Bonner Stummfilmtage Richard Siedhoff und Joachim Bärenz sprechen über ihre Musik

Bonn · Bedrohlich kommt der Zug näher, rast unaufhaltsam auf den Zusammenstoß zu, in dessen Folge der erfolgreiche Pianist Orlac seine Hände verlieren und dafür die eines Mörders erhalten wird. Ein Klassiker des österreichischen Stummfilms.

 Der Stummfilmpianist Richard Siedhoff.

Der Stummfilmpianist Richard Siedhoff.

Foto: ISB

Doch die Aufführung im Rahmen der Bonner Stummfilmtage ist mitnichten lautlos: Finger jagen über Tasten, lassen die Lok erklingen, fassen das Drama in Töne, den Horror Orlacs, die Liebe seiner Frau.

Es ist Richard Siedhoffs Aufgabe, "Orlacs Hände" diese Stimme zu geben. 90 Minuten lang spielt er in einem fort, ein Marathon für den 35-jährigen Stummfilmmusiker. "Das ist tatsächlich wie Sport", sagt er. Doch Kraft und Ausdauer allein reichen nicht aus, das Gefühl für Spannungsbögen, für die richtigen Effekte zum richtigen Zeitpunkt, ist mindestens genau so wichtig. "Die Musik kann auch sehr viel kaputt machen", erklärt Siedhoff. "Sie muss letztlich den großen Werken, die sie begleitet, gerecht werden."

Auch dafür sind Stummfilmmusiker in der Regel zuständig - denn konkrete Partituren zu den jeweiligen Filmen gibt es nur selten. "Ich nenne das, was ich mache, Konzept-Improvisation", erläutert Siedhoff, der nach einer Ausbildung zum Cutter mehr oder weniger durch Zufall seine Bestimmung gefunden hat. Völlige Freiheit im losen Rahmen. "Ich versuche, den Film auswendig zu lernen, erstelle dann Leitmotive so wie etwa bei Richard Wagner, und darüber improvisiere ich dann."

Für Joachim Bärenz ist selbst dieser Ansatz noch zu starr. Der 66-Jährige begleitet seit mehr als 40 Jahren Stummfilme und hat mittlerweile einen Blick dafür, wie sich eine Handlung entwickeln und welche musikalische Untermalung sie daher benötigen wird. "Natürlich mache ich mir im Vorfeld Gedanken, was ich vielleicht spiele, aber ich hasse es, Noten zu schreiben", gesteht Bärenz, der als einer der Besten seines Faches gilt. "Ich hätte wahrscheinlich auch größere Skrupel, frei zu sein, wenn ich zuvor etwas notiert hätte. Zumal mir manchmal bei der Aufführung vollkommen neue Ideen kommen, die ich dann sofort einbaue."

Die Stummfilmtage in Bonn sind nicht zuletzt durch derartige Ideen sowohl für Siedhoff als auch für Bärenz etwas Besonderes. Beide schätzen zudem die Atmosphäre im Arkadenhof und die Professionalität und Leidenschaft der Veranstalter. "Der Musik wird hier ein sehr großer Stellenwert eingeräumt", sagt Siedhoff, "außerdem ist es für mich eine große Ehre, neben Leuten wie Joachim Bärenz oder Neil Brand auftreten zu dürfen."

Ein Kompliment, das Bärenz zurückgibt. "Wenn man vor 1500 Leuten spielen kann, die vielleicht vorher noch nichts mit Stummfilmen anfangen konnten, und man schafft es, diese Leute so zu fesseln, dass eine umfallende Bierflasche wie eine Explosion klingt - das ist einfach nur toll", schwärmt dieser.

An diesem Wochenende gehen die Internationalen Stummfilmtage zu Ende. Das Programm im Arkadenhof der Uni: Samstag, 21 Uhr: "Kosmische Reise" (UdSSR 1936), 22.30 Uhr: "Redivivus" (Tschechoslowakei 1921); Sonntag, 21 Uhr: "Barcelona" (GB 1927); 21 Uhr: "Stürme der Leidenschaft" (Deutschland 1931)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort