"Der Erste Weltkrieg in Farbe" Peter Walthers beeindruckender Bildband verändert die Sehgewohnheiten

Bonn · Eigentlich kennen wir den Ersten Weltkrieg (1914 - 18) nur in zwei Farben. Denn das überlieferte Fotomaterial suggeriert in seiner erdrückenden Mehrheit, die damalige Zeit sei schwarzweiß gewesen, gewissermaßen von Anfang an für den Abdruck in ernsten Geschichtsbüchern vorgesehen.

Umso ungläubiger sieht man nun den roten Mohn auf späteren Schlachtfeldern, die blauen Uniformen, das Braungrau der Trümmerberge. Peter Walthers Bildband "Der Erste Weltkrieg in Farbe" düpiert unsere Sehgewohnheiten auf überrumpelnde Weise.

Und zwar doppelt, da die 1907 von den Kinopionieren Auguste und Louis Lumière entwickelten Autochrome gegenüber heutiger Farbfotografie merkwürdig nostalgisch wirken. Da das später überholte Verfahren mit winzigen farbigen Stärkepartikeln funktionierte, schillern die Aufnahmen fast pointillistisch - so als hätten Seurat und Sisley die Schlachten an der Marne oder in den Vogesen gemalt.

Zudem erforderte die Technik etwa bei bedecktem Himmel Belichtungszeiten von mehreren Sekunden, was die Motivwahl beschränkte: keine Actionfotos, stattdessen penibel inszenierte Tableaus. Also gefechtsbereite Truppen an Kanone oder Schnellfeuergewehr, das bange Warten im Schützengraben oder die auch im Feld gepflegten Alltagsrituale wie das Rasieren, Zeitunglesen oder Kartoffelschälen.

So haben die aus der musealen Nische geborgenen Schätze manchmal den sentimentalen Reiz alter Glanzbilder, zumal viele der Fotos auch der Beruhigung der Zivilbevölkerung dienten. Denn auch in diesem Krieg gehörte die Objektivität zu den ersten Opfern. Und doch liest man aus den "friedlichen" Bildern der in Schutthalden spielenden Kinder auch die vorherige Zerstörungswucht heraus.

Und natürlich wollten die angeblich unaufhaltsam vorrückenden Truppen ihre Erfolge ausstellen, so dass man massenhaft bombardierte Kathedralen oder Rathäuser sieht, die schrecklich verkrüppelten Tropfkerzen gleichen.

Waren anfangs nur Berufsfotografen mit eigenem Mandat an der Front, so gab es bald auch die von Befehlshabern bewusst in die Truppe integrierten Lichtbildner. Da sieht man viele martialische Posen, aber im späten Kapitel "Leid und Tod" auch amputierte Knochen und Leichen. Der vorzügliche Band enthält zudem die Biografien der Autochrome-Fotografen wie Jules Gervais-Courtellemont, Léon Gimpel oder Hans Hildenbrand. Und er fächert das Geschehen von der Mobilmachung bis zu den Pariser Siegesfeiern auf, von den Kämpfen im Westen, im Osten bis nach Nordafrika. Es gibt makabre Stillleben mit Stahlhelm, Brot und Möhren oder befremdliche Inszenierungen. Etwa die Kriegsspiele französischer Kinder, die in Paris die Hinrichtung eines gefangenen Deutschen simulieren.

Doch am stärksten beeindrucken die Verwüstungsszenarien: die skelettierten Wälder am Hartmannsweilerkopf, ein winziger Soldat in einem gigantischen Bombentrichter. Gewissermaßen als fortlaufender Kommentar sind Dichter- und Künstlerworte zu den Fotos gestellt. Apollinaire preist anfangs die erhabenen Ausritte, Thomas Mann schwelgt in deutscher "Siegbestimmtheit", während sich ausgerechnet Ernst Jünger schon am 1. Dezember 1915 fragt: "Was soll das Morden und immer wieder Morden?"

Und über dem ungeheuerlichen Bild eines granatendurchpflügten Hügels stehen Kurt Tucholskys Sätze: "Die Menschheit hackt sich durch Fleisch und Blut den Weg der ,Idee' durch lebendige Menschen - in der Fibel liest sich das nachher recht hübsch, man darf nur nicht dabei sein."

Peter Walther: Der Erste Weltkrieg in Farbe. Taschen Verlag, 384 S., 39,99 Euro.

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