dass es ein anderer war, sagte Florian Geßler – und meint den wieder in den Fokus gerückten Tunesier Hakim D., der zur Tatzeit am Tatort gesehen worden war und dem die bei Walid S. gefundene Jacke mit Niklas' Blut gehört.

Bei den Worten des Anklägers geht ein Raunen durch den Zuschauerraum. Obwohl sich im Prozessverlauf abzeichnete, wie brüchig die Beweislage war, kommt dieser Antrag doch überraschend. Und führt zwangsläufig zu der Frage: Bleibt der Tod von Niklas, der am 7. Mai 2016 in Bad Godesberg von drei Tätern attackiert und von einem so gegen den Kopf geschlagen worden war, dass er eine Woche später starb, nun ungesühnt?

Staatsanwalt Geßler, der den zur Tatzeit noch 20-jährigen Walid S. als mutmaßlichen Haupttäter wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf die Anklagebank brachte, kann auf diese Frage keine Antwort geben. Er erklärt: Dem als Schläger polizeibekannten Walid S. sei eine solche Tat zwar zutrauen, denn er habe schon mehrere Taten begangen, „die auf einer Linie liegen mit der Tat im Fall Niklas“. So wie eine Woche zuvor am 30. April 2016, als er aus nichtigem Anlass einen anderen jungen Mann attackierte.

Dass man Walid S. den Angriff auf Niklas zutraue, mache ihn noch nicht zum Täter. Allerdings sieht Geßler nach wie vor Indizien für dessen Täterschaft. Da gebe es nicht nur die Jacke mit Niklas' Blut, die bei Walid gefunden worden war. Doch nachzuweisen, dass er sie auch zur Tatzeit getragen habe, sei nicht gelungen. Auch habe Walid S. kein Alibi und viele Lügen erzählt. Doch auch das reiche nicht – und habe auch nicht für die Anklage gereicht. Erst als Niklas' Freund und Tatzeuge, der von dem zweiten Angeklagten Roman W. einen Schlag abbekommen haben soll, Walid S. als Täter identifiziert habe, sei er sicher gewesen und habe Walid S. angeklagt.

Dass der Zeuge Walid S. verwechselt haben könnte, sei ihm erst im Prozess klar geworden, so Geßler: Als er Hakim D. im Zeugenstand gesehen habe, habe ihn dessen Ähnlichkeit mit Walid S. geradezu „umgehauen“. Für den Staatsanwalt steht fest: „Es gibt nach der Beweisaufnahme zwei mögliche Täter, so dass ich nicht mehr sagen kann, wer der wahre Täter ist.“ Das sei für ihn ein sehr unbefriedigendes Ergebnis, erklärt Geßler und fügt mit Blick auf Denise Pöhler hinzu: „Aber vor allem tut es mir sehr leid für Niklas' Mutter.“

Und noch etwas mache ihm zu schaffen, so der Ankläger: „Ich bin davon überzeugt, dass es viele Zeugen gibt, die genau wissen, wer es war und aus falschem Ehr- oder Zusammenhaltsgefühl schweigen.“ Ihnen sei es wichtiger, zusammen im Kurpark herumzuhängen, als bei der Aufklärung eines schweren Verbrechens zu helfen. „Das ist eine widerwärtige Einstellung und zeugt von einer Empathielosigkeit, die mich genauso erschreckt wie die Tat selbst.“ Für die Tat vom 30. April 2016 fordert er ein Jahr Jugendstrafe für Walid S., dem er schädliche Neigungen attestiert. Die aber sieht Verteidiger Martin Kretschmer nicht bei seinem Mandanten und beantragt für die Tat vom 30. April lediglich einen Dauerarrest.

Dass auch er Freispruch im Fall Niklas fordert, ist keine Überraschung. Er gesteht den Ermittlern auch zu, durch das öffentliche Interesse an der Tat massiv unter Druck gestanden zu haben. Aber er wirft ihnen auch schwere handwerkliche Fehler im Umgang mit Zeugen vor und erkennt im Gegensatz zum Staatsanwalt starke Indizien, die für die Unschuld seines Mandanten sprächen.

Vor allem möchte Kretschmer mit Blick auf Niklas' Mutter aber eines loswerden: Der Tod ihres Sohnes, der für sie eine Tragödie sei, sei von anderen als Bühne für eigene Interessen genutzt worden – von Politikern und selbst einem Geistlichen für eine „sakrale One-Man-Show“. Außerdem hätten Menschen die Tat genutzt, um ihre ausländerfeindliche Gesinnung zu rechtsfertigen. Das zeigten auch die Drohungen, die er als Verteidiger erhalten habe.

Walid S. wird sein letztes Wort erst am 3. Mai sprechen, wenn Denise Pöhlers Anwalt, der am Dienstag krankheitsbedingt fehlt, plädiert hat. Danach wird gegen Mittag das Urteil erwartet. Wie es im Fall des Tunesiers Hakim D. weitergeht, will die Staatsanwaltschaft laut ihres Sprechers Robin Faßbender erst nach dem Urteil prüfen. Wie er erklärt, wurde der 22-Jährige kürzlich aus einer Strafhaft entlassen und noch nicht wie geplant, in die Heimat abgeschoben.

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