Samuel Fullers Bonner "Tatort" Ode an den größten Käse des Jahrhunderts

BONN · Beschauliche Fernsehabende sehen anders aus. Am 7. Januar 1973 flimmerte ein WDR-"Tatort" über die Bildschirme, der die Zuschauer ratlos zurückließ.

 Szene aus Fullers "Tatort": Kressin (Sieghardt Rupp, l.) und der getarnte Killer Charlie (Eric P. Caspar).

Szene aus Fullers "Tatort": Kressin (Sieghardt Rupp, l.) und der getarnte Killer Charlie (Eric P. Caspar).

Foto: arte

Da lief eine wirre Erpressergeschichte, die in Bonn und Köln spielte, aber sehr amerikanisch wirkte - eine Räuberpistole, dargeboten mit eigenwilliger Kameraführung, nervösen Schnitten und dem fiebrigen Groove der Experimentalrocker Can. Dutzende Zuschauer sollen während der Ausstrahlung beim Sender angerufen haben, weil sie die Handlung nicht verstanden. "Größter Käse des Jahrhunderts", schimpfte die Kritik anschließend.

"Tote Taube in der Beethovenstraße" heißt dieser außergewöhnliche "Tatort". Gedreht von Hollywood-Regisseur Samuel Fuller (1912-1997), gilt er längst als ein kleines Juwel deutscher Fernsehgeschichte. Das Filmfest München feierte das Werk jetzt als schillernde Blüte des Neo Noir und präsentierte den lange verschollenen Director's Cut, der seinerzeit unter dem Titel "Dead Peagon On Beethoven Street" im US-Kino lief. Mit gut zwei Stunden Laufzeit ist er 25 Minuten länger als die "Tatort"-Fassung.

Zugleich erlebte in München der Dokumentarfilm "Return To Beethoven Street" seine Premiere. Darin zeichnet Robert Fischer ausführlich die Entstehung von Fullers Krimi nach, wobei er eng mit Fullers Frau und Hauptdarstellerin Christa Lang sowie Tochter Samantha Fuller zusammenarbeitete. Beteiligte erinnern sich an die Produktion 1972, und Filmemacher Dominik Graf würdigt den Streifen als große Inspirationsquelle. Fischer selbst spricht von einem "avantgardistischem Experiment".

So kam Fuller zum "Tatort"

Wie Fuller zum "Tatort" kam? Vom WDR hatte er das Angebot erhalten, einen Film für die noch junge Reihe zu drehen. Er sagte zu, auch weil er das Rheinland kannte. Als amerikanischer Soldat hatte er in den Wirren des Krieges 1945 im Bonner Beethoven-Haus übernachtet. So machte sich Fuller auf, um im Köln/Bonner Raum Filmmotive anzuschauen: Rhein und Bonner Markt, Drachenfels und Petersberg, Bahnhof Rolandseck und Kölner Karneval. Die Beethovenstraße im Musikerviertel erhielt eine Schlüsselrolle; im Beethoven-Haus kostete es den Regisseur einige Überredungskunst (und einen Schnaps), um eine Drehgenehmigung zu bekommen. Aus den Schauplätzen entwickelte er flugs eine Story, in der hochrangige Politiker mit kompromittierenden Fotos erpresst werden.

Der Autorenfilmer ("Vierzig Gewehre, "The Big Red One") scherte sich jedoch wenig um das "Tatort"-Format und schlug manche Freiheit heraus. So trotzte er Fernsehspielchef Günther Rohrbach das Zugeständnis ab, auf Englisch zu drehen und 35-Millimeter-Film zu verwenden. Mit dem eigentlichen Protagonisten der WDR-"Tatorte", dem von Wolfgang Menge erfundenen Zollfahnder Kressin, konnte Fuller nicht viel anfangen. Indem er ihn nach wenigen Minuten von einem Killer anschießen ließ, beförderte er ihn unsanft aus der Handlung. Darsteller Sieghardt Rupp, selbst ein Star von internationalem Rang, war Fischer zufolge "not amused".

Fuller ließ lieber den New Yorker Privatdetektiv Sandy ermitteln, den er mit dem westerngestählten Glenn Corbett besetzte.

Auf das deutsche Publikum wirkte das wie ein Affront, ebenso wie die Erzählweise, die der Publizist Olaf Karnik einmal als "Erzählstruktur der Brüche" bezeichnete: Durch Andeutungen, Auslassungen und verwirrende Anschlüsse lenke Fuller die Aufmerksamkeit auf Schauplätze, die er konsequent umcodiere. So kommt es im Beethoven-Haus zu Anzüglichkeiten, und auf dem Drachenfels beenden Gangster schroff eine Romanze. Der Kopf der Verbrecherorganisation, Superschurke Mensur (Anton Diffring), residiert im altehrwürdigen Bonner Uni-Hauptgebäude.

Verwirrte Zuschauer

Dass die Zuschauer verwirrt waren, mag aber auch der deutschen Schnittfassung geschuldet sein. Im Vergleich mit dem Director's Cut wird nun deutlich, dass nicht unwichtige Handlungselemente der Schere zum Opfer fielen. Die Gründe seien unbekannt, so Fischer. "Fuller hatte jedenfalls damit nichts zu tun." Und noch etwas wurde für den "Tatort" konsequent herausgeschnitten: Szenen, die den ironischen Ansatz erkennen ließen. Dazu gehörte der Vorspann, in dem sich Darsteller und Crew in Karnevalskostümen zeigen. Vorsicht, Satire - das sei die Botschaft gewesen, erzählte Christa Lang beim Filmfest.

Die synchronisierte "Tatort"-Version des Films liegt längst auf DVD vor. Der Veröffentlichung von Fullers Director's Cut steht noch ein Hindernis entgegen: Der englische Originalton ist restaurierungsbedürftig.

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