Schauspiel-Projekt "Schatten :: Frau" Magie mit acht Zylindern

Bonn · Wer sich auf das großartige, intensive, unvergessliche Theatererlebnis "Schatten :: Frau" einlässt, muss seine Sehgewohnheiten im Foyer der Kammerspiele abgeben.

 "Was ist, kommst du?" Julia Keiling wartet am Rheinufer auf die Theatergänger.

"Was ist, kommst du?" Julia Keiling wartet am Rheinufer auf die Theatergänger.

Foto: Thilo Beu

Bernhard Mikeskas (Regie) und Lothar Kittsteins (Text) Projekt "für je einen Zuschauer" erzählt die Lebens- und Leidensgeschichte einer Politikerfrau zu Zeiten der Bonner Republik; Ähnlichkeiten mit Hannelore Kohl (1933-2001) sind ausdrücklich beabsichtigt.

Bevor jeder Zuschauer auf seine ganz individuelle Theaterreise geht, wird er erst einmal verkabelt, einen Kopfhörer trägt man die ganze Zeit. Am Anfang des Parcours steht der Besuch in einem menschenleeren Container vor den Kammerspielen. Bett, Decke, Kissen, Lampe, Aschenbecher und Spiegel verbreiten eine bedrückende Atmosphäre von Abwesenheit und Einsamkeit (Bühne: Michaela Kratzer). Aus den Kopfhörer dringt das Atmen einer offenbar schlafenden Frau ans Ohr (Stimme: Esther Hausmann).

Sie schreckt auf, der innere Monolog, der sich immer wieder an "Püppi" wendet, malt ein Bild von Dunkelheit und Alleinsein. Bald ist es halb zehn, sagt die Stimme: "Hab keine Angst." Vor dem Container wartet ein weißer Mercedes 450 SE, Chauffeur inklusive. Deutsche Wertarbeit: 1972 begründete der Wagen mit Achtzylinder-V-Motor die S-Klasse von Mercedes. Während das Fahrzeug sich durch Villenviertel und Rheinallee in Richtung Fluss bewegt, hört der Fahrgast ein elegisches Selbstgespräch, ein zu Herzen gehendes Vergeblichkeits-Lamento: "Püppi, was hast du hier verloren?" Am Rhein, nahe der Bonn International School, lerne ich die erste Hannelore Kohl kennen; drei Schauspielerinnen werden sie verkörpern. Julia Keiling steht am Ufer, wohin die Stimme im Kopfhörer mich dirigiert hat. Keiling, jung und aufgekratzt, trägt ein luftiges Kleid und rot geschminkte Lippen: "Was ist, kommst du?" Anmut und Unsicherheit drückt die Schauspielerin aus. In ihren Augen, die ich dank der physischen Nähe in Großaufnahme wahrnehme, flackert neben hoffnungsvoller Erwartung immer wieder Verzweiflung auf. Die verinnerliche ich hier ungefiltert, denn ich bin alles zugleich: distanziert und distanzlos, Zeuge und Protagonist, Publikum und Partner - allerdings ohne Gage und eigenen Text. Stumm erwarte ich Julia Keilings roten Mund, der sich zu einem Kuss zu nähern scheint: Theater, hautnah.

Mareike Hein treffe ich nach einem weiteren Fußmarsch den Rhein entlang. Hannelore Kohl ist gealtert. Sie wartet mit klassischer Betonfrisur und uniformhaftem Kostüm. Hein erinnert an eine Beobachtung des Autors Heribert Schwan, der eine Biografie über Hannelore Kohl geschrieben hat: "Die Perücke, die sie seit 1993 trug, und ihr immergleiches Lächeln legte sie morgens wie einen Panzer an, der sie auch innerlich schützte. So ging sie in den Kampf des Tages." Die Frau des Kanzlers musste lächeln, für ihren Mann, für das Land. "Das Maskenhafte", so Schwan, "legte sie ab, sobald sie die Tür hinter sich zumachte."

Mareike Hein, die sich munter unterhakt, kultiviert einen eingeübten Liebreiz, hinter dem Paranoia und Albträume lauern. Etwas brenne wie Feuer, klagt sie: "Hilf mir." Auf der Rückfahrt durch Villenviertel und Koblenzer Straße lässt sich darüber spekulieren, welchen Preis Hannelore Kohl für das Leben an der Seite ihres Mannes hat zahlen müssen. Ich treffe sie zum Schluss, wiederum gealtert, in Person von Birte Schrein im Container vor den Kammerspielen wieder. Verzweiflung und Depression füllen den kleinen Raum: Platzangst-Gefahr. Auch Birte Schrein ist wie Julia Keiling und Mareike Hein gespenstisch präsent, die Bonner Theater-"Schatten :: Frauen" haben eine hypnotische Wirkung.

Das gilt auch für Lothar Kittsteins Prosa, in der Persönliches und Politisches verschmelzen. Bernhard Mikeska hätte den Text szenisch nicht wirkungsvoller umsetzen können. Lediglich zwölf Besucher können dies an den jeweiligen Aufführungsterminen miterleben. Eintrittskarten sind rar: Sofort bestellen!

Die nächsten Aufführungen: 6., 8., 13., 25. und 26. Mai. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Auf einen Blick

Das Stück: "Schatten :: Frau" zeigt, was eine Existenz im Schatten politischer Macht mit einer Frau machen kann.

Die Inszenierung: Erlaubt ein einmaliges Theatererlebnis

Die Schauspieler: Mehr Intensität geht nicht.

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