Adenauer-Vortrag im Haus der Geschichte Verblasste Mythen

Wie gehen wir mit der SED-Diktatur um?" Ist das eine Frage, die noch irgendjemanden interessiert? Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, brach, noch ganz erschüttert von den Eindrücken der Pegida-Demonstration am Montag in Dresden und den dort gehörten Parolen, generell eine Lanze für nach wie vor dringend nötige politische Bildung und historische Aufklärung.

 Eloquenter Chronist: Richard Schröder in Bonn.

Eloquenter Chronist: Richard Schröder in Bonn.

Foto: HDG

Und Richard Schröder, prominenter Referent des Adenauer-Vortrags 2015 der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus im Bonner Haus der Geschichte, belegte in seiner Rede, wie wichtig auch und gerade ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung ein genaues, analytisches und kritisches Hinschauen ist.

Schröder, 71, ist ein eloquenter, bisweilen auch herrlich ironischer "Insider" der SED-Diktatur. Er war Pfarrer in der DDR, lehrte dann Philosophie, gehörte der ersten frei gewählten Volkskammer als SPD-Fraktionsvorsitzender an, war ab 1993 Verfassungsrichter des Landes Brandenburg.

Einen besseren Referenten über Defizite und erledigte Fälle der SED-Aufarbeitung sowie verblasste DDR-Mythen hätte man wohl nicht finden können. "Wir haben alles gewusst", kommentiert er Meinungen, die eine Ahnungslosigkeit im Osten behaupten und das offizielle Geschichtsbild der DDR für verbindlich bewerten, "mich hat nichts überrascht, außer, dass die Stasi Geruchsproben von Oppositionellen gesammelt habe". Schallendes Gelächter im voll besetzten Vortragssaal. Jeder habe gewusst, welcher Nachbar Parteikader oder Stasi-Mitarbeiter war. Schwierig sei gewesen, die IM, die inoffiziellen Spitzel, zu entlarven.

Interessant waren Schröders differenzierte Gedanken zur Frage, ob man aus der Geschichte lernen könne. "Kollektive Erinnerung schützt nicht vor Wiederholung", sagte er im Hinblick auf die deutschen Diktaturen, die braune und die rote. Entscheidend sei, "in welches Koordinatensystem" man die Erfahrungen einordne. "Geschichte wiederholt sich nicht", sagte er, um dann einen Exkurs zum Thema Demokratie zu unternehmen. "Demokratie ist weit mehr als Abwesenheit von Diktatur." Eine Demokratie als reines Mehrheitsprinzip ohne Grundwerte, ohne Gewaltenteilung sei pure Tyrannei.

Etliche Punkte der Aufarbeitung der DDR-Zeit seien abgearbeitet, sagte Schröder, der SED-Staat sei vorbildlich erforscht: "Die Akten werden uns nichts mehr hergeben, was unseren Blick ändert." Doch es gebe unterbelichtete Bereiche, so sei das letzte Jahr der DDR in "unserer Erinnerungskultur" kaum ein Thema.

Auch bei der Beurteilung der Wirtschaftskraft der DDR in den 80er Jahren sieht Schröder Defizite. Zu Unrecht werde der Treuhand angelastet, sie habe die Wirtschaft der DDR ruiniert. Sie sei es schon vorher gewesen. Pointiert widmete sich Schröder ostalgischen DDR-Mythen, die noch heute die Diskussion prägen.

Die Mieten im SED-Staat seien billig gewesen, Schröder kontert mit dem desolaten Zustand der Wohnungen. Die Kinderbetreuung sei im Osten besser gewesen. Schröder meinte, "sie war kostenlos", aber von schlechter Qualität und voller politischer Indoktrination. Dem angeblich besseren Gesundheitssystem stellte er die niedrigere Lebenserwartung gegenüber. Dass es im Osten keine Obdachlosen und Bettler gegeben habe, diesen Mythos entlarvte Schröder mit dem Hinweis auf Gefängnisse, in die "Asoziale" gesteckt wurden. Und die angeblich drogenfreie DDR? "Beim Alkohol waren wir Weltmeister."

Schlimme Klischees aber auch im Westen. Der dort kritisierte Häftlingsfreikauf habe, so Schröder, außer dem moralischen Hintergrund auch eine immense politische Bedeutung gehabt, habe zu inneren Verwerfungen in der DDR geführt. "Als es hieß, die Hochstrafe sei 'ab nach dem Westen', wurden die Menschen kecker."

Zum Schluss noch der gerne gebrauchte Vergleich der beiden deutschen Diktaturen. Die DDR habe, führte Schröder aus, keinen Weltkrieg geführt, habe kein mit der Judenvernichtung der Nazis vergleichbares System entwickelt.

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