"Figaros Hochzeit" bei den Salzburger Festspielen Eine liebende Gräfin wird niemals abdrücken

Der Volksmund kennt einen Spezialbegriff für den optischen Bluff: das Potemkinsche Dorf. Angeblich hat ein gewisser Feldmarschall Potemkin im 18. Jahrhundert einmal falsche Dörfer aus lauter hübschen Fassaden aufbauen lassen, um Zarin Katharina II. einen trügerischen Eindruck einer in Wahrheit trostlosen russischen Gegend zu verschaffen. Große Show, nichts dahinter. Bei den Salzburger Festspielen sehen wir nun das Gegenteil: einen kostbaren weitläufigen Palast, dem die Frontseite fehlt.

 Die Gräfin (Anett Fritsch) ist kurzzeitig außer sich über ihren Gatten (Luca Pisaroni).

Die Gräfin (Anett Fritsch) ist kurzzeitig außer sich über ihren Gatten (Luca Pisaroni).

Foto: dpa

Wir sehen direkt in zahllose Zimmer, in denen die Leute zeitgleich wuseln, knutschen, Ränke schmieden, an Türen lauschen und durch Schlüssellöcher gucken. Und niemals glauben, dass ihnen das in diesem Moment selbst widerfährt.

Einen solchen Bühnenraum kann man gut brauchen, denn im kleinen Festspielhaus gibt es Mozarts "Hochzeit des Figaros", das luftleichte Spiel über die Täuschung schlechthin, über Dialoge, die zufällig aufgeschnappt oder absichtlich belauscht werden. So doppelbödig wie das Stück ist auch der Setzkasten mit den vielen Kammern drin, den Regisseur Sven-Eric Bechtolf und Bühnenbildner Alex Eales konstruiert haben. Von dieser prachtvollen Kulisse lebt die Beweglichkeit. Bechtolf, der mit seinen Inszenierungen von "Don Giovanni" und "Così fan tutte" eher Pech hatte, krönt seinen da-Ponte-Zyklus nun mit einem ungemein komödiantischen, brillanten, von zahllosen witzigen Details lebenden "Figaro".

Die Kostüme entstammen einem etwas modernen Spanien und sind herrlich anzuschauen. Alles wie gemalt. Doch liegt im Witz immer auch Traurigkeit, etwa über Don Basilio, eigentlich einer Randfigur, der hier als Kalfaktor des Grafen seine Nase in allerlei fremde Koffer steckt. Nebenbei ist er unsterblich in Cherubino verliebt. Diese Variante hatten wir noch nicht. Mozart hält sie nicht nur aus, er pustet sie mit Musik hoch und fängt sie als Staubflockerl auf. Sorgen macht man sich allerdings um die Gräfin, die sehr zur Melancholie neigt. Na, bei diesem Gatten, dem ewigen Stenz! Einmal bekommt sie sein Gewehr in die Finger. Aber weil sie liebt, kann sie nicht abdrücken.

Der vierte "Figaro"-Akt ist eine der schwersten Aufgaben für Regisseure. Wie ordnet man dieses haarsträubend flinke Durcheinander, ohne dass dem Publikum Informationen zum Verständnis vorenthalten bleiben? Hier bleibt auch Bechtolf fast unbeholfen, der Raum mit seinen Treibhäusern gibt nicht viel her, und außerdem ist es zu hell auf der Bühne.

Egal, es ist eine Freude, diesen Mozart zu erleben. Das liegt nicht zuletzt an den Sängern, etwa an Luca Pisaroni, der als Graf Almaviva auch stimmlich eine herrliche Balance zwischen grotesk übertriebener Wut, erotischer Labilität und immer sehr vorläufiger Reue findet. Martina Janková ist eine quicke, impulsive Susanna, Adam Plachetka ein pfiffiger Figaro. Anett Fritsch als traurige, doch im Schmerz aufblühende Gräfin bekommt kübelweise Beifall. Die Wiener Philharmoniker kennen das Stück auswendig und lassen das zum Glück spüren. Leider nötigt sie Dan Ettinger, ein arger Wichtiguer am Pult, stellenweise zu unbegreiflich langsamen Tempi.

Der Beifall ist gewaltig, Salzburg - so darf man sagen - hat sein Wolferl wieder. Und umgekehrt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort