Interview mit Professor Maximilian Buchka „Ein zu früher Kitabesuch ist problematisch“

Bonn · Die ersten drei Lebensjahre bestimmen das Wesen eines Menschen entscheidend mit. Das sagt Maximilian Buchka, Professor für Kindheitspädagogik an der Alanus Hochschule. Im Vorfeld seiner Vorlesung sprach der 72-Jährige über Kindergärten, Trotzphasen und späte Eltern.

Sie haben fünf Kinder. Wann kommt Ihr Ratgeber?
Maximilian Buchka: Ich könnte einen schreiben, aber er wäre etwas komplizierter. Meine Kinder sind deutsch-ghanaisch. Das heißt, der Ratgeber wäre eher interkulturell als deutsch angelegt.

Warum dreht sich Ihr Vortrag um Kleinstkinder?
Buchka: Weil für mich die sozial-emotionale Entwicklung der unter Dreijährigen das Wichtigste ist. Die stellt die Spuren für später.

Da würde ich spontan sagen, dass Sie kein Befürworter eines frühen Kitabesuchs sind.
Buchka: Ich halte das zumindest für problematisch. Die klassische Waldorfpädagogik lehnt es sogar ab, die Kinder zu früh in eine Institution zu holen. Denn für die sozial-emotionale Bindung sind zunächst Mutter und Vater oder die Familie zuständig.

Hört sich in der Theorie nett an, aber ich musste irgendwann auch wieder Geld verdienen.
Buchka: Dann müssen wir Ihre Aufgaben mit übernehmen. Also das, was Eltern bis zum dritten Lebensjahr leisten müssen mit ihren Kindern im Sozialen-Emotionalen. Kann man aber auch, unsere Leute sind gut ausgebildet.

Das stimmt schon ein wenig nachdenklich.
Buchka: Nein, wenn Sie merken, dass Ihre Tochter das alles verkraftet, ist es okay.

Warum ist die erste Phase so entscheidend?
Buchka: Im ersten Jahr müssen Kinder Bindungen aufbauen, die dann tragfähig sind fürs ganze Leben. Das können auch andere Bindungspersonen als die Eltern sein. Aber Kleinstkinder müssen sich nach jemandem ausrichten können. Die Bindung stärken Sie durch Nähe und Vorbild. Das Kind guckt, wie Sie sich verhalten, und wird das genauso tun.

Aber wir werfen uns nicht auf den Boden oder verweigern das Zähneputzen.
Buchka: Die Trotzphase gibt es in allen Kulturen. Das Kind war sehr stark bei Ihnen und jetzt kommt das Gegenpendel: Es muss sich allmählich von Ihnen lösen, hat plötzlich einen eigenen Willen. Und das ist positiv. Gelassenheit hilft.

Was geschieht danach?
Buchka: Im zweiten Lebensjahr muss das Kind Verbindung zu anderen Kindern aufnehmen. Das ist wichtig, denn oft haben wir Einzelkinder in Deutschland. Es lernt, mit anderen zu spielen. Und es muss sich ausprobieren, zum Beispiel Verhandlungen übers Spielzeug führen.

Sollen Erwachsene in Konfliktsituationen eingreifen?
Buchka: Wir greifen nur ein, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, wie es so schön heißt. Aber nicht bei normalen Aushandlungsprozessen.

Was erwartet uns im dritten Lebensjahr?
Buchka: Da geht es um soziale Kompetenz. Das Kind muss für sich den Punkt finden „Das bin ich“. Aus der Waldorf-Sicht bedeutet das auch, dass die Eltern das Thema ihres Kindes erkennen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes Kind ein Thema mit in diese Welt bekommt, zum Beispiel Denker, Künstler oder Sozialreformer, die immer direkt Streit schlichten. Dann ist das Kind glücklich.

Gibt es vermeidbare Fehler?
Buchka: Wir sprechen von Störfaktoren. Ein unrhythmischer Tagesablauf zum Beispiel. Kinder brauchen Rituale wie Frühstück zur festen Zeit. Die Stadt Köln hat aus Arbeitszeitgründen verboten, dass Erzieher gemeinsam mit den Kindern essen. Das Schlimmste, was es überhaupt gibt. Die Kinder können sich nicht orientieren.

Das erste Kind mit Ende 30 ist keine Seltenheit mehr. Stehen späte Eltern einer glücklichen frühen Kindheit im Weg?
Buchka: Nein, die Bindung macht's.

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