Studio der Beethovenhalle Tolles Spektakel

Bonn · Zwei Abende lang stand Iván Fischer in der Beethovenhalle vor der Hundertschaft seines Budapest Festival Orchestra. Hier konnte man jemanden bei der Arbeit zusehen, dem es im Augenblick des Dirigierens um nichts anderes als um die Musik geht.

 Am Ende einer langen Partynacht: Sängerinnen in Iván Fischers Chorstück "La Malinconia".

Am Ende einer langen Partynacht: Sängerinnen in Iván Fischers Chorstück "La Malinconia".

Foto: Barbara Frommann

Ein Mann, so scheint es, frei von allen Eitelkeiten. Am dritten Abend seines Beethovenfest-Gastspiels offenbarte der ungarische Musiker noch weitere Facetten seiner Künstlernatur. Im Studio der Beethovenhalle stellte er gemeinsam mit Solisten seines Orchesters eigene Kompositionen vor, die er sympathisch und mit feinem Humor anmoderierte.

Seine Landsleute György Ligeti und György Kurtág haben als Vertreter der Avantgarde bei Fischer keine Spuren hinterlassen. Dafür aber eine Fülle anderer Stile aus nahezu allen - und nicht nur europäischen - Epochen der Musikgeschichte, wie etwa die kühne Verbindung zwischen einem Streichquintett und indischer Tabla in seinem Shudh Sarang Sextett ("Wanderlust") zeigt. Fischers Musik kann verspielt sein, aber auch sehr ernst. In dem Lied "A Nay Kleyd" auf ein Gedicht von Rachel Korn geht es um den Seelenzustand einer Frau, die nach sieben Jahren ihr Trauerkleid ablegt und ein neues anzieht.

"Aber es ist zu kurz für meine Trauer und zu eng für mein Leid", singt sie, und Iván Fischer, der hier seine Tochter, die Sopranistin Nora Fischer, am Klavier begleitete, findet dafür eine schlichte Melodie, die die Zerrissenheit der Frau auf poetische Weise zum Ausdruck bringt. Das Jiddische ist in Iván Fischers Kompositionen sehr präsent. Seine Deutsch-Jiddische Kantate spielt auf bewegende Weise mit dem Zusammentreffen der jiddischen und der deutschen Sprache. Ein Gedicht Goethes, "Symbolum", wird hier den Versen des Dichters Abraham Sutzkevers gegenübergestellt, die davon erzählen, wie ein Kind das Kleid der erschossenen Mutter überstreift, um noch ein wenig deren Wärme zu spüren.

Während die von der Solotrompete und den Streichern vorgetragene Musik zu diesen Versen den Hörer ins 20. Jahrhundert zurückwirft, katapultiert das Goethe-Gedicht sie noch weiter zurück; ein Dämpfer verleiht der Solotrompete einen zarten Oboenton: Musik wie aus Bachs Matthäuspassion, und - auch wegen Nora Fischers Gesang - ebenso berührend.

Die zweite Hälfte des Abends zeigte die heitere Seite des Komponisten Fischer, was schon im hübsch ironischen Chorstück "La Malinconia" zu erleben war, in welchem die Sängerinnen sich laut Fischer in die Lage junger Menschen am Ende einer langen, verrauchten Party versetzen sollen. Insbesondere aber stand das Schlussstück, die 20-minütige Oper "Tsuchigumo" dafür. Die auf ein japanisches No-Theaterstück basierende Satire vermengt sechs Sprachen und mindestens ebenso viele musikalische Stile vom italienischen Barock bis zum Hip-Hop.

Fischer schrieb das Stück für seine Familie, die mit Tochter Nora und seiner Frau, der Flötistin Gabriella Pivon, auch gut vertreten war. Die Aufführung der Kurzoper, in der es um den Kampf eines kranken Soldaten gegen eine monströse Spinne geht, bot ein tolles Spektakel, in dem sich italienischer Barock, französisches Chanson, artistischer Breakdance (den der großartige Erik Bos vollführte) die Hand reichen, bevor am Ende ein Moritatenerzähler und ein Chor das Werk nach der Art eines Brecht-Lehrstücks lautstark zu Ende führten. Das Publikum jubelte. Die WDR-Aufzeichnung, die am 30. Oktober, 20.05 Uhr, ausgestrahlt wird, sollte man nicht verpassen.

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