Kinder-Kinder-Vortragsreihe in der Alanus-Hochschule „Die Hand steht für den Menschen“

Bonn · „Die Hand steht für den Menschen“, verdeutlicht der Professor an der Alanus-Hochschule und Heilpädagoge Bernhard Schmalenbach, wie wichtig dieser Körperteil für unsere Spezies war und ist. Am Dienstag, 31. Mai, referiert er darüber an der Alanus-Hochschule, Villestraße 3, in Alfter.

 Begreifen, verändern, wahrnehmen: Kinderhände kneten Plätzchenteig.

Begreifen, verändern, wahrnehmen: Kinderhände kneten Plätzchenteig.

Foto: Sascha Stienen

In der Sprache offenbart sich die Bedeutung der Hand für den Menschen: Wir ergreifen die Initiative, haben etwas im Griff oder auch nicht, lassen los, um wenig später das Heft wieder in die Hand zu nehmen.

Oft arbeiten wir Hand in Hand, fühlen uns in guten Beziehungen angenommen. Wer seine Stimme abgibt, hebt die Hand. Manchmal sprechen wir von der unsichtbaren Hand des Marktes oder von Machtergreifung.

Die Sprache ist voll von Worten, die mit Hand und (Er-)Greifen zu tun haben, gerade auch im Hinblick auf geistige Vorgänge, wenn wir Begriffe bilden, etwa erfassen oder begreifen. So sind sensomotorische Erfahrungen die Grundlage für viele abstrakte Begriffe.

„Die Hand steht für den Menschen“, verdeutlicht der Professor an der Alanus-Hochschule und Heilpädagoge Bernhard Schmalenbach, wie wichtig dieser Körperteil für unsere Spezies war und ist, ja dass es vielleicht gerade die Hand ist, die den Menschen als solchen ausmacht.

„Das Erste, was der frühgeschichtliche Mensch von sich abgebildet hat, war die Hand an der Höhlenwand“, erläutert er. „Das war die erste Selbstvergegenwärtigung des Menschen in der Kulturgeschichte.“

Hamlets berühmtes "Sein oder Nichtsein?"

Mit der Hand beginnt dieser Prozess, denn die Hand ist das einzige Teil, das wir aus dem Gesamtgefüge des Körpers herausnehmen und uns gewissermaßen gegenüberstellen können. Man denkt dabei sofort an Shakespeares Hamlet, der sein berühmtes „Sein oder Nichtsein?“ mit einem Totenschädel in der Hand ausspricht, den er sich wie einen Spiegel entgegenhält.

Forscher wie Piaget und Montessori gingen davon aus, dass die Erfahrungen des Tastens, Greifens und Bewegens die Grundlage für die geistige Entwicklung des Kindes darstellen, dass die Hand in der Erkundung der Welt gleichsam vorausgeht.

Die Hand im Raum kann wahrnehmen, spüren und Dinge verändern, das Kind erobert den Raum und macht sich die Gegenstände zu eigen. Mit dem Kontakt sind tiefe Erfahrungen verbunden, das Anfassen führt zum Erleben von Wirklichkeit, sagt Schmalenbach: „Wenn wir etwas berühren, wird es für uns zu einer Tat-Sache, zur Wirklichkeit, die wir durch unsere eigene Wirksamkeit mitbilden.“

Im Umgang mit den Gegenständen üben Kinder eine elementare Mathematik: hinzufügen, wegnehmen und teilen. „Die Fähigkeit zu zählen wurzelt in einer Geste, mit der nacheinander auf alle infrage kommenden Gegenstände gezeigt wird“, erläutert Schmalenbach. In der Hand verschmelzen Wahrnehmung und Handlung, aktives Gestalten und sensibles Aufnehmen. Gemeinsamkeit entsteht nicht zuletzt dann, wenn Menschen etwas gemeinsam tun.

Die Hand ermöglicht dem Kind die Erfahrung eines zentralen psychologischen Prozesses: des Erlebens von Selbstwirksamkeit. Daraus entwickelt sich ein gesundes Selbstbewusstsein. „Die so wichtige Erfahrung, etwas zu können, machen Kinder in konkreten Tätigkeiten.“

Zentrales Instrument der Selbsterfahrung

Für das Lernen gilt: „Was man tut, versteht man auch besser, als wenn man es nur sieht oder davon hört.“ Damit wird die Hand zum zentralen Instrument von Erfahrung und Selbsterfahrung. Schmalenbach bezeichnet sie als „Herzorgan in der Begegnung mit der Welt“, da die Hand Denken und Wahrnehmen, Ich und Welt zusammenführt.

Eine große Rolle spielt die Hand auch in der sozialen Interaktion – in den Berührungen manifestieren sich Einstellungen unmittelbar. Das Repertoire umfasst auch eine Vielfalt von Gesten: expressive Gesten, Zeige-Gesten und abbildende Gesten unterstützen die Sprache, ergänzen sie oder treten sogar an ihre Stelle. „In der kindlichen Entwicklung bilden Gesten die Brücke zwischen Bewegung und Sprache“, erläutert Schmalenbach. „Kinder, die zeigen, werden bald sprechen können.“ Entwicklungspsychologisch gesehen, bereitet die Geste die Sprache vor. Auch das Spiel als primäres Medium der kindlichen Entwicklung wird von Bewegungen und Gesten getragen.

Forscher haben gezeigt, dass Gesten die Erinnerung und das Denken unterstützen können. So werden neue Gedanken oder Einsichten durch Gesten vorbereitet. „Wir wissen, dass Kinder in Gesten denken“, verweist Schmalenbach auf Experimente, die nachgewiesen haben, dass die Geste ein Organ des Denkens ist. „In der Geste liegt manchmal der Kern dessen, was wir bewusst denken und aussprechen werden.“

Eine große Rolle spielt die Hand im Erwerb des abstrakten Denkens auf Grundlage des Schreibens von Buchstaben und Zahlen, mit dem Stift oder auf Tastaturen, was durchaus Unterschiede macht. So verändert sie sich im Zeitalter digitaler Technologien – die ihren Namen vom Wort digitus (Finger) ableiten – in grundlegender Weise. Vielleicht mehr noch als im Übergang zu den Handwerksgesellschaften und dem Übergang ins Industriezeitalter.

Theorie trifft Praxis

Theorie trifft Praxis – das ist die Idee der Serie „Kinder Kinder“ zur Ringvorlesung Pädagogik der Alanus Hochschule, die vor den Veranstaltungen erscheint. Eltern aus der GA-Redaktion treffen die Professoren und erörtern Bildungs- und Erziehungsfragen. Interviews und Berichte leiten die Vorlesungen ein.

Professor Bernhard Schmalenbach leitet an der Alanus-Hochschule das Institut für Heilpädagogik und Sozialtherapie. Der 54-jährige Heilpädagoge veröffentlichte 2007 die Monografie „Eine heilpädagogische Psychologie der Hand“ – unter besonderer Berücksichtigung von Autismus und Downsyndrom. Seine Schwerpunkte: Kunst in Heilpädagogik und Persönlichkeitsbildung; Biografie-Forschung, Autismus. GA-Autor Sascha Stienen hat drei Kinder (9, 7 und 4 Jahre alt).

Der Vortrag von Professor Bernhard Schmalenbach ist am Dienstag, 31. Mai, ab 19,15 Uhr im Foyer der Alanus-Hochschule, Campus II, Villestraße 3, in Alfter.

Mit dieser Serie will der GA praktische Tipps geben und zur Auseinandersetzung anregen. Alle bereits erschienenen Folgen und Kurz-Interviews mit den Professoren finden Sie auf www.ga.de/KinderKinder

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