"La Sylphide" und "Der Nussknacker" in der Bonner Oper Wenn Elfen tanzen

Bonn · Im klassischen wadenlangen Tutu (die kurzen Tellerröckchen kamen erst in Mode, als das 19. Jahrhundert moralisch mehr weibliche Beinfreiheit erlaubte) tanzte Primaballerina Elena Sharipova am Freitag die Titelrolle in "La Sylphide", mit dem die Staatsoper Jekaterinburg in der Bonner Oper gastierte. Und bewies, dass die Qualität ihres Balletts deutlich höher ist als die der üblichen russischen Tournee-Ensembles.

"La Sylphide" und "Der Nussknacker" in der Bonner Oper: Wenn Elfen tanzen
Foto: General Anzeiger

Die romantische Ballettpantomime "La Sylphide" hat Tanzgeschichte geschrieben. Mit dem 1832 in Paris uraufgeführten Werk begann die große Karriere der Marie Taglioni, der ersten Meisterin des Tanzes "en pointe". Der scheinbar schwerelose Spitzentanz prägt bis heute das Bild der Ballerinen, die als Elfen, Nymphen und sonstige Naturwesen über die Bühnen geistern.

Überirdisch schön und meistens höchst gefährlich für die Männerwelt wie die bezaubernde Elfe, die den Schotten James in der Nacht vor seiner Hochzeit mit der hübschen Effie heimsucht. Neckisch verschwindet das geheimnisvolle Wesen durch den Kamin, um kurz danach durchs Fenster wieder hereinzuflattern und James? Gefühle zu verwirren.

Im klassischen wadenlangen Tutu (die kurzen Tellerröckchen kamen erst in Mode, als das 19. Jahrhundert moralisch mehr weibliche Beinfreiheit erlaubte) tanzte Primaballerina Elena Sharipova am Freitag die Titelrolle in "La Sylphide", mit dem die Staatsoper Jekaterinburg in der Bonner Oper gastierte. Und bewies, dass die Qualität ihres Balletts deutlich höher ist als die der üblichen russischen Tournee-Ensembles. Zumal auch das Orchester angereist war und die Aufführung unter der Leitung seines Chefdirigenten Pavel Klinichev sorgsam begleitete. Tags zuvor hatte er mit seinen tüchtigen Musikern schon den Live-Ton bei der dreiteiligen "Gala" bestimmt, wobei insbesondere bei "Liebe und Tod" zu einer Komposition des Aserbaidschaners Polad Bülbüloglu (*1945) deutlich wurde, wie sich in der Stadt am Ural künstlerisch eine west-östliche Schnittstelle etabliert, die vorsichtig den Schritt zu Ausdrucksformen des 21. Jahrhunderts wagt.

"La Sylphide", präsentiert in der Kopenhagener Fassung von 1836 in der Choreographie des Dänen August Bournonville zur Musik des Norwegers Herman Severin Løvenskiold, entführt in die Anfangszeit des klassischen Balletts. Vergnüglich ist der bunte erste Akt mit seinem schottischen Lokalkolorit. Wobei die Russen sich noch trauen, mit wunderschönen Bühnenprospekten die Schauplätze zu illustrieren. Zum Inbegriff des romantischen weißen Balletts wurde der Tanz der Elfen im zweiten Akt, bei dem James (kraftvoll getanzt von Sergei Krashchenko) endgültig seiner Liebe erliegt und sie damit zerstört. Denn berühren und besitzen kann man die durchsichtig zarten Wesen nicht. Als James die Elfe mit einem blauen Schleier einfängt, verliert sie ihre Flügel. Es ist ein fantastisches Märchen (inkl. böser Hexe), mit pantomimischen Elementen effektvoll erzählt und zum Sterben schön mit hinreißender Gefühlstiefe getanzt.

60 Jahre nach "La Sylphide" entstand "Der Nussknacker", mit dem das fabelhafte Ensemble aus Jekaterinburg das Bonner Publikum am Wochenende begeisterte. Inbegriff des spätromantischen weißen Balletts sind die Schneeflöckchen mit kurzen Tutus im nächtlichen Zauberwald, durch den Mascha mit ihrem in einen schönen Prinzen verwandelten Nussknacker ins Reich der Süßigkeiten gelangt. Köstlich dabei: das orientalische Bühnenbild mit bunten Bonbons und zu Eistüten mutierten Minaretten, vor dem die Gäste aus aller Welt ihre virtuosen Tanznummern präsentieren. Den meisten Beifall erntete am Samstag das lustige Chinesen-Paar. Großartig war zu Anfang schon das lebendige Puppentheater, mit dem Onkel Drosselmeyer die großbürgerliche Weihnachtsfeier im Hause Stahlbaum munter aufmischt.

In der 1934 in St. Petersburg uraufgeführten Choreographie von Vasili Vainonen ist der Weihnachtsklassiker auch eine Adoleszenz-Geschichte. Die überall heimtückisch hervorkriechenden Mäuse und die Schlacht zwischen der grauen Unterwelt und den tapferen Zinn-Soldaten sind ein Pubertäts-Albtraum, aus dem Mascha (Elena Vorobeva) mit ihrem Nussknacker in eine glückliche Scheinwelt flieht und über Nacht vom Kind zur Frau erwacht. Atemberaubend perfekt sind ihre Soloauftritte ebenso wie die ihres kühnen Traumprinzen (Ilia Borodulin). Kaum noch übertrefflich getanzt ist die wunderbare Pas-de-deux-Apotheose.

Bei Tschaikowskis Musik war auch das Orchester voll in seinem Element, walzerselig, galoppgewandt und nie kitschig überzuckert. Wie die ganze Aufführung. Ein Ballettereignis vom Feinsten!

Die nächste Vorstellung in der Reihe "Highlights des internationalen Tanzes" am 22. Januar mit einem Gastspiel des Malandain Ballet Biarritz. "Die Schöne und das Biest" kam Dezember heraus, feiert seine Deutschland-Premiere in Bonn. Karten bei allen Bonnticket-Shops des GA.

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