Interview zu Bekenntnisschulen „Der Staat ist religiös neutral“

Bonn · Professor Hinnerk Wißmann hält das aktuelle System in NRW für überholt. Es fördere soziale Spaltung in der Grundschule.

 Hinnerk Wißmann ist Professor für Religionsverfassungsrecht in Münster.

Hinnerk Wißmann ist Professor für Religionsverfassungsrecht in Münster.

Foto: privat

Sie sagen, Sie sind ein Freund der Kirchen, aber keiner von Bekenntnisgrundschulen. Warum?

Hinnerk Wißmann: Die Achtung und Förderung der Religion ist völlig zu Recht ein Kernbestandteil unseres Schulsystems. Vom Staat betriebene Bekenntnisschulen – und nur darum geht es – sind aber ein Widerspruch in sich: Hier soll eine Konfession mehr als die anderen gelten, obwohl der Staat religiös neutral ist. Wohlgemerkt: Echte kirchliche Schulen, wie wir sie etwa als bischöfliche Gymnasien kennen, sind dagegen eine wichtige, sogar notwendige Ergänzung unserer Schullandschaft.

Wozu wurden Bekenntnisgrundschulen denn einst eingerichtet?

Wißmann: Sie waren der Normalfall in Zeiten, in denen fast die gesamte Bevölkerung einer Region einer bestimmten Konfession angehörte, also katholisch, lutherisch oder reformiert war. So konnten Staat und Kirche in der Schule zusammenwirken, ein wichtiger Schritt in der Modernisierung der öffentlichen Erziehung.

Und warum nennen Sie diese Schulen heute einen Anachronismus?

Wißmann: Nordrhein-Westfalen ist (neben einem kleinen Gebiet in Niedersachsen) das einzige Bundesland, das heute noch staatliche Bekenntnisschulen betreibt. Tatsächlich ist aber heute nirgendwo mehr eine konfessionelle Einheit von Schülern und Lehrern gegeben. Die religiöse Prägung dient als Fassade für die wunschgemäße Zusammensetzung der Schülerschaft und führt zu einer sozialen Entmischung. Es ist ein beschämendes Trauerspiel.

Warum behält das Land NRW diese Schulen dann bei?

Wißmann: Das müssen Sie die Landesregierung fragen – und die politischen Wettbewerber, die hier auch nicht besser aufgestellt sind. Als Maßstab: Bayern hat diese Schulform schon in den 1960er Jahren abgeschafft.

Tritt wegen des neuen OVG-Urteils jetzt noch mehr „Entmischung“ ein?

Wißmann: Das ist noch nicht abzusehen, weil die Praxis weithin unübersichtlich ist. Der Schulsenat des OVG hat jedenfalls die Chance verpasst, seine überholte Judikatur zu korrigieren.

Entspricht das dem Grundgesetz?

Wißmann: Zur entscheidenden Probe ist vielfach die Teilnahme am Religionsunterricht geworden, die gerade von bekenntnisfremden Schülern eingefordert wird. Dabei ist das Grundgesetz hier eindeutig: Die Abmeldung vom Religionsunterricht ist ohne Einschränkung geschützt. Der hier erzwungene Grundrechtsverzicht ist nach meiner Auffassung offen verfassungswidrig.

Die Eltern unterschreiben aber doch, ihr Kind nach dem Bekenntnis unterrichten zu lassen.

Wißmann: Das ist keine Hilfe, sondern eine Zumutung, die zu Unaufrichtigkeit und Umgehungsstrategien führt. Und die Einwilligung schlägt ohnehin nicht die formelle Kirchenzugehörigkeit.

Ortsferne Kinder der Konfession werden also vorgezogen. Was raten Sie betroffenen Familien?

Wißmann: Natürlich können und sollten konkret betroffene Eltern erst einmal den Austausch vor Ort suchen. In vielen Fällen wird sich eine vernünftige Lösung finden lassen. Auf Dauer, so ist zu hoffen, wird das Bundesverfassungsgericht auch hier den Bürgerrechten zum Durchbruch verhelfen.

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