GA-Interview zur Rockerkriminalität „Die Kutten sind zentrales Element der Rockermacht“

Rocker sind in NRW seit Jahrzehnten aktiv, doch in dem Milieu scheint vieles im Umbruch. Weniger Gehorsam, mehr Druck von Außen: Die Rockergruppen verändern sich. Thomas Jungbluth vom Landeskriminalamt sprach mit Jasmin Fischer über den Nutzen von Verboten.

Wie sehen Sie den Versuch, das Bonner Charter der Hells Angels als kriminelle Vereinigung einzustufen? Ist das nicht nur ein technisches Detail?
Thomas Jungbluth: Nein, ganz und gar nicht. Wenn es wirklich gelingt, dem Bonner Charter nachzuweisen, dass es eine kriminelle Vereinigung ist – und die Beweisführung ist für diesen Straftatbestand schwierig –, dann wäre das herausragend. In Hamburg 1983 und in Düsseldorf 2002 sind ähnliche Verfahren gescheitert. Es ist daher ein Erfolg, wenn die Staatsanwaltschaft Koblenz offenbar ausreichend Beweise zusammengetragen hat, um das Verfahren vor dem Landgericht zu eröffnen.

Die Liste der Straftaten einzelner Rocker ist lang. Warum ist es so schwer der Gruppe nachzuweisen, dass sie eine kriminelle Vereinigung ist?
Jungbluth: Die Täter müssen die Straftaten nachweislich nicht aus persönlichen Gründen, sondern für die Zwecke und im Interesse des Vereins begangen haben. Natürlich werden Angeklagte behaupten, Drogenhandel oder Körperverletzung auf eigene Rechnung durchgeführt zu haben. Wenn man da – etwa durch verdeckte Ermittlungen – nicht genau belegen kann, dass es Absprachen und Anweisungen gegeben hat, dann wird die Beweisführung für eine kriminelle Vereinigung sehr schwierig.

Rocker sind Rocker – warum sollte es sie stören, als kriminelle Vereinigung eingestuft zu werden?
Jungbluth: Weil sie sich dann nicht mehr in der Öffentlichkeit präsentieren könnten. Ein Verbot nach dem Vereinsgesetz ist die Folge. Bereits dann, wenn ein Vereinsverbot droht, lösen sie sich selbstständig auf, eben um dem Verbot zuvorzukommen. Ein solches Verbot bedeutet nämlich immer auch ein Verbot der mit Emblemen und Abzeichen bestickten Jacken, den Kutten, die sie tragen und die ein ganz zentrales Element ihrer Macht sind.

Wie funktioniert das?
Jungbluth: Rocker leben stark von Symbolen, die sich im Tragen dieser Kutten ausdrückt. Sie drücken im Inneren der Gruppe Hierarchie und Zusammenhalt aus. Nach Außen dokumentieren sie neben Zusammenhalt martialische Bedrohung und sollen das Revier verdeutlichen, auf das sich ihre Einflussnahme erstreckt. Kutten sind Machtdemonstration. Verbietet man den Verein, dann begehen Rocker jedes Mal, wenn sie sich ihre Kutten in der Öffentlichkeit anziehen, eine Straftat. Die Kutte wird von der Polizei sichergestellt. Ohne dieses Vehikel zur Inszenierung fehlt ihnen ein entscheidender Baustein ihrer Macht und Identität.

Würde ein echter Rocker nicht einfach einen neuen Club gründen?
Jungbluth: Können wir nachweisen, dass der neue Club der alte ist, dann gilt Vereins- und damit Kuttenverbot auch für die Nachfolgerorganisation. Lieber spalten sich Rocker auf und werden Mitglied in anderen Chapters oder Charters.

Wie viel Dynamik steckt denn in der NRW-Rockerszene?
Jungbluth: Ziemlich viel! Wir beobachten, dass viele Personen Nähe zu Rockergruppen suchen, ohne die tradierten Voraussetzungen der Szene mitbringen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Jungbluth: Früher wäre ein Hells Angel nie Bandido geworden und umgekehrt auch nicht. Aber bedingungsloser Kadergehorsam nimmt auch in dieser Szene ab, die internen Dissonanzen nehmen zu. Wir sehen auch, dass verstärkt Migranten bei Rockern anheuern.

Reden wir von Neuankömmlingen oder Zuwanderern in der zweiten, dritten Generation?
Jungbluth: Wir reden von Personen, die häufig die deutsche Staatsangehörigkeit haben, hier aufgewachsen sind, aber einen ethnischen Hintergrund haben. Es sind meist junge Männer, die erste Erfahrungen in der Straßenkriminalität und im Rotlichtmilieu gesammelt haben und die merken, dass sie ihre Interessen besser durchsetzen können, wenn sie eine Kutte tragen. Das ist keine Überraschung: Für ihre Zwecke steht ihnen ja auch eine große Gruppe als Unterstützung im Hintergrund zur Verfügung. Nicht zuletzt polieren sie ihr Selbstwertgefühl mit einer Rockerkutte auf.

Wie viele Rocker haben Sie in NRW unter Beobachtung?
Jungbluth: Nicht alle Personen begehen Straftaten, aber wir haben über 2000 Rocker in NRW im Auge: 20 Chapter der Bandidos mit 700 Personen, 14 Charter der Hells Angels mit 400 Personen, zwölf Chapter von Gremium mit 400 Personen, neun Chapter der Outlaws mit 100 Personen, sechs Chapter der Brothers mit unter 100 Personen und 30 Chapter der Freeway Riders mit 400 Personen.

Reicht es aus, einzelne Chapter als kriminelle Vereinigung einzustufen oder Vereine zu verbieten?
Jungbluth: Es ist ein Instrument von vielen, und es ist sehr effektiv. Es bringt einen gewissen Druck in die Szene, bringt sie in Bewegung. Hauptziel ist, dass Rockergruppen so wenig Fuß fassen wie möglich und sich nirgendwo verfestigen. Wie Satudarah etwa, eine holländische Gruppe, die in Duisburg den ersten Ableger gegründet hatte, ist inzwischen bundesweit verboten. Verkehrskontrollen, Durchsuchungen, Kooperationen mit der holländischen Polizei, all das ist Bestandteil unseres Gesamtkonzeptes.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort